Im 13. September 1492 droht Kolumbus, zu scheitern. Seit sechs Wochen segelt er stur nach Westen, um eine Route über das Meer nach Asien zu finden – und schon vor zwei Wochen hätte er laut seiner Berechnungen auf Japan treffen müssen. Doch Land kam bislang nicht in Sicht. Der berühmteste Entdecker der Welt ist orientierungslos und gefangen in einem endlosen Niemandsland aus Wasser. Wie konnte es nur so weit kommen?
Als Kolumbus in den 1480er Jahren damit beginnt, eine Westroute nach Indien zu berechnen, findet er – seines Zeichens der Sohn eines einfachen Wollwebers aus Genua – seinen wichtigsten Verbündeten in dem renommierten Mathematiker und Astronom Paolo del Pozzo Toscanelli. Der Florentiner berechnet eine Route, die im Kern auf mehr als 1200 Jahre alte mathematische Gleichungen des römischen Gelehrten Ptolemäus zurückgehen. Und Kolumbus wiederum übernimmt sie in blindem Vertrauen.
Doch die Berechnungen sind fehlerhaft – und hätten für den späteren Entdecker Amerikas, der sich in völlig unerforschtes Gebiet vorgewagt hat, eigentlich zum sicheren Todesurteil werden müssen. Doch Kolumbus hat Glück im Unglück.
Kolumbus unterliefen zwei Rechenfehler und ein Übersetzungsfehler
Studien zeigen heute, dass Toscanelli und Kolumbus bei der Bestimmung der Entfernung zu Asien drei gravierende Fehler unterlaufen. So überschätzen die beiden aufgrund ungenauer Berichte von Händlern und Gesandten die Ausdehnung des asiatischen Kontinents, wenden eine ptolemäische Formel zur Kalkulation von Längengraden nicht korrekt an – und übersetzen Berechnungen des arabischen Mathematikers Al-Biruni falsch.
Dieser hatte zwar schon 500 Jahre zuvor den Erdumfang nahezu exakt berechnet, nutzte dazu aber die arabische Meile, während Toscanelli und Kolumbus die 25 Prozent kürzere italienische Meile anwenden. Die Folge: Kolumbus plant mit einer Strecke von 4.500 Kilometern, obwohl es in Wahrheit mehr als 20.000 Kilometer bis Ostasien sind.
Was wäre, wenn Kolumbus die tatsächliche Entfernung gekannt hätte?
Im Umkehrschluss bedeutet das: Hätte Kolumbus korrekt gerechnet, wäre seine Expedition zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Denn mit einem Holzboot 20.000 Kilometer über das offene Meer zu segeln, galt im 15. Jahrhundert selbst unter den wagemutigsten Abenteurern als undurchführbar. Viele Experten sehen die Fehlberechnungen aber gerade deswegen als Glücksfall.
Denn hätte Kolumbus die tatsächliche Entfernung gekannt, wäre er wohl nie nach Asien aufgebrochen. Und er hätte nach 6691 Kilometern nicht zufällig eine Insel der Bahamas entdeckt, die zwar nicht – wie er bis zu seinem Tod glaubt – vor der Küste Indiens liegt, dafür aber vor einem völlig unbekannten Kontinent: Amerika.