Halb Mensch, halb Affe, riesengroß und stark behaart: Seit Hunderten von Jahren erzählt man sich in Nordamerika von einer unheimlichen Kreatur, die durch die Wälder der Rocky Mountains streifen soll. Die indianischen Ureinwohner nannten sie Sasquatch, was so viel wie „wilder Mann“ bedeutet.
Im Jahr 1917 berichtet der Trapper Albert Oswald von einer Begegnung mit dem unheimlichen Wesen: Er sei zum Jagen in den Wäldern British Columbias unterwegs gewesen, als ihn eine riesige Gestalt nachts aus dem Schlaf gerissen und ihn sich über die Schulter geworfen habe. Vor Schreck habe er das Bewusstsein verloren. Aus Angst, verspottet zu werden, behielt er seine Geschichte zwanzig Jahre für sich. Schließlich brach Oswald sein Schweigen, und ein Großteil der amerikanischen Öffentlichkeit glaubte ihm. Zahlreiche weitere Augenzeugenberichte folgten. Doch an ihrer Glaubwürdigkeit bestehen auch Zweifel – damals wie heute.
Seitdem bringen Wanderer, Jäger, Wildhüter und Bigfoot-Fans immer wieder Fotos und kurze Filmaufnahmen mit, die angeblich Begegnungen mit der geheimnisvollen Kreatur dokumentieren.
Eine der wohl berühmtesten Aufnahmen ist der Patterson/Gimlin-Film: Am 20. Oktober 1967 begegneten die Wissenschaftler Roger Patterson und Robert Gimlin einem Wesen, das sie für Bigfoot hielten, in einer ausgetrockneten Flussbiegung des kalifornischen Bluff Creek. Das Wesen suchte sofort das Weite, doch Patterson folgte ihm und filmte gleichzeitig mit einer 16-Millimeter-Filmkamera.
Die meisten Bilder des Films sind aufgrund der Verfolgung zu Fuß stark verwackelt und zeigen das Wesen nur verschwommen. Skeptiker hielten den Film für Hochstapelei. Sie glaubten, die Mängel des Materials seien beabsichtigt, um davon abzulenken, dass der Bigfoot in Wahrheit ein Mensch in einem Gorillakostüm sei. Und tatsächlich: Dreißig Jahre später gestanden die beiden Forscher, dass es sich bei den Aufnahmen um einen raffinierten Kostümfilm gehandelt hatte.
Überlebende Giganten der Vergangenheit?
Augenzeugen zufolge dauern Begegnungen mit dem Bigfoot immer nur Sekunden. Dabei hinterlässt er selten mehr als seine Fußabdrücke. Bigfoot-Anhänger haben einige dieser Abdrücke mit Gips ausgegossen und Wissenschaftlern vorgelegt. Die Echtheit dieser Abdrücke ist höchst umstritten. Dennoch haben die Forscher versucht, Rückschlüsse auf die Anatomie und Bewegungsweise des Wesens, das sie angeblich hinterlassen hat, zu ziehen.
Sollten die Fußabdrücke echt sein, wäre Bigfoot zwischen zwei Meter fünfzig und zwei Meter achtzig groß, zwischen 300 und 500 Kilogramm schwer und würde sich auf zwei Beinen fortbewegen. Hin und wieder werden auch Haarbüschel im Unterholz und Gesträuch gefunden, die Bigfoot zugeschrieben werden. Wenn es sich dabei um echte Haarproben handelt, ist das Analyseergebnis angesichts der Augenzeugenberichte wenig überraschend: Die Haarstruktur ist der von Primaten, also Menschenaffen, am ähnlichsten.
Einige Forscher vermuten, dass Bigfoot – wie auch der Yeti – Überlebende der Riesenaffenart Gigantopithecus sind. Noch weiß man nicht viel über diese Art, die vor etwa 120.000 Jahren ausgestorben ist, denn die bisher einzigen Fossilienfunde aus Zentralasien beschränken sich auf Backenzähne und Kieferüberreste. Und sollte Bigfoot tatsächlich ein Gigantopithecus sein, bleibt die Frage, wie sich die Art bis nach Nordamerika ausgebreitet haben könnte. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um einen Bären handelt. Braun- oder Grizzlybären können sich auf zwei Beinen fortbewegen – im Dunkel der Wälder könnte einer von ihnen wie ein unheimlicher Riesenmensch gewirkt haben.
Erfolge der Kryptozoologie
Für die meisten Wissenschaftler gehört Bigfoot zusammen mit seinen asiatischen Verwandten in das Reich der Fabelwesen. Es gibt kein Beweismaterial, das seine Existenz zweifelsfrei belegt. Trotzdem wird der Glaube daran aufrechterhalten – zum Beispiel durch die Kryptozoologie. Vertreter dieser umstrittenen wissenschaftlichen Disziplin halten Wesen wie den Bigfoot, den Yeti, aber auch das Monster von Loch Ness in Schottland für bisher unentdeckte Tierarten – so genannte Kryptide.
Anthropologen und Zoologen nehmen die Forschung der Kryptozoologie nicht ernst. Sie halten sie für unseriös, da wissenschaftliche Methoden ihrer Meinung nach nicht beachtet werden. Dennoch musste die streng traditionell eingestellte wissenschaftliche Gemeinschaft einige Zugeständnisse an die Kryptozoologie machen: Beispielsweise hielt sie das Okapi, den Komodowaran, den Quastenflosser und Berggorillas für reine Fantasiegeschichten von Einheimischen – bis zu ihrer Entdeckung im zwanzigsten Jahrhundert.
Kryptozoologen fühlen sich durch diese Entdeckungen in ihrem Forschungsanliegen bestätigt. Ob sie eines Tages aber auch die Existenz von Bigfoot beweisen können, muss vorerst offen bleiben.