Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

Das Gesetz der Entwaffnung: Wie tötet man eine kritische Frage?

Durch Verweise auf andere Probleme kann man sofort vom eigentlichen Kern eines Gesprächs ablenken – eine beliebte Taktik von Politikern. Der Name dieser Gesprächstechnik: Whataboutism.

Als Wladimir Putin nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl von einer Journalistin gefragt wird, ob Russland auf den amerikanischen Wahlkampf Einfluss genommen habe, antwortet er: „Legen Sie Ihren Finger auf ein zufälliges Land dieser Erde. Egal, wo sie landen, überall hören sie Beschwerden darüber, dass Amerika sich in die Innenpolitik dieses Landes einmischt. Finden Sie das in Ordnung?“ Die Journalistin weiß nicht, was sie darauf antworten soll, und das Gespräch ist beendet. 

Stilmittel sowjetischer Propaganda 

Mit einer geschickten Gegenfrage hat der russische Staatspräsident von dem unliebsamen Thema abgelenkt und sich damit einer Technik bedient, die zu den effektivsten rhetorischen Werkzeugen überhaupt gehört: dem sogenannten Whataboutism. Diese Technik feiert derzeit ein wahres Comeback auf der weltpolitischen Bühne. War sie lange Zeit als Stilmittel sowjetischer Propaganda bekannt, findet sie nun immer häufiger ihren Weg in die rhetorischen Arsenale mächtiger Staatschefs. 

Der Begriff Whataboutism leitet sich dabei aus dem englischen „What about …?“ (Deutsch: „Was ist mit …?“) ab und bezeichnet das Ablenken von unliebsamen Themen, indem auf andere Probleme verwiesen wird. Whataboutism ist jedoch keinesfalls eine Erfindung von Politikern, sondern ein Mechanismus, der tief in jedem von uns verankert ist. 2014 fanden Verhaltensforscher der Georgia State University in Atlanta heraus, dass unser Gerechtigkeitssinn nicht erst im Kindesalter erlernt wird, sondern vielmehr angeboren ist. Bestimmte Areale in unserem Gehirn reagieren besonders stark, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen. 

Die Gesprächstechnik hat Schwächen

Whataboutism macht sich diesen Mechanismus zunutze: Wird er gezielt eingesetzt, lässt sich die Aufmerksamkeit von der inhaltlichen Ebene zuverlässig auf eine emotionale verlagern. Dann geht es nicht mehr um den Inhalt eines Arguments, sondern vielmehr darum, wer dieses Argument verwendet. Steht es ihm zu, Kritik zu üben, oder macht er es am Ende vielleicht selbst auch nicht besser? „Es ist schwer, sich gegen so etwas zu wehren, denn diese Technik macht Kritiker schnell mundtot. Es findet sich immer etwas, das sich dem anderen vorwerfen lässt“, erklärt der Journalist Edward Lucas, der sich mit den Propagandamechanismen der Sowjetunion auseinandersetzt. „Auch deshalb waren die sowjetischen Propaganda-Offiziere so gut darin, jede Kritik am System von vornherein zu entkräften.“ 

Whataboutism lässt sich entlarven, indem man jedes einzelne Ablenkungsmanöver prüft. Zumeist sind diese nämlich nur unter Vorbehalt mit dem Ursprungsargument vergleichbar. Ein Blick auf die Details offenbart ihre Schwächen und lässt das Argumentationskonstrukt in sich zusammenfallen. Es gilt, beharrlich zu bleiben und sich nicht von Emotionalitäten ablenken zu lassen. Zusätzlich hilft eine gründliche Vorbereitung, um vom Gegenüber gelegte falsche Fährten schnell enttarnen zu können. 
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