1989: Fall der Mauer
Am 9. November 1989 wird endlich wieder zusammengeführt, was zusammen gehört: Die Mauer in Berlin fällt, die Grenze zwischen West- und Ostdeutschland öffnet sich und der von vielen lang ersehnte Schritt in die Freiheit gelingt – ganz ohne Fluchtpläne, Ängste und Heimlichkeiten. Genau diese waren aber über knapp drei Jahrzehnte kräftezehrender Teil des Lebens vieler regierungsfeindlicher DDR-Bürger. Getrieben von dem brennenden Wunsch, westlichen Boden unter den Füßen zu spüren, schmiedeten sie Fluchtpläne. Geheime Tunnel, Heißluftballons, das Armaturenbrett eines Cadillacs – all das sollte dabei das Tor zur Freiheit sein.
Über 80 Zentimeter in die Freiheit
Am 9. November 1989 wird endlich wieder zusammengeführt, was zusammen gehört: Die Mauer in Berlin fällt, die Grenze zwischen West- und Ostdeutschland öffnet sich und der von vielen lang ersehnte Schritt in die Freiheit gelingt – ganz ohne Fluchtpläne, Ängste und Heimlichkeiten. Genau diese waren aber über knapp drei Jahrzehnte kräftezehrender Teil des Lebens vieler regierungsfeindlicher DDR-Bürger. Getrieben von dem brennenden Wunsch, westlichen Boden unter den Füßen zu spüren, schmiedeten sie Fluchtpläne. Geheime Tunnel, Heißluftballons, das Armaturenbrett eines Cadillacs – all das sollte dabei das Tor zur Freiheit sein.
Türöffner und Helden des Klassenkampfes
Was manche Bürger wie Schumann für sich allein entschieden, organisierten andere in Gruppen, mit dem idealistischen Ziel, ihr Recht auf ein freies Leben zu verteidigen. Einer von ihnen: Hasso Herschel. Für ihn und seine Angehörigen klar: „Wer es zuerst schafft, in den Westen zu kommen, versucht mit allen Mitteln seine Freunde nachzuholen.“ Herschel gelingt es zwei Monate nach Mauerbau als Erstes. Mit einem Schweizer Pass, den ihm West-Berliner Studenten beschafft hatten, betritt er unbehelligt die BRD. Um noch mehr Menschen nachzuholen, musste er sich etwas einfallen lassen. Da er aus dem Bauwesen kommt, entscheidet sich Herschel zusammen mit Freunden und Gleichgesinnten für einen Tunnel …
30 Zentimeter pro Tag
… dieser unterirdische Fluchtweg sollte später als „Tunnel 29“ in die Geschichte eingehen. Er war bei weitem nicht das einzige Projekt seiner Art – dafür aber eines der erfolgreichsten: Durch ihn konnten am 14. und 15. September 1962 namensgebende 29 Menschen auf ein westliches Fabrikgelände der Bernauer Straße 78 fliehen. Mühsam arbeiteten sich die Tunnelgräber sieben Monate lang 30 Zentimeter pro Tag von West nach Ost vorwärts, bis die DDR-Bürger schließlich in den ostdeutschen Eingang des Fluchtwegs kriechen konnten. Im Fluchttunnelmuseum „Berliner Unterwelten“ wurde, wie auf dem Bild zu sehen, unter anderem auch der Einstieg zum Tunnel 29 nachgebaut.
Ein Tor zum Westen
Tunnelbauer und Fluchthelfer des Tunnels 29 war neben Hasso Herrschel auch Rainer Haack. Während sich andere am Wannsee die Sonne auf den Bauch scheinen ließen, malochte Haack mit weiteren Helfern vier Monate lang unter der Erde. Als Techniker hatte er das nötige Fachwissen, um eine derartige Massenflucht praxistauglich umzusetzen. Abstützungen, Transport, Ausführung – alles war „maximal gemanagt“, wie Haack es in einem Interview selbst ausdrückt. Anfänglich wurde der Tunnel noch in dreieckiger Form konstruiert (siehe Bild), jedoch stieg man schnell zu einer rechteckigen Form um – einen Meter auf einen Meter messend, abzüglich der Stützbalken.
57 Menschen in zwei Tagen
Der erfolgreichste Fluchttunnel wurde zwei Jahre später unter der Leitung von Fluchthelfer Wolfgang Fuchs, der bereits 1957 aus der DDR floh, gegraben: Der Tunnel 57 ermöglichte 57 Menschen innerhalb von zwei Tagen die Flucht von Ost- nach Westberlin. Nie konnten in der Geschichte der DDR mehr Menschen in derart kurzer Zeit vor dem SED-Regime fliehen. Ausgangspunkt war eine leerstehende Bäckerei in der Bernauer Straße 97 in West-Berlin. Von dort aus gruben 35 unermüdliche Fluchthelfer unter der Mauer durch, hinein in ein Toilettenhaus im Hof der Strelitzer Straße 55 den etwa 145 Meter langen und 12 Meter tiefen Tunnel. Kein Fluchtstollen war länger, keiner lag tiefer. Alles, was sieben Monate zuvor unter strengster Geheimhaltung geplant, berechnet und gegraben wurde, musste nach Fertigstellung einwandfrei funktionieren.
Losungswort „Tokio“
Am 3. Oktober war dann es so weit: Der Tunnel konnte die Flüchtlinge zu empfangen und auf sicherem Boden in einer leerstehenden Bäckerei in der Bernauer Straße 97 freilassen. Das Losungswort zum Tunneleingang im Osten lautete „Tokio“ und genau das fiel zwei vermeintlichen Fluchtwilligen in der zweiten Fluchtnacht nicht mehr ein – und machten kehrt. Wie kann das sein? Beide Männer waren Offiziere der Stasi und kamen kurze Zeit später mit vier DDR-Grenzposten zurück. Zu diesem Zeitpunkt haben bereits 57 Menschen sicher das westliche Gebiet erreicht. Unvermindert kam es im Osten zu Schusswechseln, bei denen Grenzsoldat Egon Schultz tödlich verletzt wurde. Dass der Soldat vom eigenen Kameraden getötet wurde, verheimlichte die Staatssicherheit. Das fatale Leck der Fluchtaktion hieß Horst Lange und wurde von der Stasi so bearbeitet, dass er ihnen, während die Flucht bereits in vollem Gange war, alle nötigen Informationen über das Projekt verriet …
Die Montgolfiers der DDR
Die Familien Wetzel (links im Bild) und Strzelczyk kauern auf dem kaum zwei Quadratmeter großen Blech. Ihre Arme umschlingen vier in der Mitte stehende Propangasflaschen. Ein Geländer aus fünf gespannten Wäscheleinen soll die acht Menschen davor bewahren, aus dem selbstkonstruierten Heißluftballon zu fallen. Ganze drei Ballons mussten die beiden Familien konstruieren, bis sie der letzte in die Freiheit brachte. Der erste Ballon ging nach übereiltem Abbruch eines Testlaufs kaputt. Beim zweiten reichte die Kraft des Brenners nicht aus. Erst die dritte Konstruktion verfügte über die ausreichenden Bedingungen, um die zwei Familien ganze 28 Minuten lang in über zwei Kilometern Höhe von Thüringen nach Bayern zu fliegen.
Eins, zwei – frei!
Die mühsame Arbeit hatte sich gelohnt. Über Wochen hinweg nähten die Frauen nachts an den Regenstoffbahnen, errechneten die Männer die benötigten Maße und Flugbedingungen. Den Stoff konnten sie nur allmählich und in kleinen Mengen beschaffen. Alles andere wäre viel zu auffällig gewesen. Zeit für einen Test der dritten Ballon-Konstruktion hatten sie keine, weshalb es beim finalen Start auch zu unerwarteten Schwierigkeiten, wie einem Loch im Ballon, kam. Trotz aller Probleme und der schnellen, unsanften Landung erreichten Eltern und Kinder in der Nacht des 16. Septembers 1979 dennoch wohlbehalten den Westen.
18 Grad, 45 Kilometer, 26 Stunden
25. Juli 1971: Die Sonne geht langsam unter, als Peter Döbler seinen kleinen Beutel mit der lebensnotwenigen Ausrüstung ein paar Meter vom Strand entfernt in der Ostsee versenkt. Er schwimmt noch ein paar Bahnen hin und her, während sich der Strand bei Kühlungsborn allmählich leert. Dann holt er tief Luft und taucht ab. Behände schlüpft er in den Neoprenanzug, der an seinem mit Vaseline eingeschmierten Körper wie eine zweite Haut klebt, und legt Bleigürtel und Schwimmflossen an. Der Bleigürtel hält ihn konstant unter Wasser, damit ihn Suchscheinwerfer nicht erspähen. Wassertemperatur: 18 Grad Celsius. Noch. Bis nach Fehmarn sind es 45 Kilometer. Zwei Jahre lang hat der Arzt für diesen Moment trainiert. Seine Ziellinie: Die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland. Und die Freiheit.
Finish!
Er darf nicht auffallen, krault anfangs also nicht. Nachdem er zunächst starr nach Norden schwimmt, ändert er nach ein paar Stunden seinen Kurs und dreht gen Westen ab. 20 Stunden ununterbrochenes Schwimmen sind für Döbler kein Problem mehr. Sein Ziel wird er jedoch erst nach 26 Stunden erreicht haben. Dabei lässt er Patrouillenboote, im Nichts stochernde Suchscheinwerfer, Krämpfe und kräftezehrende Wellen hinter sich – bis ihn schließlich eine Yacht aufgabelt und an westliches Ufer bringt. Wann genau der Arzt die Ziellinie überquerte, vermag er nicht zu sagen. Und es ist auch völlig egal, denn das Ergebnis bleibt dasselbe.
Luxuswagen mit blindem Passagier
Ein Cadillac de Ville Baujahr 1957 besticht durch viele Merkmale: seiner formvollendeten Karosserie, der edlen Ledergarnitur im Inneren und diesem „Je ne sais quoi“ (zu Deutsch: „Ich weiß nicht genau was“), das amerikanische Luxusschlitten so mit sich bringen. Durch was der Cadillac zudem besticht, wussten Fluchtwillige jedoch ganz genau: sein riesiges Armaturenbrett, hinter dem sich problemlos ein Mensch verstecken kann. Bequem war das sicher nicht – aber seinen Zweck hat es zwischen 1964 und 1967 in über 200 Fällen erfüllt. Hätte ein Grenzsoldat den Cadillac auf Herz und Nieren überprüfen wollen, dann hätte er schon am für gewöhnlich unter Spannung stehenden Zigarettenanzündern rumwerkeln müssen. 1967 wagte ein tschechischer Grenzsoldat tatsächlich einen genaueren Blick, woraufhin der Wagen konfisziert wurde.
Fluchtdrama in Nordhessen
Doch nicht alle Versuche, den Staatsapparat der DDR auszutricksen, sind geglückt. In der Nähe der nordhessischen Kurstadt Bad Sooden-Allendorf spielte sich am 29. März 1982 eines von vielen Fluchtdramen ab. Für Heinz-Josef Große ist dieser Tag kein gewöhnlicher Arbeitstag. Zwar geht er wie gewohnt morgens aus dem Haus hin zu seinem Radlader an der Grenze, um Erdarbeiten durchzuführen – doch hat er nicht vor, nach getaner Arbeit am Abend wieder in seine vier Wände in Ostdeutschland zurückzukehren …
Auf Warnschüsse folgte gezieltes Feuer
Als Zivilist, der an der Grenze arbeitet, ist der 34-Jährige fast nie ohne Bewacher. Nachdem sich diese an dem Montag mit ihrem Jeep entfernt haben, ergreift Große seine Chance. Schnell fährt er an eine Stelle, wo er den Auslegerarm seines Traktors über den Grenzzaun legt. Hastig klettert der Arbeiter auf den Ausleger, springt runter und sprintet auf die steile Böschung der Grenzlinie zu. Doch die Grenzsoldaten sind mittlerweile zurückgeeilt und feuern Warnschüsse ab. Als die den Flüchtigen jedoch nicht aufhalten, schießen sie gezielt auf Große – und treffen ihn tödlich im Rücken. Seit Oktober 1991 erinnert das Grenzmuseum „Schifflersgrund“ nahe Bad Sooden-Allendorf mit einer eigenen Ausstellung an das Schicksal von Heinz-Josef Große.
Ihr kommt hier nicht vorbei!
So wie Große ergeht es vielen. Die Anatomie des antifaschistischen Schutzwalls ist dermaßen durchdacht, dass niemand sie auf natürlichem Weg durchdringen kann. Stacheldraht, meterhohe Zäune, Selbstschussanlagen, Minen, abgerichtete Hunde, Lichttrassen, Wachtürme, Grenzsoldaten: All das säumte den sogenannten Todesstreifen und sollte dafür Sorge tragen, dass keinem die Flucht von Deutschland nach Deutschland gelingt. Wachtürme an der Ostseeküste waren mit gewaltigen Scheinwerfern ausgestattet, die 13 Kilometer weit ins Inland und aufs Meer strahlten. Eine eigene Stromversorgung garantierte, dass niemand die Strahler manipulieren konnte.
Was passierte mit gefassten Flüchtlingen?
Der Mann mit dem goldenen Mercedes
Ab 1962 versuchte die BRD, politische Gefangene freizukaufen. Mit Einnahmen von insgesamt rund 3,5 Milliarden D-Mark war der Häftlingsfreikauf bis zum Fall der Mauer ein willkommener Geldlieferant für die DDR. Eine entscheidende Schlüsselfigur dabei war der Ostberliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel. Er arrangierte den Freikauf politischer Häftlinge aus der DDR in den Westen und war für westdeutsche Politiker eine unentbehrliche Kontaktperson. Allerdings war die Person Vogel höchst umstritten: Wo er für die einen den Weg zur Freiheit ermöglichte, stellte er für die anderen den Anwalt des Teufels dar, der stark von den Freikäufen profitierte – und sich davon wenig bescheiden einen goldenen Mercedes gönnte. So umstritten und mysteriös Vogel auch sein mag, war er doch für viele gescheiterte Flüchtlinge die zweite Chance in die Freiheit.