Mehr als 800 Millionen Hühnchen isst Deutschland im Jahr
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Geflügelfleisch lag in Deutschland im Jahr 2022 bei 12,7 Kilogramm. Dies entspricht etwa 10 Hähnchen im Jahr. Ein wichtiger Grund für die Beliebtheit von Hähnchenfleisch ist der Preis: Mit 8,50 Euro kostet ein Kilogramm Hähnchenfleisch nur etwa ein Drittel des Preises von Rindfleisch, der derzeit bei 27,38 Euro pro Kilogramm liegt. Ein Bio-Huhn dagegen kostet im Supermarkt inzwischen rund 20 Euro. Stand: Juni 2023.
Eiweißreich und fettarm
Doch Hühnerfleisch ist nicht nur günstiger als die meisten anderen Lebensmittel, es ist auch gesund: Es enthält nur etwa halb so viele Kalorien wie mageres Rind- oder Schweinefleisch, gerade einmal ein Prozent Fett, dafür 24 Prozent Eiweiß – der Stoff, der Muskeln, Haut und Haare erneuert und das Immunsystem gegen Viren und Bakterien stärkt. Hähnchenbrust kurbelt den Stoffwechsel an und unterstützt den Aufbau neuer Zellen. Im Gegensatz zu rotem Fleisch enthält das weiße Fleisch zudem nur wenig Cholesterin und wirkt sich daher nicht negativ auf die Gefäße aus. Darüber hinaus wird ihm im Gegensatz zu roten Fleisch auch kein krebsfördernder Effekt nachgesagt.
Wo kommen die Hühnchen her?
Doch irgendwo müssen die Millionen Tonnen Hühnerfleisch herkommen. Bei der Suche nach der Quelle landet man in Betrieben, in denen jeden Tag 250.000 neue Leben entstehen – in einer Maschine. Die Türen des „Chick Master“ öffnen sich: Knapp eine Viertelmillion frisch geschlüpfter Küken piepsen neben zerbrochenen Eierschalen in mehreren Etagen übereinander. Genau 21 Tage lang hat die Maschine die Mutterrolle übernommen: die Eier werden kontinuierlich gedreht, die Temperatur wird bei 37,5 Grad Celsius gehalten, die Luftfeuchtigkeit auf 50 Prozent eingestellt. Auf einem Förderband werden die 40 Gramm schweren Tiere von den Schalen getrennt, sortiert und in Kisten zu genau 100 Stück verpackt.
Männliche Tiere unerwünscht
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht haben Hähne viele Nachteile: Sie können weder Eier legen noch lassen sie sich so schnell mästen wie Hühner. Professionelle Sortierer – sogenannte Sexer – sortieren wenige Stunden nach dem Schlüpfen alle männlichen Küken aus. Sie garantieren eine Fehlerquote von maximal zwei Prozent, um den Verlust für den Produzenten gering zu halten. Pro Jahr landen 45 Millionen dieser sogenannten Eintagsküken planmäßig im Schredder und anschließend als Tierfutter oder auf dem Müll.
1450 Gramm in 30 Tagen
Die Paletten mit der lebenden Ware gelangen per Lkw zu den Hühnermästern. Diese erhalten in der Regel Fuhren von ca. 40.000 Küken, die in rund 90 mal 20 Meter große, vollautomatisch gesteuerte Ställe gebracht werden. Nun bleiben ihnen genau 30 Tage, um aus dem jeweils 40 Gramm schweren Rohmaterial stattliche 1,5-Kilogramm-Exemplare zu machen, also ihr Gewicht um den Faktor 38 zu vervielfachen. Dies gelingt nur durch Antibiotika, Spezialnahrung und einen mit künstlichem Licht geregelten 20- bis 24-Stunden-Tag. Zum Vergleich: Ein Baby müsste pro Tag mehr als vier Kilo zunehmen, um diesen Schnitt zu schaffen. Freilandhühner benötigen die doppelte Zeit, um das Schlachtgewicht zu erreichen.
Immer mehr Brustfleisch
Bewegen ist fast unmöglich
22 Hühner pro Quadratmeter: Maximal 39 Kilogramm Huhn dürfen pro Quadratmeter gehalten werden – so das Gesetz. Diese Fläche entspricht dem 1,4-Fachen einer DIN-A4-Seite pro Tier, bis 2009 war es noch deutlich weniger als eine Seite. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit bringt dem Mäster Vorteile: Das Huhn verbraucht weniger Energie, legt schneller an Gewicht zu und kann früher geschlachtet werden.
Antibiotika sind ein Muss
Antibiotika gehören in der Tiermast zum Alltag. 2011 waren es noch gut 1700 Tonnen, 2016 immerhin noch rund 750 und im Jahr 2021 601 Tonnen. Der Rückgang ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Antibiotikamenge nun erfasst werden muss. Antibiotika helfen nicht nur gegen Krankheiten, die sich in der Massentierhaltung leicht ausbreiten, sie haben auch noch einen anderen Vorteil. Die Medikamente reduzieren die Zahl der natürlichen Bakterien im Darm und lassen Hühner dadurch die Nahrung besser verwerten und schneller wachsen. Diese Art Doping ist seit 2006 allerdings EU-weit verboten. Dennoch finden sich im Großteil des Geflügels aus dem Supermarkt Antibiotikarückstände.
Gefahr der Resistenzbildung
Ist ein Huhn krank, erhält als Vorsichtsmaßnahme gleich der gesamte Stall mit teilweise 100.000 Tieren Antibiotika. Sie bekommen die gleichen Medikamente wie Menschen, das fördert die Bildung von gegen Antibiotika immunen Varianten, sogenannten MRSA-Bakterien und ESBL-Keimen. Eine Untersuchung von 2016 fand in 55 von 422 Hähnchenfleischproben MRSA-Bakterien und sogar in 208 von 418 ESBL-Keime. Diese sterben zwar beim Erhitzen ab. Kommt aber etwa das Tauwasser über die Hände mit anderen Lebensmitteln in Kontakt, kann sich ein Mensch anstecken und bei ungünstigem Verlauf auch sterben.
Kurzer Schnabel, weniger Verletzungen
Bis zu zehn Prozent beträgt die Sterbequote durch Krankheiten bei einem normalen Mastdurchgang. Sie wäre durch Verletzungen mit Schnäbeln noch wesentlich höher, denn die Enge in den Käfigen macht die Tiere aggressiv. Doch damit sie sich nicht selbst oder andere verletzen, trennt ein 80 Grad heißer Infrarotstrahl den Küken in den ersten Tagen ihres Lebens etwa drei Millimeter der Schnabelspitze ab. Pathologische Untersuchungen zeigen, dass dabei auch Knochen sowie von Gefäßen und Nerven durchzogenes Gewebe beschnitten werden.
Legehennen werden Suppenhühner
Frühstücksei, Kuchen, Mayonnaise – pro Kopf verbrauchen wir Deutschen im Jahr rund 230 Eier. Freilebende Landhühner legen im Schnitt allerdings nur etwa 36 Eier jährlich. Die gezüchteten Legehennen kommen mittlerweile schon auf mehr als 300 Eier. Sie sind aber bereits nach 16 Monaten „produktionstechnisch“ so ausgereizt, dass sie – im Gegensatz zu ihren Artgenossen in der freien Natur – geschlachtet werden. Sie enden meist als Suppenhühner.
Frische Luft ist tabu
Klassische Hühnerrassen wie das Deutsche Lachshuhn haben auf einem Geflügelhof nichts zu suchen. Hier dominieren nach ihren „Herstellern“ benannte Hochleistungsrassen wie Lohmann LSL-Classic. Diese sind entweder auf maximale Gewichtszunahme oder auf Legeleistung getrimmt: Federkleid, Scharrtrieb, Fortpflanzungsfähigkeit, Immunsystem – all das verbraucht (zu) viel Energie, darauf muss in einer genormten Umgebung verzichtet werden. Hühnerfarmen gleichen daher schwer bewachten Festungen, in denen ein Computer Tagesablauf, Futter, Licht und Temperatur genau festlegt. Tages- statt Kunstlicht löst da schon Stress aus, der zu einem Herzinfarkt führen kann. Masthühner bei offenem Fenster zu halten, wäre ihr Tod: Frischluft enthält zu viele Keime.