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Für viele klingt Fleisch aus der Petrischale nicht sonderlich appetitlich. Das dachten sich womöglich auch die drei Testpersonen, die 2013 vor laufender Kamera ein aus Zellkulturen gewachsenes Burgerpatty kosteten. Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler meinte nach dem ersten Bissen, dass das Fleisch geschmacksintensiv, aber nicht sonderlich saftig sei. Der Grund war das fehlende Fett.
Seither ist das sogenannte In-vitro-Fleisch allerdings weit gekommen. Neben zahlreichen Unternehmen investiert auch die EU (Europäische Union) in Projekte, die kultiviertes Fleisch massentauglich machen wollen. Im Rahmen eines Covid-Konjunkturpakets der Europäischen Kommission gingen zwei Millionen Euro an zwei niederländische Lebensmittelunternehmen: Nutreco und Mosa Meat. Diese versuchen die Kosten von In-vitro Fleisch zu senken und die Produktion zu steigern.
Viehzucht als Klimafeind
Rein umwelttechnisch ist die Investition nachvollziehbar. Laut Bundesumweltamt stammen rund 63 Prozent der in Deutschland gemessenen Methan-Emissionen aus der Landwirtschaft – der größte Anteil davon aus der Tierhaltung. Methan wirkt 25-mal stärker auf den Treibhausgaseffekt als CO₂. Das Problem rund ums Fleisch sind nicht nur die direkten Emissionen, sondern auch die Rodung von tropischen Wäldern, die riesige CO₂-Speicher sind. Laut der Organisation WWF (World Wide Fund for Nature) ist der größte Treiber von Waldrodung im Amazonasgebiet die Rinderzucht. Der zweitgrößte ist der Anbau von Soja, welches wiederum großteils als Viehfutter dient.
Fleisch als begehrte Luxusware
Fleisch ist in vielen Regionen der Erde ein Luxusgut. Gerade deswegen wird der Konsum vor allem in Ländern mit steigendem Haushaltseinkommen wie China und Indien wachsen. Ein weiterer Aspekt ist, dass Fleisch in den Traditionen vieler Kulturen verankert und dadurch für die Menschen schwer aufzugeben ist. Lag der jährliche Konsum im Jahr 1990 weltweit noch bei 33,5 Kilogramm pro Kopf, so waren es 2018 bereits 42,9 Kilogramm. Hinzu kommt, dass die Weltbevölkerung laut Vereinter Nationen (UN) bis 2050 auf etwa 9,8 Milliarden Menschen ansteigen soll. Um also den wachsenden Fleischhunger zu sättigen, entwickeln neben den zwei geförderten niederländischen Unternehmen dutzende andere weltweit In-vitro-Fleisch.
In-vitro-Fleisch hat sich seit 2013 stark verändert
Seit der ersten Verkostung eines Laborburgers im Jahr 2013 hat sich das sogenannte In-vitro-Fleisch enorm weiterentwickelt. Der Burger-Prototyp war durch das fehlende Fett noch sehr mager. Inzwischen lässt sich jedoch ebenfalls Fettgewebe im Labor herstellen. Dieses wird gezüchteten Proteinprodukten beigemengt. Der gesamte Prozess variiert mittlerweile von Labor zu Labor. Grundsätzlich funktioniert die Züchtung so, dass lebenden Tieren Stammzellen entnommen werden. Die Zellart muss sich möglichst oft vermehren und dennoch kontrollierbar weiterentwickeln können. Die Stammzellen werden zu Zelllinien angeordnet, die sich dann auf einem Nährboden vermehren. So entstehen aus einigen Vorläuferzellen Muskelfasern sowie Fettgewebe, die später zu Burgern, Würstchen und sogar Steaks verarbeitet werden.
Weniger Emissionen und Tierseuchen bei In-Vitro-Fleisch
Studien zeigen, dass gezüchtetes Fleisch einen klaren Vorteil gegenüber dem konventionellen Produkt hat. Da In-vitro-Fleisch keinen Umweg über das Tier geht, ist die Umweltbilanz wesentlich besser als in der Viehzucht. Ein weiteres Argument für Fleisch aus dem Labor: Von Tieren stammende Seuchen wie das Coronavirus, HIV, Vogelgrippe, BSE oder Schweinepest in sterilen Laboratorien werden vermieden.
Auch der Anbau von Tierfutter und die damit einhergehenden Pestizide bleiben aus. Dasselbe gilt für den Ausstoß von CO₂, Methan und Lachgas sowie die Verödung von Böden durch Viehhaltung. Zusätzlich befinden sich viele der Labore in Städten, was Transportkosten einsparen würde. Da die Weltbevölkerung vermehrt in Städte zieht, ist es intelligent, dort zu produzieren, wo die Endkonsumentinnen und -konsumenten sind.
Von 250.000 zu 20 Euro
Durch den technischen Fortschritt soll zudem der Preis weiter sinken. Der erste Labor-Burger kostete damals satte 250.000 Euro. Inzwischen ist Singapur das erste Land, das den Verkauf von Zellfleischprodukten offiziell zugelassen hat. Seit 2020 können Experimentierfreudige die Chickennuggets des US-Herstellers Eat Just kosten. So serviert ein Restaurant Bao-Brötchen mit knusprigem Sesam-Labor-Hühnchen und Frühlingszwiebeln, Phyllo-Blätterteig mit Labor-Hühnchen und schwarzem Bohnenpüree und eine knusprige Ahornsirupwaffel mit Labor-Hühnchen und scharfer Sauce. Das Trio kostet Restaurantbesucherinnen und -besucher etwa 23 US-Dollar, umgerechnet etwa 20 Euro.
Fleischalternative vs. alternatives Fleisch
Kritische Stimmen behaupten dennoch, dass wir uns als Gesellschaft von allen Formen des Fleisches verabschieden müssen. Obwohl der ökologische Fußabdruck von In-vitro-Fleisch niedriger als der vom konventionellen Produkt ist, sind Fleischalternativen die umweltfreundlichste Lösung. Die Alternativprodukte bestehen zum Beispiel aus Soja, Hefe, Gluten, Erbsenprotein oder Bohnen.
Laut Weltklimarat (IPCC) ist eine rein pflanzliche Ernährung ein großer Schritt im Kampf gegen die globale Klimakrise. Das bedeutet: eine Ernährung ohne tierische Produkte – egal, ob aus der Petrischale oder dem Stall. Dieser Trend scheint hierzulande bei Verbraucherinnen und Verbrauchern angekommen zu sein. Im Jahr 2020 entschieden sich mehr Menschen als je zuvor für Fleischalternativen an den deutschen Supermarktkassen. Doch global spiegelt sich der Trend nicht wider. Der weltweite Konsum von Fleisch schnellt nach oben. Meistens sind Alternativprodukte wie Sojaschnitzel, Bohnenburger, Erbsenhack und Co. auch wesentlich teurer als Fleisch.
Noch nicht bereit für die Supermärkte
Wie viel Emissionen tatsächlich eingespart würden, ist noch unsicher. Denn die benötigte Energiezufuhr ist noch ein großes Fragezeichen. Das Fleisch aus dem Labor ist nur so klimafreundlich wie der Strom und die Rohstoffe, die in die Gewinnung hineinfließen. Der technische Vorgang muss sich außerdem ändern. Gerade arbeiten mehrere Unternehmen daran, das für den Nährboden notwendige Rinderserum zu ersetzen. Dieses stammt von getöteten Muttertieren und Kälbern, was dem ethischen Grundsatz von Laborfleisch widerspricht. Doch es scheint auch ohne zu gehen. So gibt Mosa Meat zum Beispiel an, Fleisch bereits ohne das Serum zu züchten.
Insgesamt entwickelt sich der Markt unglaublich schnell. Ein israelischer Hersteller will sein Produkt noch 2022 auf den US-amerikanischen Markt bringen. Doch noch lässt sich nicht sagen, ob das gezüchtete Fleisch ein Hype bleibt oder bald die Realität in den Kühlregalen ist. In Europa sind solche Produkte vorerst Zukunftsmusik. Förderungen wie die der Europäischen Kommission zeigen aber, dass das Interesse am Laborfleisch nicht mehr nur auf kleine Start-ups begrenzt ist. Es gibt Menschen in der Politik, die in Laborfleisch als echte Alternative investieren.