13 Götter gieren nach Blut
Mindestens 13 verschiedenen Göttern bringen die Azteken Menschenopfer dar: Im Frühjahr flehen sie Tlaloc um Regen an, indem sie auf sieben Gipfeln Kinder foltern – nach ihrem Glauben sind die Tränen der Kleinen gleichbedeutend mit Regentropfen, und je mehr sie weinen, desto großzügiger wird der Gott es regnen lassen. Tagelang werden die Kinder gequält und in Käfige gesperrt, bis sie elendig verhungern. Den zürnenden Feuergott Huehueteotl wieder besänftigen die Priester, indem sie Gefangene bei lebendigem Leib ins Feuer werfen; der Muttergöttin Toci schenken sie Jungfrauen, die sich vor ihrer Opferung dem Herrscher hingeben; für Tlazolteotl, der Göttin der Lust, häuten sie Frauen.
Söldner, die im Kampf keinen Schritt weichen
Die Sonne steigt auf, und während das dumpfe Dröhnen der Trommeln einsetzt, beziehen die ersten Krieger Stellung. Ihre Gesichter sind verhüllt von furchterregenden Vogelmasken, die sie kennzeichnen als Adlerkrieger – eine Elitetruppe, in die nur die besten Kämpfer des Reichs aufsteigen und in deren Hierarchie jeder besiegte Feind eine Beförderung bringt. Die Männer, die sich hier aufstellen, sind allesamt in dunkles Gelb gewandet – sie bekleiden den höchstmöglichen Rang innerhalb der Adlerkaste; niemand hat öfter getötet als sie. Andere Krieger treten mit rasierten Schädeln an. Sie tragen nur einen langen Zopf über dem linken Ohr, und ihre Gesichter sind blau und rot bemalt – es sind die berüchtigten „Cuachicqueh“, die Geschorenen; Söldner, die öffentlich geschworen haben, während eines Kampfes keinen Schritt zu weichen.
Brutale Rituale
Zu Ehren des Fruchtbarkeitsgottes Xipe Totec tragen Priester die abgezogene Haut ihrer Opfer 20 Tage lang als makabres Kleid ...
Das blutige Ende des Todeskultes
Segen und Fluch zugleich: Als die Spanier 1519 die Neue Welt erobern, bringen sie ihre eigenen Regeln mit. Sie achten weder heilige Kalender noch Erntezeiten, und sie kennen die Gier der aztekischen Götter nicht: Auf dem Schlachtfeld kämpfen diese Männer bis zum Tod. Und zwar mit scharfen Waffen ...
Der lebendige Gott
Nur der schönste Mann des Reichs wird Tezcatlipoca geopfert – ein Jahr feiern die Menschen ihn als lebendigen Gott. Bis zu seinem Tod ...
Der Weg ins Paradies
Für die Auserwählten ist ihr Tod für die Götter eine Ehre: Nach dem Glauben der Menschen tritt jeder Geopferte ein in das paradiesische Sonnenhaus - ein Zugang, den ansonsten nur Krieger erlangen, die im Kampf fallen, oder Frauen, die im Kindbett sterben. Ein natürlicher Tod hingegen ist für die Azteken der Garant für ewige Verdammnis in der Unterwelt Mictlan - ein furchterregender Gedanke. „Wir wissen heute, dass Menschen, die von den Azteken zu Opferzwecken gefangen genommen wurden, zu den Kriegern, die sie bezwangen, oft ein sehr herzliches Verhältnis entwickelten", so Carrasco. „Während die Menschen auf ihre Opferung warteten, wurden sie ehrenvoll behandelt, gut genährt und in wertvolle Stoffe gekleidet - es gab sogar die Sitte, ihre Bezwinger, die sie regelmäßig besuchten, mit dem Titel ,Vater' anzusprechen."
Die Königin ist tot, es lebe die Königin ...
Überlieferungen zufolge lassen sich die Krieger zu Beginn des 14. Jahrhunderts im Gebiet des Herrschers Achitometl nieder, der schließlich einer Heirat zwischen seiner Tochter und dem Aztekenführer Ténoch zustimmt. Die neue Herrscherin ist willkommen, wahrlich: Noch vor ihrer Hochzeit opfern die Azteken das Mädchen ihrem Fruchtbarkeitsgott Xipe Totec. An einen Pfahl gebunden wird sie bei lebendigem Leib von Pfeilen durchbohrt, danach zieht ein Priester ihre Haut ab, um sie 20 Tage als Gewand zu tragen - ein Symbol für das neue grüne Kleid, das der Frühling bringt. Am Tag der Hochzeit schließlich erkennt Achitometl im makabren Gewand des Priesters die Überreste seiner Tochter - er lässt seine gesamte Armee aufmarschieren, um die Azteken zu vernichten. Vergebens: Die Krieger fliehen an den Texcoco-See. Und dort, im Schutz der Vulkane, gründen sie Tenochtitlán - es wird die mächtigste Stadt, die der südamerikanische Kontinent je kannte; der Grundstein des heutigen Mexiko-City.
Die Priester rufen zum Krieg
Ein letztes Mal konsultieren die Priester ihre Aufzeichnungen, prüfen die Omen - dann geben sie die Rauchzeichen: Die Schlacht möge beginnen. Und sie beginnt: Die Kampftruppe der Azteken umfasst 200.000 Krieger, und sie alle werden in den kommenden Tagen antreten. Wieder und immer wieder. Denn dies ist kein gewöhnlicher Krieg - es ist ein Blumenkrieg. Eine Schlacht, in der ausschließlich mit stumpfen Waffen gekämpft und in der kein Mann fallen wird – und die dennoch zu den grausamsten überhaupt zählt. Denn Blumen symbolisieren im Glauben der Azteken menschliches Blut – und ihre Blumenkriege dienen vor allem einem Zweck: Die Krieger sollen so viele Gefangene nehmen wie möglich. Gefangene, die später alle bei lebendigem Leib geopfert werden. Als Blumen für die Götter...
Die Stufen zum Tod
Den höchsten Göttern aber, denen geben die Azteken teyolia, „das göttliche Feuer, das dem Menschen innewohnt: das pulsierende Herz ihrer Opfer. „In feierlichen Prozessionen wurden die Auserwählten zum Großen Tempel im Zentrum Tenochtitláns geleitet, die Treppe zur Pyramide hinaufgeführt und auf einem Opferstein ausgestreckt, sagt David Carrasco. „Vier Priester fixierten Arme und Beine des Opfers, während ein fünfter, der tlenamacac, der Feuergeber, ein steinernes Messer hob und einen Querschnitt unter den Rippenbogen setzte. Dann, heilige Hymnen singend, riss er das noch schlagende Herz aus dem Brustkorb. Mit dem Blut des Toten werden die Abbilder der Götter getränkt, sein Herz der Sonne entgegengehalten und in ein Adlergefäß gelegt. Danach stoßen die Priester den Leichnam die Stufen des Tempels hinunter - das Fleisch soll verzehrt und der Schädel abgetrennt und aufgespießt werden. „Nicht als Akt der Schändung, sagt Carrasco, „sondern damit der Geist des Geopferten von den Menschen aufgenommen werden konnte.
Drei Opfertote pro Tag
Jedes Jahr, so ergaben Hochrechnungen von Professor Hanns J. Prem vom Bonner Institut für Altamerikanistik und Ethnologie, opferten die Azteken knapp 1000 Menschen - durchschnittlich drei am Tag. Ihre Götter sind blutrünstig und grausam - und so hart wie sie selbst: Die Azteken formieren sich ursprünglich aus einer Gruppe von Söldnern, die nach dem Fall der Tolteken im 12. Jahrhundert das Herzland des heutigen Mexikos plündernd und mordend durchziehen. Sie lassen sich anheuern von den Stadtstaaten, die sich gegenseitig bekriegen, verbreiten Angst und Schrecken – und weiten mit jedem Raubzug ihr eigenes Territorium unbemerkt aus. Selbst ihre Hauptstadt Tenochtitlán ist aus Blut geboren.
Einmal Gott sein – und dann sterben
Den Höhepunkt erreicht diese Opferverehrung alljährlich zwischen dem 4. und 23. Mai beim Toxcatl-Fest zu Ehren des Gottes Tezcatlipoca: „Als Opfer auserwählt wurde nur der schönste Jüngling, so der Historiker. Ein Jahr lang wird er als „Ixiptla“ gefeiert – als Verkörperung des Gottes selbst. Die Anforderungen an ihn sind hoch: „Nur die, die ein mustergültiges Leben führen, die körperlich vollkommen und ohne jeglichen Makel sind, hatten eine Chance.“ Ixiptlas wurde ein eigener Hofstaat zugeteilt, sie speisten mit dem Adel, bewohnten Paläste, und 20 Tage vor ihrer Opferung wurden ihnen die vier schönsten Frauen des Reiches als Gespielinnen zugeführt. Ihr Tod auf dem Opferblock des Großen Tempels markierte den Beginn des Toxcatl-Festes – und die Wahl eines neuen Ixiptlas.
Gierige Götter
Und doch bleiben die Götter hungrig: Als Moctezuma I. (Bild) 1440 den Jaguarthron der Azteken besteigt, wird das Reich wenig später von einer Heuschreckenplage heimgesucht, von einer Überschwemmung und einer Hungersnot. Den Göttern wird geopfert – bei manchen Zeremonien führen die Priester das Messer drei Tage hintereinander Tag und Nacht; sie lösen einander ab, um nicht zu erlahmen, doch es gibt kein Erbarmen. Und, was schlimmer ist: Es gibt bald auch keine Opfer mehr. Eine Notlage, so glauben Forscher, in der Moctezuma I. die Praxis der Blumenkriege einführt, um den Opfernachschub in alle Ewigkeit zu sichern. „Ort und Datum der Kriege wurden öffentlich angekündigt“, sagt der historische Anthropologe Ross Hassig. „Die Schlachten fanden im gegenseitigen Einvernehmen mit Nachbarvölkern statt und durften nicht abgelehnt werden - das war die Bedingung, aufgrund der die Azteken unterworfenen Stämmen eine gewisse Unabhängigkeit gewährten.“ Hinzu kamen strenge Regeln: Blumenkriege waren an den heiligen Kalender gebunden – während religiöser Feste, Erntezeiten oder wenn neue Soldaten rekrutiert werden mussten, wurden die Kämpfe unterbrochen.
Über allem steht die Sonne
Zu ihrer Blütezeit haben die Azteken 450 Stadtstaaten mit insgesamt mehr als drei Millionen Menschen unterworfen; Hunderte Städte sind ihnen tributpflichtig. Ihr Reich erstreckt sich von den Mangroven der Atlantikküste bis zu den Stränden am Pazifik, von den Halbwüsten im Norden bis zu den Dschungelwäldern im Süden. Und der Bedarf an Menschenopfern ist größer denn je: „Nach ihrem Glauben verlangt vor allem der mächtige Gott Tonatiuh, der in Gestalt der Sonne am Himmel steht, jeden Tag aufs Neue eine Schuldzahlung“, erklärt David Carrasco, US-Historiker an der Harvard Divinity School. „Nur so kann die Sonne wieder aufgehen und nur so die Welt weiter bestehen. Die Azteken bringen Tonatiuh das Heiligste und Wertvollste dar, das sie kennen: das Leben eines Menschen.“ Und nicht nur ihm: Ihr Kalender ist beherrscht von 18 bedeutenden Festen, bei denen verschiedene Götter gütig gestimmt werden müssen.
Viele Götter, viele Opfer
1600 Gottheiten kennen die Azteken auf dem Höhepunkt ihrer Macht - und mit jedem Volk, das sie erobern, kommen neue hinzu, denn mit jedem Sieg werden auch die Götter der Unterlegenen aufgenommen. Es ist eine Galerie des Grauens: Tonatiuh, der Sonnengott, dessen Zunge ein Obsidianmesser ist zum Herausschneiden menschlicher Herzen; der große Kriegsgott Huitzilopochtli, dessen Entstehungsmythos erzählt, er habe direkt nach seiner Geburt mehr als 400 Geschwister geköpft und zerstückelt, und zu dessen Ehren die Azteken ihm geweihte Opfer ebenfalls derart massakrieren; Mictlantecuhtli, der Herrscher der Unterwelt, ein Wesen, dessen Körper aus Knochen und verwesendem Fleisch besteht und das mit krallenbewehrten Klauen die Knochen der Toten einsammelt.