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Ein alter Mann irrt nachts durchs Haus. Er trägt fünf Hemden übereinander, hat die Taschen vollgestopft mit Geschirr, Handtüchern, Zahnbürste – und will zur Schule. Eine Frau schreit unvermittelt ihre erwachsene Tochter an, fragt wer sie sei und behauptet, sie stehle ihre Sachen – um dann kurz darauf wie ein kleines Kind zu weinen. Diagnose in beiden Fällen: Alzheimer. Rund 1,5 Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an Demenz. Bis zum Jahr 2050 rechnet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft wegen der steigenden Lebenserwartung mit drei Millionen Betroffenen.
Was passiert im Gehirn?
Der Oberbegriff Demenz bezeichnet alle Krankheitsbilder, bei denen der Betroffene nahezu vollständig seine geistigen Funktionen wie Denken, Erinnern, die Orientierung und das Verknüpfen von Denkinhalten verliert. Die häufigste Form der Demenzerkrankungen ist die Alzheimer-Demenz. Unter ihr leiden zwei Drittel der Betroffenen. Hierbei stirbt langsam Nervenzelle für Nervenzelle im Gehirn ab – und das schon Jahre bevor die ersten Symptome auftreten.
Der Grund für die absterbenden Nervenzellen ist ein fehlerhafter Stoffwechselvorgang im Körper. Dabei werden entweder übermäßig viele Ablagerungen eines Eiweißproteins produziert oder der Körper baut die regulär entstehenden Eiweißablagerungen nicht richtig ab. Wie ein Gift greifen diese dann Nervenzellen, Synapsen und energieliefernden Mitochondrien an, die daraufhin absterben.
Was löst den fehlerhaften Stoffwechselvorgang aus?
Um die Antwort auf diese Frage ringen die Mediziner teilweise bis heute. Am besten bekannt sind die Ursachen für die sehr seltenen, frühen Fälle, die häufig innerhalb einer Familie auftreten. Hier lösen Fehler im Erbgut, sogenannte Mutationen, die übermäßige Produktion der Eiweißproteine aus. Für gewöhnlich treten die Symptome bei der erblichen Alzheimer-Erkrankung vor dem 60. Lebensjahr auf.
Bei der nicht-erblichen Alzheimer-Demenz spielen mehrere Faktoren zusammen. Der wichtigste unter ihnen: das Alter. Wohingegen von den 60-Jährigen nur etwa jeder Hundertste betroffen ist, leidet unter den 80-Jährigen jeder Zehnte unter Alzheimer, bei den 90-Jährigen sogar jeder Dritte. Auch spielen genetische Faktoren eine Rolle, die die Krankheit jedoch nicht hervorrufen, sondern lediglich begünstigen. Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. sind zudem diejenigen anfälliger für Demenz, die sich ihr ganzes Leben lang wenig geistig, sozial oder körperlich angestrengt haben.
Der Psychiater Alois Alzheimer hat vor gut 100 Jahren an seiner dementen Patientin Auguste Deter erstmals Hirnveränderungen entdeckt. Zu dem Zeitpunkt dachte er noch, er habe es mit einer sehr seltenen Krankheit zu tun. 1996 fanden die Ärzte Volk, Gerbaldo und Maurer im Archiv der psychiatrischen Klinik in Frankfurt das Krankenblatt von Auguste D.
Auguste Deter
Der Fall der Auguste Deter fesselt Alois Alzheimer. Auguste wird 1901 von ihrem Mann verwirrt und orientierungslos in die Anstalt gebracht. Die ist erst 51 Jahre alt, scheint ansonsten gesund. Nach ihrem Tod fünf Jahre später untersucht Alzheimer ihr Gehirn und entdeckt massiven Zellschwund und ungewöhnliche Ablagerungen.
Symptome – Leichtgradige Demenz
Im frühen Krankheitsstadium funktioniert vor allem das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr richtig. Die Betroffenen vergessen dabei, über was sie sich kürzlich mit ihrem Nachbarn unterhalten haben oder wohin sie ihre Lesebrille gelegt haben. Oftmals sind die verwirrt, wenn Familienangehörige oder Freude Dinge behaupten, an die sie sich nicht erinnern können. Es kommt vermehrt zu für sie unangenehme Situationen. In ihrem Alltag sind sie jedoch noch weitgehend selbstständig.
Symptome - Mittelschwere Demenz
Bei einer mittelschweren Demenz fällt es den Erkrankten zunehmend schwerer ihren Alltag alleine zu bestreiten. Da ihr Denk-, Erinnerungs- und Orientierungsvermögen immer mehr nachlässt, brauchen sie bei den einfachsten Dingen Hilfe - wie etwa beim Einkaufen oder der Körperpflege,. Allmählich gehen auch Erinnerungen an weit zurückliegende Ereignisse verloren, was sich oft darin äußert, dass die Betroffenen sich nicht mehr an die Namen der eigenen Kinder erinnern.
Symptome – Schwere Demenz
Wer unter einer fortgeschrittenen Demenz leidet, verlernt nicht selten komplett zu sprechen. Der gesamte Körper baut rapide ab. So haben Betroffene manche Körperfunktionen, wie auf die Toilette zu gehen, nicht mehr eigenständig im Griff, sind anfälliger für Infektionen und können nicht mehr ohne Hilfe gehen. Ohne Pflege und Betreuung rund um die Uhr durch Familienangehörige oder in einem Altenheim wären die Erkrankten völlig hilflos.
Rudi Assauer
2006 wurde bei dem ehemaligen Fußballprofi und späteren Manager Rudi Assauer Alzheimer diagnostiziert. Der Mann, den man so oft mit Zigarre im Mund sah, kämpfte lang gegen den sukzessiv fortschreitenden Gedächtnisverlust – mittlerweile befindet sich die Krankheit im letzten Stadium …
Peter Falk
In seiner Rolle als Columbo bleibt Peter Falk für viele Menschen unvergesslich. Er selbst hat seine legendäre Figur bereits zwei Jahre, nachdem seine Alzheimer-Erkrankung 2007 bekannt wurde, vergessen.
Honig im Kopf
Dass die Krankheit auch Stoff für gute Filme bietet, beweist die Komödie „Honig im Kopf“, die ab dem 25. Dezember 2014 in den deutschen Kinos anläuft. Der Film erzählt auf traurig-schöne Art und Weise von der besonderen Liebe zwischen der elfjährigen Tilda und ihrem an Alzheimer erkrankten Großvater Amandus. So humorvoll Regisseur und Darsteller Til Schweiger mit der Krankheit auch umgeht, geht dabei die Ernsthaftigkeit, die dem Thema anhaftet, nicht verloren. Das liegt auch daran, dass sein Großvater selbst an Demenz litt und er ihn jahrelang pflegen musste.
Der Fall „Auguste”
Frankfurt im Jahr 1901: Alois Alzheimer arbeitet als Assistenzarzt in der Städtischen Heilanstalt für Irre und Epileptische. Am 25. November bringt ein Mann seine verwirrte und orientierungslose Frau in die Anstalt. Sie heißt Auguste Deter und ist 51 Jahre alt. Der nachfolgende Dialog, den Alzheimer mit seiner Patientin Auguste, schrieb Medizingeschichte: „Wie heißen Sie?“ – „Auguste.“ – „Familienname?“ – „Auguste.“ – „Wie heißt ihr Mann?“ – „Ich glaube … Auguste.“ Körperlich scheint die Frau kerngesund, auch ein psychisches Trauma können die Ärzte ausschließen. Sie stehen vor einem Rätsel. Auf 31 Seiten hielt der Alzheimer seine Beobachtungen fest.
Hirnforschung lag im Trend
1904 verlässt Alois Alzheimer Frankfurt, um in München an der Psychiatrischen Klinik das Hirnanatomische Laboratorium zu leiten. Er erkundigt sich regelmäßig nach dem Gesundheitszustand von Auguste Deter. Als diese zwei Jahre später am 8. April 1906 verstirbt, lässt er sich Krankenakte und Gehirn seiner ehemaligen Patientin schicken. Unter dem Mikroskop entdeckt er den massiven Zellschwund und ungewöhnliche Ablagerungen. Ein halbes Jahr später berichtet er bei der 37. Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte über das eigenartige Krankheitsbild und einen „eigenartigen schweren Erkrankungsprozess der Hirnrinde“.
Da Hirnforschung damals im Trend lag, nahmen Kollegen seine Entdeckung nicht wirklich ernst, werten sie lediglich als Kuriosität. Viele Ärzte untersuchten um die Jahrhundertwende Gehirne unter dem Mikroskop, machten mit Farbstoff Strukturen sichtbar und beschrieben auffällige Veränderungen. Alzheimer war jedoch der erste, der einen Zusammenhang zwischen Ablagerungen und Gedächtnisschwund bei einer jüngeren Patientin herstellte.
Nicht wegsehen, sondern handeln
Die Verantwortung für Alzheimer-Patienten hört nicht bei den Angehörigen oder den behandelnden Ärzten auf. Auch die Gesellschaft muss für die Krankheit sensibilisiert sein und dadurch Auffälligkeiten registrieren. Ob es sich dabei um die ältere Dame handelt, die ohne Jacke im Winter durch die Innenstadt irrt, den Bankkunden, der hohe Summen abhebt oder die Seniorin, die dreimal am Tag Brötchen beim Bäcker holt.
Wichtig ist, zu handeln und nicht wegzusehen. Das machen die Betroffenen nämlich meist selbst, denn das Vergessen bringt Angst und Scham. Auch Alzheimer erkannte in seiner Patientin Auguste Angst, Misstrauen, Ablehnung und Verzweiflung. In den Gesprächen mit ihm sagte sie: „Ich habe mich sozusagen verloren.“ Alzheimer sprach von der „Krankheit des Vergessens“ – erst nach seinem Tod wurde sie nach ihm benannt. Er starb im Jahr 1915 mit nur 51 Jahren – jünger als seine Patientin.