Sechs mögliche Faktoren
Wenn Historiker nach den Ursachen für den Niedergang der USA forschen, spielt ein Datum eine entscheidende Rolle: Am 11. September 2001 greifen Terroristen mit Passagiermaschinen New York und Washington an und erschüttern die Supermacht in ihren Grundfesten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Welt die uneingeschränkte Überlegenheit Amerikas respektiert. Die USA sind Weltpolizei, Wirtschaftslenker und Militärmacht. Vor allem ihre militärische Überlegenheit am Himmel und im Weltraum macht sie nahezu unbezwingbar. Der US-Dollar ist die Leitwährung des Planeten und wird überall als Zahlungsmittel akzeptiert. Doch das ist vorbei ...
Eine Weltmacht, die ihren Zenit überschritten hat
Tatsächlich haben sich die Bilder von Amerika im 21. Jahrhundert radikal gewandelt: kaputte Straßen, Industrieruinen in den Metropolen, Bandenschießereien in den Städten und Leichensäcke von US-Soldaten in Afghanistan. Amerikaner werden im Ausland zu potenziellen Zielobjekten von Terroristen, das Land selbst ist hoch verschuldet, sogar von Konkurs ist derzeit die Rede. „Die USA zeigen alle Symptome einer Weltmacht, die ihren Zenit überschritten hat“, erklärt der französische Historiker Emmanuel Todd. Und in den Startlöchern stehen schon längst mögliche Nachfolger. Vor allem China stellt unverhohlen Weltmachtansprüche und folgt damit einem Gesetz der Geschichte: Eine alte Weltmacht wird immer von einer neuen abgelöst. So ist es auch beim Aufstieg der USA: Er beginnt mit dem Niedergang der europäischen Großmächte: 1898 das Königreich Spanien, 1917 das Deutsche Kaiserreich und 1945 das Britische Empire. 1991 löst sich dann die Sowjetunion auf, zerbricht an ihrer Misswirtschaft und ihren Rüstungskosten. Die USA werden zur einzigen Supermacht der Erde - doch ausgerechnet auf dem Höhepunkt beginnt ihr Verfall.
Wie groß darf eine Weltmacht werden?
Am Morgen des 29. Oktober 1588 hat sich der Sturm gelegt. Es ist der Schlusspunkt in der bis dahin größten Seeschlacht der Geschichte. Sie dauerte über zwei Monate. Britische Kriegsschiffe und stürmisches Wetter vernichteten die Flotte Spaniens: 64 Schiffe sanken, 12.000 Seeleute und Soldaten ertranken oder wurden als Schiffbrüchige an den Stränden Britanniens erschlagen. England feierte den Sieg als Rettung vor dem Untergang. Doch das war nur Show. In Wahrheit war Spaniens Macht so sehr gefährdet, dass König Philipp II. seine Schiffe zu einem Verzweiflungsangriff ausschickte. Denn das spanische Weltreich war zu diesem Zeitpunkt so gut wie bankrott. Die Niederlage von 1588 besiegelte den Niedergang Spaniens als vorherrschende Seemacht und markierte den Beginn des Britischen Empires.
Britische Kolonien
1850 hatte England Spanien und Frankreich als Kolonialmacht übertrumpft – das Empire war jetzt das größte Weltreich überhaupt –, und genau dies war sein Untergang. Die immensen Verwaltungskosten fraßen die Gewinne aus dem Kolonialhandel auf - zu weit verstreut lagen die britischen Territorien; Seewege und Stützpunkte mussten beschützt werden. Das Empire geriet in eine Schuldenkrise, ähnlich wie heute die USA. Als 1914 in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach, hatte das Empire keinen finanziellen Spielraum mehr. Der Zweite Weltkrieg verschärfte die Situation: Großbritannien ging zwar als einer der Sieger daraus hervor - als Weltmacht jedoch war es finanziell gescheitert.
Faktor 1: Schulden
Faktor 2: Energieknappheit
Wie wichtig vergleichsweise die Erdölimporte für die USA sind, macht folgende Kalkulation deutlich: Experten schätzen, dass die Vereinigten Staaten nur 90 Tage gänzlich ohne Erdölzufuhren überleben könnten. Industrie, Infrastruktur und Militär würden zusammenbrechen: Kein anderes Land ist so abhängig vom Öl. Und kaum eine andere Industrienation investiert so wenig in die Erforschung alternativer Energiequellen. Wenn das Öl ausgeht, gehen die USA unter wie Rom, als es den Zugang zu den Getreidefeldern verlor.
Wie viel Militär braucht ein Imperium?
In der Weltgeschichte der Imperien nimmt die Sowjetunion eine Sonderrolle ein. Sie wächst nicht, indem sie Territorien erobert. Sie übernimmt einfach ein bereits existierendes Riesenreich: das zaristische Russland. Zwei Männer werden diese neue Supermacht namens Sowjetunion prägen: der Visionär und Stratege Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin. Nach seinem plötzlichen Tod 1924 kann Josef Stalin die internen Machtkämpfe für sich gewinnen. Stalin treibt die Industrialisierung und Militarisierung auch nach dem Zweiten Weltkrieg massiv voran, um die 19.000 Kilometer langen Grenzen zu schützen - und um auf Augenhöhe mit den USA zu bleiben. Dabei stützt sich die UdSSR fast ausschließlich auf zwei Machtquellen: erstens auf das Militär. Bis zu 5,7 Millionen Mann stark ist das stehende Heer. Und zweitens auf die Ideologie des Kommunismus. Ihr wird alles untergeordnet - vor allem wirtschaftliches Denken.
Das Ende des kommunistischen Weltreichs
Im Jahr 1980 muss die UdSSR das Sechsfache ihres Bruttoinlandsprodukts für die Aufrechterhaltung des Militärs aufwenden - d. h. allein die Armee verschlingt sechsmal mehr, als die Sowjetunion insgesamt erwirtschaftet. Zehn Jahre später löst sich die Sowjetunion auf - fast wie durch ein Wunder weitgehend friedlich. Doch den Todesstoß versetzte sich das kommunistische Weltreich bereits elf Jahre zuvor. 1979 will die UdSSR die kommunistische Regierung in Afghanistan gegen die religiösen Warlords stärken. Doch die werden von den USA unterstützt und verstricken die Sowjets in einen langen und blutigen Guerillakrieg, der für die Rote Armee nicht zu gewinnen ist. Nach dem Abzug der Truppen im Jahre 1989 verliert die UdSSR ihren Schrecken als vormals unbesiegbare Militärmacht. Außerdem steht das Regime vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Misswirtschaft und Rüstungskosten haben das Land endgültig ruiniert.
Faktor 3: Rüstung
Zehn Jahre Krieg gegen den Terror haben die USA – ähnlich wie die Sowjetunion – in finanzielle Bedrängnis gebracht. Präsident Obama versuchte, das wirtschaftliche Ungleichgewicht zu beseitigen, indem er die Militärausgaben senkte und Truppen aus Afghanistan abzog. Doch das allein reichte nicht, denn die Rüstungskosten der USA wurden für 2011 mit über 698 Milliarden US-Dollar veranschlagt worden – das sind aktuell 43 Prozent der weltweiten Militärausgaben. Die USA stehen jetzt vor der entscheidenden Frage: Wie viel Rüstung brauchen sie, um nicht unterzugehen wie die Sowjetunion – und wie viel können sie sich wirtschaftlich in Zukunft noch leisten, um als Weltmacht weiterzubestehen?
Kann eine Weltmacht an Altersschwäche sterben?
Militär, Wirtschaft, Politik und Ideologie: Bei keinem anderen Reich der Weltgeschichte herrscht ein so perfektes Gleichgewicht zwischen den Quellen der Macht, wie im alten Ägypten: Gegen die ägyptische Rüstungstechnologie hatten andere Völker militärisch keine Chance. Vom Nil aus erweiterten die Ägypter ihr Verkehrsnetz und führten schon bald intensiven Handel. Die Pharaonen setzten auch auf Diplomatie und sahen sich als direkte Mittler zwischen den sterblichen Menschen und den unsterblichen Göttern. Den Anspruch darauf untermauerten monumentale Bauten wie die Pyramiden.
Monumentalbauten als Siegel des Untergangs
Dieses System der Macht überlebte insgesamt fast 3000 Jahre - eine unvorstellbar lange Zeit für ein Imperium, das nur sehr langsam zu altern schien. Am Ende war es aber genau dieser Überalterungsprozess, der Ägyptens Macht vergehen ließ. Die Monumentalbauten verschlangen Unmengen an Arbeitskräften, Rohstoffen und Geld. Kein Pharao wagte es, dieses System zu reformieren – zu groß war die Ehrfurcht vor der alten Tradition. Als die Römer Ägypten schließlich unterwarfen, war das Pharaonenreich nur noch ein Schatten seiner selbst – ein Imperium, das bereits im Sterben lag.
Faktor 4: Stillstand
Wie alt ein Weltreich im 21. Jahrhundert werden kann, weiß niemand. Stillstand ist aber immer ein sicheres Zeichen für Überalterung. In den USA lehnen immer mehr US-Bürger einen gesellschaftlichen Wandel ab: politisch, kulturell und ökologisch. Ultrakonservative Strömungen wie die Tea-Party-Bewegung haben großen Zulauf. Ihre Ziele: möglichst keine Veränderung. Die spannende Frage dabei ist, wie viel Stillstand sich die aktuelle Supermacht USA leisten kann.
Wie viele Feinde stürzen ein Imperium?
Mehr als 1000 Jahre lang war China eine Supermacht, von der in Europa niemand etwas ahnte. China blieb auch deshalb so lange unentdeckt, weil es nie versucht hatte, in Richtung Europa zu expandieren. Ein Grund: Das Land war zu sehr mit internen Machtkämpfen beschäftigt. Um 475 v. Chr. kämpften sieben Dynastien brutal um die Vorherrschaft. Erst 254 Jahre später gelang es dem König der Qin-Dynastie, China zu einem Reich zu vereinen. Er nannte sich „Erster erhabener Gottkaiser von Qin“ - und war ein grausamer Despot. Gewalt und Fortschritt ziehen sich wie ein roter Faden durch die 2000-jährige Geschichte des Chinesischen Reiches - als seine politische und militärische Quelle der Macht.
Britisches Empire als Drogenkartell
Doch das System aus Verschwörungen und Geheimbünden, die immer wieder um die Macht kämpften, war letztlich auch die Ursache für den Untergang des Reiches: China war zu schwach, um sich gegen einen äußeren Feind zu wehren, der das Land nicht einmal militärisch besiegen musste. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts flutete das Britische Empire im Stil eines mexikanischen Drogenkartells den chinesischen Markt mit Opium aus Indien. In der Folge kam es zu gewalttätigen Unruhen. Beim Taiping-Aufstand, einem der blutigsten Bürgerkriege der Weltgeschichte, starben 20 Millionen Chinesen - das Reich ging unter. China hatte es an den Drogenhandel verloren.
Faktor 5: Drogen
Die USA stehen heute vor einem ähnlich dramatischen Problem: 36 Millionen Amerikaner konsumieren pro Jahr ca. 350 Tonnen Kokain, das über die mexikanische Grenze ins Land gebracht wird. Jährlich wandern 30 Mrd. Dollar in die Hände der Drogenkartelle, die mittlerweile mehr Geld besitzen als manche europäische Staaten und in den USA immer einflussreicher werden.
Wie viel Freiheit hält ein Imperium aus?
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Für Napoleon Bonaparte sind das mehr als nur die Schlagworte der Französischen Revolution – diese Begriffe sind seine Mission. Er will ganz Europa von den Ketten der Monarchie befreien.
Reine Machtpolitik statt Freiheit
Doch der Mann, der ausgezogen war, die Adelsherrschaft in Europa zu beenden, beginnt sich in Widersprüche zu verstricken. Er, der Königshasser, lässt sich selbst zum Kaiser krönen und verspielt so die Sympathien aller freiheitsliebenden Europäer. Sein Wille, Europa zu reformieren und neu zu gestalten, verkommt zur reinen Machtpolitik. Größenwahn beherrscht fortan sein Denken. Der Russlandfeldzug 1812 besiegelt seinen Untergang - und den des Napoleonischen Weltreichs gleich mit. Napoleons Stärke erwuchs aus der Überzeugung, einer gerechten Mission zu dienen. Das Schlimmste, was er tun konnte, war, diesen Gedanken zu verraten.
Faktor 6: Größenwahn
Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, wollten auch sie mit einer Mission die Welt verändern. Der damalige Präsident Woodrow Wilson hatte sie so formuliert: einen Krieg zu führen, um alle Kriege zu beenden. Wilsons Annahme erwies sich als falsch. Jeden Krieg haben die USA seitdem angeblich im Namen der Demokratisierung geführt. Schlimmer noch: Die Fotos von Gräueltaten der US-Armee im Irak, die Foltervorwürfe und Kriegslügen der US-Regierung unter George W. Bush haben den Glauben an die Wahrhaftigkeit der amerikanischen Mission weltweit stark erschüttert. Wie gesagt - eine Mission zu haben macht stark, sie zu verraten kann den Untergang bedeuten.