Es ist der 14. April 1912, kurz vor Mitternacht. Frostige Luft liegt über dem Atlantik. Die Titanic, das größte Schiff der Welt, schiebt sich majestätisch durch die sternklare Nacht. Alle Maschinen laufen auf Hochtouren. Es ist ungewöhnlich kalt in diesem Jahr, und die Funker sind wachsam: Immer wieder kommen Warnungen herein, Schiffe berichten von großen Eisfeldern und plötzlich auftretenden Eisbergen. Doch auf der Titanic, die als unsinkbar gilt, fühlt man sich sicher. Niemand ahnt, dass sie, das größte Schiff der Welt, der strahlende Star, in wenigen Stunden auf dem Grund des Meeres liegen wird – und dass von den 2200 Menschen an Bord nur ein Bruchteil dieses Unglück überleben wird.
Das Ende von Kleindeutschland
Das größte zivile Schiffsunglück der USA ereignete sich 1904. Auf dem New Yorker East River geriet der Schaufelraddampfer General Slocum in Brand und versank im Fluss. 1.021 Menschen kamen dabei ums Leben, möglicherweise sogar mehr, denn Kinder brauchten damals keine Fahrkarte zu lösen. Die Fahrt auf dem Dampfer war ein Ausflug der deutschen Enklave in New York gewesen. In diesem Kleindeutschland lebten damals rund 80.000 Immigranten. Nun musste fast jede Familie einen oder sogar mehrere Todesfälle verkraften. Viele zogen deshalb weg, und die einst so lebendige deutsche Gemeinde löste sich auf.
Der Mythos um die Titanic
Der Untergang der Titanic, inzwischen über hundert Jahre her, ist das berühmteste Schiffsunglück der Geschichte. Es zeigte der Menschheit, dass selbst technische Höchstleistungen gegen die Gewalt der Natur machtlos sein können. Noch heute bewegt das Unglück Schriftsteller, Regisseure und Künstler wie kaum ein anderes. James Camerons Verfilmung der Katastrophe etwa galt viele Jahre lang als erfolgreichster Film aller Zeiten. Erst kürzlich wurden Überbleibsel aus dem Wrack der Titanic versteigert – schon eine Speisekarte aus dem berühmten Schiff wechselte für 76.000 Pfund den Besitzer. Dabei ist der Untergang der Titanic bei weitem nicht die schlimmste Katastrophe der Seefahrt: Im Laufe der Geschichte kam es immer wieder zu Unglücken, die sogar noch mehr Menschenleben forderten, heute aber nahezu in Vergessenheit geraten sind.
Der Untergang der Wilhelm Gustloff
Das größte Schiffsunglück der modernen Zeit jedoch war der Untergang der Wilhelm Gustloff im Jahr 1945. Der Sowjetunion war zu dieser Zeit der Durchbruch an der Ostfront geglückt, und die verbliebenen Deutschen in Ostpreußen sahen sich eingekesselt von der Roten Armee. Jeglicher Fluchtweg über Land war abgeschnitten. Doch die Nationalsozialisten weigerten sich, die Region zu evakuieren. Bis zum letzten Mann sollte Widerstand gegen Stalins Truppen geleistet werden.
Drama auf den Philippinen
Am Morgen des 20. Dezember 1987 ging ein markerschütterndes Krachen über die See: Die philippinische Fähre Doña Paz war auf ihrem Weg nach Manila mit einem vollbeladenen Öltanker zusammengestoßen. Die gefährliche Fracht explodierte, und innerhalb von Minuten standen die beiden schweren Schiffe in Flammen. Und nicht nur das: Die Doña Paz war auch völlig überladen. Auf dem Schiff befanden sich rund 4.400 Menschen, obwohl es gerade mal für 1.518 Personen ausgelegt war. Das Feuer breitete sich so schnell aus, dass den meisten keine Chance blieb. Nur 26 Menschen überlebten das Unglück. Es gilt heute als schwerste Schiffskatastrophe in Friedenszeiten.
Flammeninferno auf dem Mississippi
Immer noch zweihundert Menschen mehr als beim Untergang der Titanic kamen 1865 auf der Sultana ums Leben. Der Raddampfer sank in den frühen Morgenstunden des 27. April auf dem Mississippi, als einer der Heizkessel explodierte. Innerhalb kürzester Zeit stand das ganze Schiff in Flammen - der Schein des Feuers war noch im 15 Kilometer entfernten Memphis zu sehen. Etwa 1.800 der 2.400 Passagiere auf der Sultana fanden bei der Explosion den Tod. Damit ist der Untergang das schlimmste Unglück in der amerikanischen Schifffahrt. Die Katastrophe ereignete sich in den letzten Wochen des Bürgerkriegs, und so waren vor allem befreite Soldaten an Bord. Sie sollten zurück in ihre Heimat gebracht werden.
Katastrophe für die Umwelt
Schiffskatastrophen können auch für die Natur fatale Folgen haben. Als die Exxon Valdez im Jahr 1989 im südlichen Alaska auf ein Riff auflief, traten 40.000 Tonnen Öl aus und verursachten eine der schlimmsten Umweltkatastrophen der Seefahrt. Die Ölpest zog sich über zweitausend Kilometer an der Küste entlang. Hunderttausende Vögel, Fische und andere Tiere verendeten qualvoll. Die Exxon Valdez wurde repariert und ist noch heute unter anderem Namen in Betrieb.
Rätsel um die Estonia
Die schwerste Schiffskatastrophe in der europäischen Nachkriegsgeschichte ist noch gar nicht lange her: Am 28. September 1994 kenterte die Ostseefähre Estonia vor der Küste Finnlands und riss dabei 852 Menschen, mehrheitlich Schweden, in den Tod. Warum das Schiff sank, konnte bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden. Die Fahndung nach der Unglücksursache wurde von offiziellen Stellen massiv behindert. Immer wieder gab es Hinweise, dass sich auf der Estonia illegale Waffen und Schmuggelware befanden, deren Existenz vertuscht werden sollte, und dass die estnische Mafia ihre Finger im Spiel gehabt habe. Der Kapitän Avo Piht und sieben andere Besatzungsmitglieder, die das Unglück eigentlich überlebt hatten, verschwanden nach ihrer Rettung spurlos. Und: Bis heute verbietet die schwedische Regierung bei Strafe, sich dem Wrack zu nähern. War der Untergang also geplant, ein gezielter Anschlag? Es bleibt ein Rätsel.
Russen hielten die Wilhelm Gustloff für ein Kriegsschiff
Schwieriger noch gestaltete sich die Überfahrt: Die Wilhelm Gustloff musste Kriegsgebiet passieren. Um verdeckt in Küstennähe zu fahren, war sie nun zu schwer. So dauerte es nicht lange, bis ein sowjetisches U-Boot das vermeintliche Kriegsschiff entdeckte und bombardierte. 9.000 Menschen fanden dieser kalten Januarnacht, wenige Monate vor Kriegsende, den Tod. Auch andere Schiffe erlitten damals ein ähnliches Schicksal: Beim Untergang der Goya am 16. April 1945 kamen rund 7.000 Menschen ums Leben, und bei der Bombardierung der Cap Arcona am 3. Mai starb ein großer Teil der 4.600 ehemaligen KZ-Häftlinge an Bord.
Tausende Flüchtlinge auf engstem Raum
Einige Schiffe, darunter die ursprünglich als Kreuzfahrtschiff gedachte Wilhelm Gustloff, sollten allerdings verwundete Soldaten aus der Region abtransportieren. Sie wurden zur letzten Hoffnung für die ausharrende Bevölkerung. Als das Schiff am 30. Januar 1945 in Gdingen ablegte, hatten sich neben die 1.500 Wehrmachtsangehörigen rund 8.000 Flüchtlinge gequetscht. Die Wilhelm Gustloff, die ursprünglich für nicht einmal zweitausend Menschen ausgelegt war, war damit völlig überladen.
Totgeschwiegen
Die RMS Lancastria war in den zwanziger Jahren ein beliebtes Ferienschiff. Britische Touristen schipperten mit dem imposanten Kreuzer über das Mittelmeer oder ließen sich auf der Nordroute den Wind Skandinaviens um die Nase wehen. Doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde die Lancastria zum Frachter umfunktioniert: Statt Urlaubern sollte sie nun Soldaten und Kriegsmaterialien befördern.1940 ankerte die Lancastria vor Frankreich, um britische Flüchtlinge zu evakuieren. Wie viele sich letztlich an Bord drängten, ist heute unklar - Schätzungen gehen von 4.000 und 9.000 Menschen aus. Doch das Schiff wurde von deutschen Truppen bombardiert und sank in nur zwanzig Minuten. Gerade mal 2.477 Menschen konnten gerettet werden. Bis heute versucht die britische Regierung, die vermeintliche Schmach nicht an die große Glocke zu hängen. Das Wrack wird noch immer nicht als Kriegsgrab anerkannt.
Überladene Fähren, nachlässige Behörden
Auch das zweitschlimmste Unglück nach dem Zweiten Weltkrieg ereignete sich auf einem völlig überladenen Schiff. Die senegalesische Passagierfähre Le Joola kenterte am 26. September 2002 auf dem Weg nach Dakar. Zahlreiche Studenten befanden sich an Bord, die zur Universität zurückkehren wollten. Statt der vorgesehenen 550 Passagiere drängten sich fast zweitausend Menschen auf der kleinen Fähre. Eine Band spielte, es wurde getanzt und gesungen. Am späten Abend jedoch geriet die Le Joola in einen Sturm. Die hohen Wellen warfen das Schiff um, und innerhalb von Minuten wurden 1.863 Menschen in den Tod gerissen. Noch tagelang schwamm das umgekehrte Boot im Wasser, wie ein Mahnmal gegen die Nachlässigkeit der Behörden. Das Schiff war nicht nur überladen gewesen, sondern für diese Strecke auch gar nicht zugelassen. Die aufgebrachte Bevölkerung zwang schließlich den senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade zum Rücktritt.
Vom Götterwind versenkt
Des einen Unglück ist des anderen Glück: Im 13. Jahrhundert war Kublai Khan, seines Zeichens Enkel von Dschingis Khan und mächtiger Mongolenherrscher, von dem Gedanken beseelt, das japanische Kaiserreich zu erobern. Gleich zwei Mal schickte er umfangreiche Flotten auf See, die das Land einnehmen sollten. Und tatsächlich gelang es den mongolisch-koreanischen Streitkräften sogar, einen Fuß auf die japanische Insel Kyushu zu setzen. Doch was dann passierte, lässt sich nur als unglaubliches Glück für Japan beschreiben: Beide Male zog ein Taifun auf und zerstörte die Kriegsschiffe der Angreifer. Weit über hunderttausend Opfer, so glaubt man heute, musste Kublai Khan hinnehmen - zwei der größten Unglücke der Seefahrt. Seitdem glaubt man in Japan, das Land werde vom Kamikaze, dem Götterwind, beschützt.