Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

Big-Brother im Weltall: In Containern können die Mars-Bewohner auch ohne Raumanzug überleben.

Bild: Mars One & Bryan Versteeg

Mission “Mars One” sucht den Super-Astronauten

In naher Zukunft soll eine Reisegruppe im Rahmen der Mission „Mars One“ zum Mars fliegen und sich dort ein neues Leben aufbauen – Rückkehr ausgeschlossen.

Intelligent, kreativ, seelisch stabil und körperlich gesund: Das sind die wichtigsten Eigenschaften, die die Bewerber für „Mars One“, die ungewöhnlichste Mission der Weltgeschichte, mitbringen sollten. Dabei geht es nicht etwa um den Einzug in das neue Big-Brother-Haus oder in ein Dschungel-Camp in Australien. Es geht um etwas viel Langwierigeres und Fragwürdigeres: eine rund 18-monatige Reise, aber nicht etwa um die Welt oder gar zum Mond. Nein, es geht um eine Reise zum Mars – ohne ein Zurück.

Bewerbungsphase geht in die zweite Runde

Ob die zigtausend Menschen, die sich Ende 2013 für den One-Way-Trip zum Mars beworben haben, wirklich über einen stabilen Geisteszustand verfügen, mag fraglich erscheinen. Aber immerhin waren es über 200.000 Bewerber aus 140 Ländern, aus denen die Jury der niederländischen Organisation Mars One die ersten 1.058 zum Recall eingeladen hat – um im Casting-Deutsch zu bleiben. Das Finale (Achtung, Termin vormerken: Jahr 2025) werden 24 Auserwählte beziehungsweise sechs Vierergruppen erreichen. Der Preis: keine Million, kein Modellvertrag, keine Planeten-König-Krone. Nicht mal ein Rückflugticket zur Erde werden die Sieger erhalten, die aus vier Auswahlrunden hervorgehen.

Ihr Preis: die pure Langeweile auf dem Roten Planeten. Zusammenleben auf engstem Raum bei minus 63 Grad in der Nacht, kein natürlicher Zugang zu Wasser, permanente Bestrahlung und weitere – aktuell noch eher unbekannte – gesundheitliche Probleme, die auf den hohen Kohlenstoffdioxid-Gehalt von 95 Prozent zurückzuführen sind. Aber Christoph Kolumbus dachte ja auch, dass er hinten runterplumpst, wenn er das Ende der Erdscheibe erreicht hat. Allerdings nahm er nicht diesen waghalsigen Trip auf sich, weil er dachte: „Vielleicht komme ich dann ins Fernsehen!“

Gesucht: realitätsfremd?

Aber mal der Reihe nach: Die Idee, 24 freiwillige Laien-Astronauten in Vierergruppen nacheinander auf den Mars zu entsenden, um dort dauerhaft bewohnbare Siedlungen aufzubauen, hatte der niederländische Unternehmer und Begründer von Mars One, Bas Lansdorp. „Wer denkt, es sei zu gefährlich, soll nicht hinfliegen“, sagte er kürzlich in einem Interview. Ob das ausreicht, realitätsfremde Bewerber vor sich selbst zu schützen?

Zumindest eine Sache, die DSDS-Jury-Mitglied Dieter Bohlen nicht von dem Tech-Pionier unterscheiden sollte. Ersterer schützt die in ihrer Phantasie lebenden Bewerber immerhin vor sich selbst, indem er ihnen gleich ungefiltert beim ersten Casting mitteilt, dass sie bei diesem Wettbewerb wohl fehl am Platz seien. Wirklichkeitsfremd sind die Bewerber der Mars-Mission sicherlich alle. Müssen sie auch sein, wenn sie fest daran glauben, dass sie in ein paar Jahren Mutter Erde – mitsamt ihrer eigenen Familie – zurücklassen werden, um ein neues Leben auf dem Mars aufzubauen.

Wie Big Brother, nur schlimmer?

Der Plan sieht es zumindest so vor: Um nicht monatelang in Raumanzügen herumlaufen zu müssen, werden bis zur Landung spezielle Wohncontainer erbaut, in denen dieselbe lebensfreundliche Luft herrschen soll, wie auf der Erde. Trinkwasser könnten die zukünftigen Planeten-Bewohner von Eisflächen unter der Marsoberfläche beziehen – dazu müssten sie Bergbau betreiben. Kommt man über Bohrungen an das unterirdische Eis, könnte man laut Experten einen Mini-Kreislauf mit Verdunstung, Regen und Abfluss in Gang bringen.

Mitgebrachte Pflanzen könnten über Photosynthese eine Sauerstoffatmosphäre schaffen, und auch Gemüse ließe sich züchten. Ein Großteil der Lebensmittelversorgung müsste aber zunächst durch Raumschiffe von der Erde sichergestellt werden.

Gefahr: die Psyche

Schädliche Luft, Eiseskälte, schwerer Zugang zu Wasser, Strahlung, fehlende medizinische Versorgung – all das ist nichts gegen die Gefahr, die vom Menschen selbst ausgeht. Ein Experi
ment namens SFINCSS-99 aus den Jahren 1999 bis 2000 testete einst das Verhalten von drei freiwilligen Vierergruppen, indem es einen bemannten Flug zum Mars simulierte. 263 Tage waren diese in einem Komplex eingeschlossen, mit dem Ziel die Gruppendynamiken zu testen und geeignete Persönlichkeitstypen zu identifizieren. Bereits nach fünf Monaten kam es zu Prügeleien und der sexuellen Belästigung einer Test-Kandidatin.

Die Organisation Mars One möchte solchen Vorfällen vorbeugen, indem sie in den kommenden zwei Jahren durch spezielle Auswahlverfahren die psychische und physische Verfassung der Teilnehmer ausloten wird – Runde 2 ist eingeläutet. Trainingsprogramme in Runde 3 werden die 40 übriggebliebenen Bewerber entsprechend auf das Leben in der Schwerelosigkeit vorbereiten. Die Weltöffentlichkeit wird ab dieser Runde an der Entscheidung teilhaben. Man stelle sich vor, wie die Super-Astronauten im Fernsehen ihre Familien anfeuern, für sie anzurufen, bevor sie dann zum Dank auf Nimmerwiedersehen ins All verschwinden.

Holt mich hier raus!

Wen übrigens nach anfänglicher Übermotivation dann doch das Heimweh übermannt oder wem das Container-Zusammenleben zu fad wird, der kann nicht einfach rufen: „Ich bin ein Super-Astronaut, holt mich hier raus!“ „Wer einmal auf dem Mars gelandet ist, ist gezwungen, dort mindestens ein Jahr zu bleiben. Der Mars braucht zwei Jahre um die Sonne, die Erde ein Jahr“, so Ulrich Köhler vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin.

Um zur Erde zurückzukommen, müsse man warten, bis sich die Erde von hinten wieder nähert. „Das ist nach zehn bis zwölf Monaten der Fall. Vorher ist die Erde unerreichbar weit weg“, so Köhler. Das aber nur in der Theorie: Geht es nach der Organisation Mars One, ist aufgrund der hohen Reisekosten in Höhe von rund sechs Milliarden US-Dollar pro Gruppe kein Rückzug möglich. Da kann die Reality TV Show, die die Mission vermarktet und finanziert, noch so gut laufen.

Nach Hause telefonieren?

In diesem Fall gibt es immer noch die Möglichkeit der – etwas trägen – Kommunikation mit der Erde. Die Signale, die über Satelliten entsendet werden, treffen mit derselben Geschwindigkeit wie Licht auf die Erde. Das kann zwischen drei und 22 Minuten dauern. Ein Telefonat wird daher etwas problematischer sein. Möglich sind E-Mails und WhatsApps bzw. Video-Nachrichten. Ein Glück – so wird zumindest bei den Zuschauern, die auf dem Boden (der Tatsachen) geblieben sind, keine Langeweile aufkommen.

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