Im März 2016 taucht im Netz eine außergewöhnliche Stellenausschreibung auf. Die Anforderungen: Ein fliegerärztliches Tauglichkeitszeugnis, eine Pilotenlizenz und/oder ein Tauchschein. Eine gute geistige und körperliche Verfassung solle man haben, medienerfahren sein. Ein Studium der Naturwissenschaften, im Ingenieurwesen oder eine Ausbildung im Militärwesen vorweisen können. Wer fließend Englisch und Russisch spricht, gehört schnell zur engeren Auswahl. Und wozu das alles? Gesucht wird die erste deutsche Astronautin für „die Durchführung einer Mission zur Internationalen Raumstation im Zeitraum 2019/2020“. Einsendeschluss ist der 30. April. Was steckt hinter dem einprägsamen Jobangebot?
Elf Männer, null Frauen – das soll sich ändern
Nicht ohne Grund reden wir Deutschen von der beMANNten Raumfahrt. Denn seit 1961 hat es wirklich keine deutsche Frau ins Weltall geschafft. Bislang war es elf deutschen Männern vergönnt, die Erde von der Internationalen Raumstation aus zu betrachten, dort zu leben und zu forschen – darunter der Pionier der deutschen Raumfahrer Sigmund Jähn und der letzte ISS-Deutsche Alexander Gerst.
Seit dem ersten Mann im Weltraum, dem Russen Juri Gagarin, haben sich knapp 60 Frauen der Reise ins All gestellt. Im internationalen Vergleich steht Amerika mit 29 Frauen auf Platz eins. Russland folgt abgeschlagen mit drei Kosmonautinnen auf Platz zwei – darunter die erste Frau im All, Valentina Tereschkowa im Jahr 1963. Die italienische Kampfpilotin und Astronautin Samantha Cristoforetti war die letzte Frau im All und hat 2015 sogar einen neuen weiblichen Langzeitrekord im All aufgestellt: 195 Tage verbrachte sie am Stück auf der ISS.
Gesucht: „Die Astronautin“
Im August 1986, vor knapp 30 Jahren, bewarb sich Claudia Kessler bei der Vorgängerorganisation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) um einen Platz als Freiwillige für einen Flug ins All. Auch damals gab es eine ähnliche Stellenausschreibung wie in diesem Jahr. Allerdings steckte Kesser zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung noch mitten in ihrem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München – ein Umstand, der die Seifenblase platzen ließ.
2016 startete sie einen neuen Versuch – diesmal nicht mit dem Ziel, die erste Deutsche im All zu SEIN, sondern sie zu FINDEN. Und zwar mit einer privaten Initiative namens „Die Astronautin“. Bis zum Herbst 2016 sollen die Planungen der Mission und der Finanzierung durch Sponsoren und Crowdfunding abgeschlossen sein, damit 2017 die Ausbildung starten kann. Zweck der Mission ist unter anderem, mehr über das Verhalten des weiblichen Körpers in der Schwerelosigkeit zu erfahren, denn dazu liegen bislang nur wenige Daten vor. Wie reagiert das weibliche Herz-Kreislaufsystem? Wie passen sich die Körpertemperatur und Muskulatur an die ungewöhnlichen Verhältnisse an?
Wer löst das „Ticket to Space“?
Mittlerweile ist Claudia Kessler Geschäftsführerin der deutschen Niederlassung des Unternehmens HE Space, einer Zeitarbeitsfirma für Raumfahrt. Sie versteht es also, Fachkräfte für die Raumfahrtbranche zu akquirieren und an die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) zu vermitteln. Ihre Idee begründet sie wie folgt: „Ich habe super ausgebildete promovierte Ingenieurinnen kennengelernt, die Astronautin werden wollen. Doch eine offizielle Ausschreibung ist nicht in Sicht.“ Derzeit rechnet sie mit rund 500 Bewerbungen für die Stelle, deren Absenderinnen eine Reihe spezieller Tests durchlaufen müssen. Aus allen Bewerbungen werden dann im Herbst zwei Finalistinnen ausgewählt. Sie stellen sich daraufhin den enormen körperlichen und geistigen Herausforderungen des Astronautentrainings – und eine von ihnen löst im Idealfall 2019 das Ticket ins All.
Billig ist das Projekt allerdings nicht. Kessler schätzt, dass 30 bis 40 Millionen Euro benötigt werden, um das Vorhaben zu realisieren. Mehrere Organisationen und Unternehmen, wie das europäische Netzwerk „Women in Aerospace“ und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt unterstützen bereits die Initiative. Weiteres Geld soll über Crowdfunding Plattformen und Sponsoren fließen.