Oberägypten, 1945: Der Bauer Muhammad Ali findet unweit der Stadt Nag Hammadi ein vergrabenes Tongefäß. Darin entdeckt er alte, in Leder gebundene Bücher. An diesem Tag befreit Ali, was lange tabu war: die verlorene Geschichte von Jesus.
Gemäß der gnostischen Evangelien war Jesus höchstwahrscheinlich verheiratet
Seit mehr als 1600 Jahren hat die Kirche versucht, die sogenannten gnostischen Evangelien (Apokryphen) aus der Geschichte zu tilgen. Um das zu verstehen, hilft ein Blick auf das 4. Jahrhundert n. Chr. Als Kaiser Konstantin in Rom das Christentum zur Staatsreligion erklärt, existieren bereits Hunderte Glaubensrichtungen und jede kennt ihr eigenes Evangelium.
Die Folge: inhaltliche Konflikte und ein Machtkampf über die Ausrichtung der Kirche. Schließlich setzen sich die vier Evangelien durch, die im Kern als Neues Testament bekannt sind. Alle übrigen werden verbannt. 1945, nach Muhammad Alis Entdeckung, aber kommen Fragen auf. War Jesus verheiratet? Bis heute begründet sich das Zölibat auf der Annahme seiner Enthaltsamkeit. Fakt aber ist: Jesus war Jude und Rabbi – und damit gemäß damals herrschender Glaubensgrundsätze wohl auch Ehemann und Vater.
Die Kirche verschweigt: Einige gnostische Evangelien kennen womöglich den Namen seiner Frau: Maria Magdalena. Jene Frau, der er nach der Auferstehung zuerst erscheint und die er laut dem in Nag Hammadi gefundenen Philippus-Evangelium „immer auf den Mund küsst“ und „mehr liebt als alle anderen Jünger“.
Wurde das Christentum in Wirklichkeit von einer Frau gegründet?
Würdigten männliche Kirchenoberhäupter die Rolle der Frau während der Entstehung des Christentums systematisch herab? Weil Jesus womöglich gar nicht Petrus den Auftrag gab, seine Kirche zu gründen, sondern seiner Frau? Auch ein anderer in Nag Hammadi gefundener Text gibt Rätsel auf: Das „Thomas-Evangelium“ beginnt mit dem Satz: „Dies sind die geheimen Worte, die Jesus, der Lebendige, sprach“ – und wird dennoch ignoriert.
„Womöglich, weil es erwähnt, dass Jesus einen Zwillingsbruder hatte“, sagt Elaine Pagels (Universität Princeton). Für die Kirche ein Sakrileg! Die Bibelforscher Peter Gandy und Timothy Freke halten das Neue Testament gar für ein Plagiat, das sich von älteren Mythen ableitet. Tatsächlich ähnelt z. B. die Sage von Osiris verblüffend der Jesusgeschichte: Er ist Gottes fleischgewordener Sohn, erlöst die Menschheit, wird von einer Jungfrau am 25. Dezember geboren und verwandelt Wasser in Wein.