Ammenmärchen rund um das Gehirn
Mit seinem Geflecht aus Milliarden von Nervenzellen, die ständig miteinander kommunizieren, steuert unser Gehirn nahezu alle lebenswichtigen Körperfunktionen. Wir denken, fühlen, lernen nur dank unserer intelligenten Schaltzentrale im Kopf. Dabei ist das Wissen um unser Gehirn noch immer geprägt von vielen Unwahrheiten. Denn: Wer glaubt, dass Alkohol Nervenzellen abtötet oder dass die Größe des Gehirns mit der kognitiven Leistungsfähigkeit zusammenhängt, irrt. Um das faszinierende Organ ranken sich zahlreiche Mythen, die schlichtweg falsch sind.
Das Gehirn besteht größtenteils aus Nervenzellen
Falsch! Viele meinen, unser Gehirn setzte sich überwiegend aus einem komplexen Geflecht aus Nervenzellen und neuronalen Verbindungen zusammen. Tatsächlich besteht unser Hirn zu 80 Prozent aus Wasser. Der Rest sind Fett, organische Verbindungen und Elektrolyte. Der hohe Wassergehalt ist auch der Grund, warum es sich negativ auf unser Denk- und Konzentrationsvermögen auswirkt, wenn wir zu wenig trinken. Eine Studie aus Großbritannien hat ergeben: Schon nach 90 Minuten Schwitzen schrumpft das Gehirn so stark, wie durch ein Jahr Alterungsprozess.
Gehirnjogging macht schlauer
Weit verbreitet ist auch die Annahme, dass sich der IQ mithilfe von Gehirn-Training langfristig erhöht. Knobel-Fans setzen auf Sudoku, Kreuzworträtsel oder Gehirnjogging-Programme. Die Wissenschaft liefert allerdings ernüchternde Befunde. Mehrere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass sich der IQ im Erwachsenenalter langfristig nicht steigern lässt. Dennoch lohnt es sich, sich mit Gehirntraining geistig fit zu halten. Psychologen unterscheiden nämlich zwischen zwei Intelligenzkomponenten, der fluiden und der kristallinen Intelligenz. Der fluide Anteil, der die Flexibilität beschreibt, mit der wir Aufgaben bearbeiten und uns neuen Anforderungen stellen, entwickelt sich bis zum 20. Lebensjahr und lässt dann allmählich nach. Der kristalline Anteil beschreibt das erworbene Wissen und die gelernten Fertigkeiten des Menschen. Die kristalline Intelligenz verbessert sich ein Leben lang, indem wir immer mehr Wissen und Kompetenzen erwerben. Wer das tut, kann im Alter Defizite im fluiden Intelligenzanteil ausgleichen.
Großes Hirn, große Ideen
Männer haben im Durchschnitt ein größeres Gehirn als Frauen. Das heißt allerdings nicht, dass sie deswegen intelligenter sind – die Größe sagt nämlich nichts über die Leistungsfähigkeit aus. Der Pottwal beispielsweise hat mit neun Kilogramm ein sechsmal größeres Gehirn als der Mensch, und liegt damit an erster Stelle. Das menschliche Hirn wiegt durchschnittlich 1245 Gramm bei Frauen und 1375 Gramm bei Männern. Diese Werte bleiben zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr meist stabil, im Alter nimmt das Gewicht des Denkorgans um rund 100 Gramm ab. Prozentual zu seiner Körpergröße gemessen hat das Spitzhörnchen übrigens das größte Gehirn im Tierreich.
Intelligenz liegt in den Genen
Sind es Erbanlagen oder Umwelteinflüsse, die entscheiden, ob jemand besonders schlau ist? Beides! Der Intelligenzquotient (IQ) ist tatsächlich zu 50 bis 70 Prozent angeboren, alles Weitere entscheiden aber Erziehung und Bildung. Die Gene sind somit das Grundkapital, das Menschen mit auf den Weg bekommen. Je besser sie es nutzen, desto mehr können sie erreichen. Aber: Wie stark die Gene wirken, hängt ganz von den Chancen in dem jeweiligen Land oder in der Kultur ab, das heißt, inwieweit sich dieses Potenzial entfalten kann.
Manche können Multitasking, manche nicht
Autofahren, dabei über die Freisprechanlage telefonieren und ein Sandwich essen: Auch, wenn manch einer behauptet, das sei für ihn kein Problem, weil er multitaskingfähig ist, ist ein solches Verhalten hochriskant. Denn: Multitasking ist reine Einbildung. Unser Gehirn ist nicht dafür geschaffen, gleichzeitig mehrere Aufgaben zu stemmen. Die volle Aufmerksamkeit kann sich nur auf ein Ziel konzentrieren. Wenn mehrere Dinge parallel erledigt werden sollen, leidet die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit und die Aufgaben werden nur noch ungenau erfüllt. Außerdem steigt der Stresspegel. Am effizientesten arbeitet das Gehirn, wenn es die Tätigkeiten nacheinander abarbeiten kann.
Nervenzellen können sich nicht erneuern
Wir haben nur eine bestimmte Anzahl von Nervenzellen. Sterben sie ab, kommen keine neuen hinzu und wir verblöden. Dieser erschreckende Mythos hält sich wacker, vor allem wenn es um den Umgang mit Alkohol geht. Hirnforscher haben aber herausgefunden, dass unser Gehirn permanent neue Zellen bildet und tote abbaut. Allerdings können die neuen Zellen, die abgestorbenen nur bedingt ersetzen. Das liegt daran, dass sich diese erst durch neues Lernen vernetzen müssen. In der Pubertät sterben übrigens Milliarden von Gehirnzellen ab, wie Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes herausfanden. Das bezweckt, dass das Gehirn danach strukturierter arbeitet und die relevanten neuronalen Netze Daten effektiver verarbeiten. Das Absterben der Zellen fördert somit sogar die kognitiven Fähigkeiten.
Wer trinkt, wird dumm
Der Gedanke, dass Alkohol Nervenzellen zerstört, hält vielleicht manchen vom Trinken ab, wahr ist er aber nicht. Damit Hirnzellen tatsächlich absterben, müssten wir uns zu Tode saufen. Mäßiger Alkoholkonsum schädigt sie aber nicht. Ausfallserscheinungen bei Alkoholikern verursacht nicht der Alkohol, sondern ein Mangel an Vitamin B. Allerdings schädigt zu viel Bier, Wein und Schnaps die sogenannten Dendriten, die die Kommunikation zwischen den Neuronen im Gehirn steuern. Sie können sich aber nach einiger Zeit Alkoholabstinenz wieder regenerieren.
Wir haben 100 Milliarden Gehirnzellen
Lange Zeit galt es als Fakt, dass unser Gehirn aus insgesamt 100 Milliarden Nervenzellen besteht. Doch 2009 haben Wissenschaftler herausgefunden, dass wir in Wahrheit nur um die 86 Milliarden Gehirnzellen besitzen. Das macht durchaus einen Unterschied. Die Differenz von 14 Milliarden Nervenzellen entspricht etwa der Größe eines Pavian-Gehirns.
Wir nutzen eine Gehirnhälfte mehr als die andere
Diejenigen, die überwiegend mit der rechten Hirnhälfte denken, sind eher intuitiv und künstlerisch begabt. Die, die mit links denken, sind hingegen analytisch und sprachlich talentiert. Stimmt nicht! Jeder Mensch nutzt beide Seiten gleich häufig. Das haben großangelegte Studien mit tausenden Testpersonen gezeigt. Richtig ist, dass nicht beide Hemisphären für alles gleichermaßen zuständig sind. Räumliches Denken, das Zahlenverständnis oder die Gesichtserkennung sind eher in der rechten Gehirnhälfte angesiedelt, während die linke Seite überwiegend die Sprache steuert. Es gibt – wie ein Mythos besagt – auch keine links- oder rechtshemisphärisch geprägten Kulturen auf der Welt. Bei allen Menschen arbeiten beide Hirnhälften immer zusammen.
Wir nutzen nur einen Bruchteil unseres Gehirns
Auch der Irrglaube, dass der Mensch nur zehn Prozent seines Gehirns nutzt, ist weitverbreitet. Die moderne Forschung hat aber gezeigt, dass stets das ganze Gehirn zum Einsatz kommt. Je nach Sinnesreiz und Aufgabe sind jedoch die verschiedenen Regionen des Denkorgans mehr oder weniger gefordert. Das heißt aber eben nur, dass wir nicht immer alle Teile unseres Gehirns gleich stark nutzen. Der Zehn-Prozent-Mythos ist also falsch.