Das Nervengift der Königskobra
Schon bei einem einzigen Biss produziert die Königskobra genug Gift, um 20 Männer in einer Stunde zu töten. Ihre Zähne sind wie Kanülen, mit denen sie ihren Opfern eine Spritze aus lähmendem Sekret verpasst. Das Gift zerstört die Nervenbahnen des Opfers. Während die Beute, häufig sind das andere Schlangen, komatös auf dem Boden liegt, wird sie bei lebendigem Leibe verspeist.
Anatomie einer tödlichen Waffe
Schlangen produzieren ihr Gift in zwei Oberlippendrüsen, die mit den Fangzähnen verbunden sind. Wenn sie beißen, spannen sie ihre Kiefermuskeln an. Das erhöht den Druck auf die Giftdrüse und aktiviert die Spritze. Einige Arten können ihre Giftzähne einziehen wie Krallen. Wenn sie beißen wollen, zieht sich der Muskel zurück, die Giftzähne werden freigelegt. Die Fangzähne sitzen am Oberkiefer und funktionieren wie Kanülen. Beim Biss fließt das Gift hindurch.
Töten ohne Biss
Vierzig Kobraarten können sogar ohne Biss töten. Das Geheimnis: Ihre Zähne haben eine weite Öffnung, durch die sie nicht nur injizieren, sondern auch spucken können. Die Speikobra schleudert ihr Gift mit einer speziellen Kopfbewegung bis zu vier Meter durch die Luft. Ihr Ziel: die Augen des Gegners.
Die giftigsten Schlangenarten der Welt
Die giftigsten Schlangenarten der Welt können Menschen in Minuten töten. Wie stark ein Gift ist, messen Forscher mithilfe des Faktors LD 50 (letale Dosis). Tierversuche haben gezeigt: Dieser Wert entspricht der Giftmenge pro Kilo Körpergewicht, die benötigt wird, um die Hälfte der Gebissenen zu töten. Das bedeutet: Je niedriger der LD 50-Wert ist, desto stärker ist das Gift. Zum Vergleich: Die Kreuzotter hat einen LD 50-Wert von 6,45 Milligramm.
Die Todesotter
Bein oder Leben? Die Todesotter flutet ihre Opfer mit nerven- und gewebezerstörendem Gift. Wer überlebt, verliert oft die betroffenen Gliedmaßen. Zu Hause ist sie in Australien. LD 50-Wert: 0,4 Milligramm.
Der Inlandtaipan
Ein Biss – 230 Leben: Der Inlandtaipan spritzt vor allem Nervengift. Das Gift eines Bisses könnte 230 Menschen töten. Seine Heimat ist das Outback in Australien. LD 50-Wert: 0,025 Milligramm.
Australischer Kupferkopf
Wenn, dann richtig: Australische Kupferköpfe sind scheu. Reizt man sie jedoch, injizieren sie extreme Mengen ihres Nervengifts. Man kann innerhalb von 24 Stunden sterben. LD 50-Wert: 0,56 Milligramm.
Kapkobra
Gefährliche Nachbarin: Keine Schlange tötet in Südafrika mehr Menschen. Die Kapkobra liebt die Nähe von Bauernhöfen. Das Gift eines Bisses kann sechs Menschen töten. LD 50-Wert: 0,565 Milligramm.
Basilisken-Klapperschlange
Die Basilisken-Klapperschlange wird bis zu zwei Meter lang, lebt nur in Mexiko und gehört zur Gattung der Grubenottern. Sie hat am Kopf zwei sogenannte Grubenorgane, die wie Wärmedetektoren funktionieren. Damit findet die Schlange ihre Beute. Menschen droht sie zuerst mit der Schwanzrassel, erst danach beißt sie zu. Ihr Gift kann das Gewebe derart zerstören, dass die betroffenen Gliedmaßen innerlich ausbluten. Nerven, Muskeln und Haut werden großflächig zerstört. Ist kein Gegengift verfügbar, hilft nur noch eine Amputation.
Schwarze Mamba
Bei einem Biss injiziert eine Schwarze Mamba bis zu 400 Milligramm Nervengift. Eine Dosis, die bei einem Menschen nach zwanzig Minuten zum Atemversagen führt. In zwei von zehn Fällen platziert die Schlange einen Trockenbiss, bei dem sie kein Gift abgibt. Das macht sie, um ihr Revier zu verteidigen. Oder weil sie sich bedrängt fühlt. Mit zwanzig Stundenkilometern rast die schnellste Schlange der Welt dann auf ihr Opfer zu und hinterlässt vier feine Bissmarken – manchmal tödlich, manchmal nicht.
Korallenotter
Fünfzehn Stunden bis(s) zum Atemstillstand: Das Nervengift der Korallenotter lähmt innerhalb kürzester Zeit die gesamte Muskulatur. Nach dreizehn bis fünfzehn Stunden ohne Antiserum kann das Opfer nicht mehr atmen. Von ihrem Namen sollte man nicht auf das Zuhause der Korallenotter schließen: Denn sie lebt nicht im Meer, sondern in Wäldern und Sümpfen. Es gibt achtzig verschiedene Arten, die auf beiden amerikanischen Kontinenten vorkommen.
Bambusotter
Cocktail der Höllenqualen: Wer eine Hagens Bambusotter reizt, sollte sich auf höllische Schmerzen gefasst machen. Der Giftcocktail der knapp einen Meter langen Schlange aus Südostasien ist sehr komplex. Er greift vor allem das Gewebe an. Opfer erleiden oft eine Nekrose, bei der das Muskelgewebe abstirbt. Die gute Nachricht: Die Schlange produziert nicht genug von dem teuflischen Gift, um einen ausgewachsenen Menschen zu töten.
Gemeine Braunschlange
Das Gift der Gemeinen Braunschlange kann einen Menschen innerhalb von dreißig Minuten ins Koma versetzen. Ihre Heimat ist Neuguinea und Australien. LD 50-Wert: 0,053 Milligramm.
Schwarze Mamba
Die aggressive Schnabelkopf-Seeschlange ist der Albtraum aller Taucher: Ihr Gift lähmt den gesamten Körper und führt innerhalb von zwei bis acht Stunden zum Tod. LD 50-Wert: 0,16 Milligramm.
Es dauert nur Bruchteile einer Sekunde. Nur wenige Milliliter dringen in die Blutbahn von Christian Gerlmann (Name von der Redaktion geändert) ein. Doch mit dem Biss der südamerikanischen Klapperschlange flutet eine ganze Armee von hochgiftigen Aminosäuren, Enzymen und Proteinen den Körper des Mannes. Was dieser nicht weiß: Die sogenannte „Crotalus durissus terrificus“ ist eine der wenigen Schlangen auf der Welt, die sowohl ein Nervengift als auch ein Gewebegift in ihrem Waffenarsenal hat.
Selbst die spezielle Reinigungsflüssigkeit, mit der sein Freund umgehend nach dem Biss die Wunde auswäscht, kann das Gift nicht mehr stoppen. Innerhalb von Minuten schwillt Gerlmanns Unterarm auf die Größe einer Melone an, das Gewebe wird regelrecht zerfressen. Sein Blut wird vom Hämotoxin so extrem verdünnt, dass es durch die Kapillargefäße in den Körper fließt. Innere Blutungen setzen ein.
Der Tod lauert im Terrarium
Unbändige Schmerzen sind nun die einzigen Reize, die der 46-Jährige noch wahrnimmt. Sie sind vergleichbar mit denen, die man bei einer Verbrennung dritten Grades empfindet. Gleichzeitig überschwemmt das Nervengift die wichtigsten Schaltzentralen in seinem Kopf. Nur Minuten später verstummen die Befehle ans Atemzentrum und der Herzschlag setzt aus.
Fast alle lebenswichtigen Organe sind schachmatt gesetzt – von wenigen Tropfen eines gelben Sekrets. Weder die Erste-Hilfe-Maßnahmen der Notärzte noch die injizierten zwei Ampullen Antiserum können den Verfall von Gerlmanns Körper jetzt aufhalten. Er stirbt – 60 Minuten, nachdem er in das Terrarium seines Freundes gefasst hat.
Was entscheidet, ob ein Schlangenbiss tödlich endet?
Ohne Frage, Christian Gerlmann ist ein zu großes Risiko eingegangen. Allerdings hat auch extremes Pech zu seinem Tod geführt. Denn nicht jeder Biss einer südamerikanischen Klapperschlange hat eine derart tödliche Wirkung.
Tatsächlich können alle Giftschlangen selbst dosieren, wie viel Neuro- oder Hämotoxin sie abgeben. So unterscheiden Schlangenforscher, auch Herpetologen genannt, zwischen Verteidigungs- und Angriffsbissen. Bei einem Defensiv-Biss greifen Reptilien auf weniger als zehn Prozent ihres Giftspeichers zurück, manche schlagen ihre Zähne sogar ein, ohne Gift zu injizieren – ein Trockenbiss. Ein Offensiv-Biss dagegen kann die doppelte Toxin-Dosis enthalten, um die Beute schnell zu lähmen.
Fünf Millionen Schlangenbisse pro Jahr
Ein Verhalten, das Gerlmann das Leben kostet: Als er die Hand ins Terrarium steckt, ist Fütterungszeit. Die hungrige Klapperschlange rechnet mit einem Beutetier – und setzt mit tödlicher Präzision zum Offensiv-Biss an. Auch wenn in Europa Fälle wie dieser die Ausnahme sind, wird weltweit kaum ein Risiko so unterschätzt wie das, von einer Giftschlange getötet zu werden. „Im 21. Jahrhundert ist der Schlangenbiss die am meisten vernachlässigte tropische Krankheit“, sagt der Mediziner David Warrel von der University of Oxford.
Seine Aussage belegen auch die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Jedes Jahr werden fünf Millionen Menschen von einer Giftschlange gebissen, 300.000 von ihnen erleiden dauerhafte Behinderungen, 125.000 Menschen sterben. Experten glauben, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. So belegte eine Studie, dass allein in Indien 46.000 Menschen jedes Jahr durch einen Schlangenbiss sterben. Die offizielle Statistik zählt bisher nur 2000 Opfer. „Die meisten sterben in ihren Dörfern, sie schaffen es weder ins Krankenhaus noch in die Statistik“, erklärt der Experte Ulrich Kuch.
Welche drei Dinge sollte man niemals tun, wenn man gebissen wurde?
Die Verhaltenstipps halten sich hartnäckig, manche finden sich sogar noch als Anleitung in Büchern: Wer von einer Giftschlange gebissen wird, solle abbinden, einschneiden und aussaugen. Heute warnen Herpetologen eindringlich davor, diese Ratschläge zu befolgen. Tatsächlich kosten sie im besten Fall wichtige Zeit – und im schlimmsten Fall das Leben. So ist das Abbinden nur für starke Blutungen geeignet.
Bei Schlangenbissen dagegen staut sich durch das Abbinden die Giftmenge in einer Körperregion, was oft zum Verlust von Gliedmaßen führt. Auch vom Einschneiden einer Bisswunde wird dringend abgeraten. Die Gewebegifte lassen das Blut schneller fließen. Durch die vergrößerten Wunden kann das Opfer verbluten. Außerdem steigt die Gefahr, dass durch das Einschneiden das injizierte Gift Zugang zu großen Gefäßen findet und sich schneller im Körper ausbreitet.
Auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus
Aussaugen ist laut Experten reine Verschwendung wertvoller Zeit, da der erzeugte Unterdruck niemals groß genug wird, um effektiv Flüssigkeit aus dem Gewebe zu ziehen. Stattdessen sollte das Opfer jegliche Bewegung vermeiden, um den Blutfluss zu verlangsamen – und auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht werden.
Setzt das Herz oder das Atemzentrum aus, sollte man so lange wie möglich versuchen, das Opfer wiederzubeleben. Selbst das bietet jedoch keine Überlebensgarantie. Dafür sind die paar Milliliter Gift von Klapperschlange, Königskobra oder Schwarzer Mamba zu aggressiv. Das musste auch Christian Gerlmann erfahren.