Wer anderer Meinung ist, wird bestraft: Gewaltorientierte Linksextremisten üben immer öfter Selbstjustiz gegenüber dem Staat aber auch Einzelpersonen. Doch wer sind diese Menschen?
Als um 23 Uhr das kleine Glöckchen über der Tür klingelt, bricht die Hölle über Mustafa T. herein. Ein ganz in Schwarz gekleidetes und vermummtes Rollkommando stürmt seinen 20 Quadratmeter großen Kiosk in Berlin Kreuzberg – schlägt auf ihn ein und zertrümmert die Inneneinrichtung. Verzweifelt versucht Mustafa die Angreifer abzuwehren, doch er hat keine Chance. Nach einer Minute verschwinden die Vermummten wieder. Zurück bleibt der verletzte Mustafa T. und eine völlig zerstörte Ladeneinrichtung.
Zunächst vermutet die Polizei einen gescheiterten Überfall hinter der Tat. Doch schnell wird klar: Die Täter waren keine Räuber, sondern Vollstrecker. Mustafa wurde bestraft. Und sein einziges Verbrechen war, dass er die falsche Person nach ihrem Ausweis gefragt hatte. Doch wie kann das sein? Rückblick: Wenige Stunden vor dem Angriff betritt eine junge Frau Mustafas Laden und möchte ein Paket abholen. Da sie jedoch keinen Personalausweis hat, verweigert Mustafa die Herausgabe. „Ich habe ihr drei oder vier Mal erklärt, dass sie einen Ausweis braucht“, sagt Mustafa später. „Die Dame wollte das nicht verstehen.“ Stattdessen verlässt die Frau schimpfend den Laden – und schmeißt beim Gehen einen Aufsteller mit Schokoriegeln durch den Kiosk.
Mustafa eilt ihr hinterher und will sie zur Rede stellen. Als sie anfängt, zu weinen und um Hilfe zu schreien, lässt er sie gehen. Was er nicht ahnt: Der Vorfall wird schon bald ein Nachspiel haben. Denn die junge Frau gehört zur linksradikalen Autonomen-Szene. Einer Untergrundorganisation, die den deutschen Rechtsstaat nicht anerkennt und mittlerweile komplette Straßenzüge in Großstädten zu No-go-Areas für die Behörden erklärt.
Ein erschreckender Trend
Die Gewalttat in Kreuzberg passt zu einem Trend der vergangenen Jahre – und wirft ein Licht auf einen militanten Geheimbund, der zunehmend außer Kontrolle gerät. Meldungen über Anschläge auf AfD-Parteibüros, Gewaltausbrüche gegen Polizisten, Hausbesetzungen, Brandstiftungen oder Verwüstungen von ganzen Stadtvierteln (z.B. während des G20-Gipfels in Hamburg oder der Connewitz-Ausschreitungen in Leipzig) häufen sich.
Laut Verfassungsschutz hat sich die von alternativen Kommunen geprägte linksradikale Szene in den letzten 20 Jahren verändert. Die rund 9.000 „gewaltorientierten Linksextremisten“ sind heute international vernetzt, professionell organisiert und in einer Weise in sich geschlossen, wie man es bisher nur von islamistischen oder rechten Terrorzellen kannte.
Egal ob Staat oder Einzelperson
Neu ist laut Verfassungsschutz auch, dass sie dabei nicht nur den verhassten Staat angreifen, sondern auch unbeteiligte Zivilpersonen. So würden sie in ihren Revieren mittlerweile oft wie eine Gesinnungspolizei auftreten. Und wer ihren politischen Ansprüchen nicht gerecht wird, muss mit Drohungen, Schlägen oder fliegenden Pflastersteinen rechnen. Beispielsweise bedrohen im vergangenen Jahr Autonome in der von ihnen beanspruchten Rigaer Straße in Berlin Anwohner, als die für einen Verletzten, der auf offener Straße zusammengeschlagen wurde, einen Krankenwagen rufen. Die „verräterischen Anwohner“ werden später sogar in ihren Wohnungen ausfindig gemacht – und aufgefordert, sich einem sogenannten „Kiezgericht“ in einem besetzten Haus zu stellen.
In einem anderen Fall suchen im August 2018 ungefähr 15 Autonome im Gebäude der Senatsjustizverwaltung in Schöneberg einen Richter auf und bedrohen ihn, da sie mit seinen Urteilen unzufrieden sind. Eine „Denkhilfe“– wie sie ihre Aktion nennen. Als gewalttätige Selbstjustiz will die autonome Szene solche Taten allerdings nicht verstanden wissen. Schließlich wehre man sich „nur gegen einen repressiven Staat“ – und wie im Falle von Mustafa und den Nachbarn in der Rigaer Straße gegen die zivilen Erfüllungsgehilfen des Feindes.