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Der Mensch als Hochleistungsmaschine: So funktioniert unser Körper

Foto: Werkstoff-Verlag

Der Mensch als Hochleistungsmaschine: unser Körper laut Fritz Kahn

Die Lunge in Form von Kupferrohren, Magen und Darm als Förderbänder, kleine fleißige Männchen, die in den beiden Gehirnhälften lesen, planen und diskutieren. Der Mediziner Dr. Fritz Kahn visualisierte mit beeindruckenden Bildern komplexe biologische und physikalische Vorgänge, um sie für ein breites Publikum verständlich zu machen – und dabei konnte er nicht mal zeichnen ...

Es bedarf schon einer äußerst kreativen und fantasievollen Vorstellungskraft, wenn man das menschliche Nervensystem mit Stromkabeln darstellt oder etwa die Funktionsweise der Muskeln mithilfe von Automotoren visualisiert. Aber nicht nur das: Es erfordert auch eine unermüdliche Geduld und ein breites Fachwissen, wenn man sich vornimmt, einem Laien zu erklären, wie die Mechanismen des menschlichen Körpers funktionieren. Ähnlich schwer dürfte es fallen, einem Dreijährigen zu erklären, wie Bruchrechnen funktioniert.

Zeichnerisches Können brachte er nicht mit, als sich der deutsche Naturwissenschaftler, Gynäkologe und Schriftsteller Fritz Kahn dazu entschloss, für erwachsene Menschen naturwissenschaftliches Fachjargon in leicht verständliche Bildsprache zu übersetzen und damit die komplexen Abläufe des menschlichen Körpers zum Leben zu erwecken. Doch damit wurde er berühmt – lange vor der Zeit von Zeichentrickfilmen mit sprechenden Blutkörperchen, Computerschaubildern oder dreidimensionalen Infografiken.

Vereinfachte Wahrheit?

Dafür musste er sich anfänglich auf einen Kompromiss einlassen, der manch einem Mediziner – und sicherlich auch ihm selbst – nicht leicht gefallen sein mag: bessere Verständlichkeit auf Kosten der Präzision. Aber es war ihm lieber, dass seine Leser die komplexen Tiefenstrukturen der Natur verstehen, als dass sie sich überfordert abwenden. Auf diese Weise gelang es ihm, „jede Aussage mit einem Bild zu illustrieren, das auch dem begriffsstutzigsten Menschen ein Loch in den Schädel haut“, so seine Worte.

In der Praxis lief es so ab, dass wechselnde Illustratoren und Zeichner versuchen mussten, seine teilweise absonderlichen Vorstellungen auf Papier zu bringen. Keine einfache Aufgabe, wenn man etwa an das Schaubild denkt, mit dem Kahn den Lid- und Tränenapparat des menschlichen Auges mit der automatischen Scheibenwaschanlage eines Autos vergleicht.

Der Bildband „Fritz Kahn: Infographics Pioneer“

Der Bildband „Fritz Kahn: Infographics Pioneer“

Der mehrsprachige Bildband aus dem Taschen Verlag enthält mehr als 350 der eindrucksvollsten Illustrationen aus Kahns Büchern, inklusive Original-Bildunterschriften, drei Texten aus Kahns Feder, einem Vorwort von Steven Heller und einem ausführlichen Essay zu Kahns Wirken und Bedeutung.

Schädliches Schrifttum unter den Nazis

Sein Lebensweg ähnelte dem vieler deutscher Juden zur damaligen Zeit: Geboren im Jahr 1888 erhielt der junge Fritz Kahn als Sohn eines jüdischen Arztes zunächst eine humanistische Schulbildung und studierte an der Berliner Universität, der Charité, Medizin. Bald verspürte er den Wunsch, sein Wissen mit anderen zu teilen und sich gesellschaftspolitisch zu engagieren – und damit in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.

Nach der Machtübernahme der Nazis musste Kahn im Jahr 1933 aus Deutschland fliehen und emigrierte mit seiner Familie zunächst nach Palästina. Kurz nach der Reichskristallnacht 1938 wurden seine Bücher verbrannt und verbannt, das Aufklärungswerk „Unser Geschlechtsleben“ etwa wurde polizeilich verboten und alle auffindbaren Exemplare vernichtet. Anfang 1941 gelang Kahn schließlich die Flucht mit seiner Frau Erna und der Hilfe von Albert Einstein in die USA, wo sich die Familie in Manhattan niederließ. Seine Werke schienen in Vergessenheit zu geraten.

Zufallsfund eines Lebenswerks

Fast 70 Jahre später stolperte der junge Designer Thilo von Debschitz wie durch Zufall über eine von Kahns faszinierenden Darstellungen, als er in einer rumänischen Designzeitschrift blätterte. Da er und seine Schwester Uta von Debschitz ebenso zufällig schon seit zwanzig Jahren persönlichen Kontakt zu Kahns Sohn Emanuel hatten, kam ihnen gleich die Idee, das Bildwerk des Vaters in einer Monografie zu präsentieren. Und tatsächlich: Nach intensiver Spurensuche und aufwendiger Recherchearbeit gelang es ihnen, der Nachwelt den visuellen Schatz aus den Büchern Fritz Kahns wieder sichtbar zu machen.

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