Es ist eine der aufsehenerregendsten Mutationen, die die Natur zu bieten hat: Lebewesen, die mit zwei Köpfen geboren werden. Weil sie so selten sind, üben sie eine ungeheure Faszination auf uns aus. Doch wie entstehen solche Geschöpfe eigentlich?
Zwillingsglück und Mutation: In der Natur liegen beide Ereignisse nah beieinander. Ein kleiner Fehler bei der Teilung der Eizellen im Mutterleib genügt und schon kommt es zu einer Fehlbildung. Man spricht in solchen Fällen von siamesischen Zwillingen oder Doppelfehlbildung und meint Menschen oder Tiere, deren Körper teilweise miteinander verwachsen sind. Die häufigste Form dieser Mutation ist die so genannte Dizephalie („Zweiköpfigkeit“), bei der sich lediglich Kopf, Hals und manchmal Organe des Oberkörpers doppelt ausbilden, während der Rest des Körpers von beiden Lebewesen gemeinsam genutzt wird.
Menschen und Tiere sind gleichermaßen betroffen
Solche Doppelkopf-Mutationen kommen in der Natur immer wieder vor. Dass man sie so gut wie nie zu Gesicht bekommt, liegt vor allem an der Überlebensfähigkeit der betroffenen Lebewesen: Oft sterben sie schon vor der Geburt im Mutterleib – doch selbst wenn sie das Licht der Welt erblicken, stehen ihre Chancen mehr als schlecht. Denn wenn sich zwei funktionierende Gehirne denselben Körper teilen, kommt es zwangsläufig zu Problemen. In Versuchen fanden Forscher heraus, dass bei Tieren mit Dizephalie beispielsweise oft unklar ist, welcher Kopf das Futter fressen darf oder in welche Richtung sich der gemeinsame Körper bewegen soll. In der freien Wildbahn sind das denkbar schlechte Voraussetzungen. Werden die Tiere im Zoo oder anderswo unter menschlicher Aufsicht geboren, haben sie hingegen bessere Überlebenschancen.
Beim Menschen verhält es sich nicht anders: Ein großer Teil der von Dizephalie betroffenen Embryonen stirbt bereits vor der Geburt im Mutterleib. Kommen die Kinder zur Welt, ist ihre Lebensdauer stark abhängig vom Grad der Fehlbildung. Eine operative Trennung ist bei Dizephalie nicht möglich, da nur wenige Organe doppelt vorhanden sind – im Unterschied zu den ganzen Körper betreffenden Formen der Doppelfehlbildung, wo solche Operationen die Überlebenschancen deutlich erhöhen. Dennoch kommt es auch vor, dass doppelköpfige Menschen mit ihrer Mutation ein verhältnismäßig langes Leben führen – wie zum Beispiel das US-Zwillingspaar Abigail und Brittany Hensel, das im Jahr 1990 geboren wurde. Die beiden Mädchen haben mittlerweile erfolgreich die Universität abgeschlossen, einen Job gefunden und erfreuen sich bester Gesundheit.
Doch was steckt hinter der Mutation? Bekannt ist, dass die Ausprägung einer Doppelfehlbildung davon abhängt, wann der Teilungsprozess von „Zwillings“-Eizellen im Mutterleib vorzeitig beendet wird. Was diesen Abbruch allerdings verursacht, ist nach wie vor unklar. In einigen Fällen dürfte es sich lediglich um eine Laune der Natur handeln – doch es ist zu vermuten, dass die Verschmutzung der Umwelt ein zunehmend wichtigerer Faktor ist. Von vielen Chemikalien ist bekannt, dass sie zu Gendefekten führen und damit Krebs oder andere Mutationen auslösen können. Das Gleiche gilt für Radioaktivität, wie ein Blick nach Tschernobyl zeigt: Dort wurde seit dem Atomunfall von 1986 eine deutliche Zunahme von Mutationen bei Tieren beobachtet. Und einige Forscher sind sich sicher, dass die im Golf von Mexiko immer häufiger entdeckten Fehlbildungen bei Fischen direkt mit der Ölkatastrophe der Deepwater Horizon von 2010 zusammenhängen. Handfeste Beweise dafür fehlen aber noch.
Faszination des Schreckens
So unklar die genauen Ursachen von Dizephalie nach wie vor sein mögen, eins ist deutlich: Die Doppelkopf-Mutation zieht Menschen unweigerlich in ihren Bann. Bei jeder Meldung über die Geburt eines derart missgebildeten Tieres lässt sich dies aufs Neue beobachten: Fotografen stehen Schlange und die Medien berichten begeistert. Auf den Gipfel getrieben haben es allerdings Forscher aus Hannover. Im Jahr 2007 manipulierten sie die Gene einer Qualle und ließen ihr auf diesem Weg einen zweiten Kopf wachsen. Zwar hatte dieses Erschaffen einer künstlichen Hydra einen wissenschaftlichen Hintergrund, man wollte mehr über die Entstehung solcher Mutationen herausfinden. Aber allein der damals von den Forschern gezogene Vergleich zu dem mehrköpfigen Fabelwesen aus der griechischen Mythologie macht deutlich, dass es bei diesem Thema auch um etwas ganz anderes geht: die Faszination des Schreckens.
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