Keine andere Wüste ist tödlicher: 50 Grad Celsius plus am Tag, 20 Grad minus in der Nacht und ständig Stürme. Trotzdem zeugen in der Taklamakan im Nordwesten Chinas 4.000 Jahre alte Mumien und Geisterstädte von vergangenen Hochkulturen. Wir begeben uns auf eine Reise in die Todeszone.
iStock-paulz999
Wer durch diese Wüste wandert, verliert sich in einem Sandmeer, das sich auf 400 Kilometern nicht verändert. Dazu kommen: Eiseskälte, Gluthitze, Wassermangel und 100 Meter hohe Dünenkämme, in deren Sand die Füße bei jedem Schritt versinken, als sei es eine zähe Flüssigkeit. Und das sind schon die guten Tage in der Taklamakan, meist im September und Oktober.
imago-imagebroker
Sobald der gefürchtete Schwarze Sandsturm, der Kara Buran, für Tage oder Wochen losbricht, wird aus der endlosen Dünenwelt eine schwarze Hölle. Dann bleibt vom Licht der Sonne nur ein mattes Glimmen übrig. Staub und aufgewirbelte Sandpartikel verstopfen die Lunge und verhindern die Sauerstoffaufnahme. Der Mensch erstickt.
iStock-Lutz-Berlemont-Bernard
Wer in die Wüste will, muss eine Festung aus Fels überwinden. Einige der höchsten Gipfel der Erde umgeben die Taklamakan: Im Norden die „Himmlischen Berge“, fast 7.500 Meter hoch. Im Osten der Pamir, Teil des „Dachs der Welt“, im Südwesten liegt der Karakorum mit dem zweithöchsten Berg der Welt, dem K2 (Bild, 8.611 Meter). Im Süden schließt sich das Hochland von Tibet an.
iStock-Skazzjy
Insgesamt umranden 26 Gipfel mit über 7.200 Metern Höhe das Tarim-Becken, in dem die Taklamakan liegt. Sie bilden eine nahezu unüberwindbare Barriere für Niederschläge. Allein im Osten hat die Barriere eine Öffnung – allerdings nur in eine Richtung: raus! Durch dieses Tal schleudern gewaltige Sandstürme ihre Fracht aus der Wüste und verteilen Tausende Tonnen an Staub und Sandkörnern auf der ganzen Welt.
imago-StockTrek-Images
Die Wüste gibt ihre Toten frei und verschlingt sie von Neuen. Immer wieder bläst der Wind den Sand weg von Gebeinen aus mehreren Jahrtausenden. Ganze Gruppen verdursteter Siedler oder verirrter Abenteurer tauchen plötzlich auf. Sie erinnern daran, die Wasservorräte und die eingeschlagene Richtung lieber zweimal zu prüfen.
imago-AGB-Photo
So schnell die Toten ins Blickfeld rücken, so schnell bedeckt der Wind sie wieder. Das ist der Grund, warum selbst die verlorenen Städte der Wüste zunächst entdeckt wurden und spätere Expeditionen sie einfach nicht mehr wiederfinden konnten. Wer hier stirbt, wird lange Zeit überdauern: Die extreme Hitze und der Mangel an Wasser konservieren die Toten der Taklamakan zu Mumien.
iStock-Konstantin_Novakovic
<
/div>
Der Weg scheint ins Nichts zu führen. Auf 552 Kilometern durchquert die Straße die Todeszone von Luntai im Norden nach Minfeng im Süden. Fast überall drohen Sanddünen den mühsam geschaffenen Weg wieder zu verschlucken.
imago-Xinhua
Alle fünf Kilometer stehen Pumpenhäuser, um die Arbeiter mit Wasser zu versorgen. Pausenlos sind sie damit beschäftigt, die Straße von Sand zu befreien und die beiden etwa 60 Meter breiten, künstlich angelegten Grünstreifen zu erhalten – ein improvisierter Schutz vor der Gier der Wüste.
imago-Xinhua
Doch warum baut man für Millionen von Euro auf Sand? Unter der Taklamakan schlummern gewaltige Schätze: Öl und Gas.
iStock-zhengzaishuru
Vier bis sechs Milliarden Kubikmeter Schmelzwasser fließen jedes Jahr von den umliegenden Bergen in die Taklamakan. Doch davon bleiben nur Ströme aus Sand übrig.
iStock-Mieszko9
Sand, Sand, nichts als Sand: Kilometerlange Dünenzüge, manche mehr als 100 Meter hoch, füllen ein Gebiet fast so groß wie Deutschland. Der Name der zweitgrößten Sandwüste der Erde – die Nummer 1 ist die arabische Rub al-Chali – lässt sich auf zwei Arten lesen: „Begib dich hinein und du kommst nicht mehr heraus” oder „Pappelgarten”. Garten? In der Taklamakan gibt es keine Oasen, kein Wasser, nicht einmal Steine oder Felsen. Man kann Wochen unterwegs sein, ohne ein einziges Tier zu sehen. Die Temperaturen schwanken innerhalb von 24 Stunden um bis zu 70 Grad Celsius. Umgeben von hohen Bergen und Tausende Kilometer von allen Meeren entfernt, hat die Luft hier bereits ihre gesamte Feuchtigkeit verloren. Regentropfen würden in der Tageshitze schon in der Luft wieder verdampfen. Höchstens nachts besteht die Chance auf etwas Schnee.
Der schwarze Sandsturm
Von Februar bis Juni wütet alle paar Tage der Kara Buran, der „Schwarze Sandsturm“. Oft verdunkelt er für Wochen den Himmel. Karawanen, ganze Städte und angeblich sogar eine Armee des chinesischen Kaisers hat er unter meterhohen Dünen begraben. Manchmal trübt ein Orkan aus der Wüste den Blick der Bewohner Pekings, obwohl die chinesische Hauptstadt rund 2.500 Kilometer weiter östlich liegt. Sand aus der Taklamakan färbte schon Alpengletscher dunkel. Analysen ergaben: In nur zwei Wochen hatte eine Wolke aus Billionen von Staubpartikeln eine Strecke von rund 20.000 Kilometern zurückgelegt. Der Gruß aus der Wüste überquerte China, den Pazifik, Nordamerika und schließlich sogar den Atlantischen Ozean, bis der Staub in Zentraleuropa zu Boden sank.
In der Kälte der Nacht sind Geräusche hörbar. Geister? Kinder lachen und schreien. Dann bellen auf einmal Hunde. Auch Glocken läuten. Immer lauter wird der Lärm: Die Wüste „singt“. Die Geräusche entstehen, wenn Sand abrutscht. Die Schallwellen der einzelnen Sandkörner verstärken sich, zusätzlich wirkt die Oberfläche der Düne wie die Membran eines Lautsprechers. Mehr als 100 Dezibel kann der Dünenchor erreichen, etwa so laut wie eine Kettensäge aus einem Meter Abstand.
Woher kommen die blonden Mumien?
Phänomene wie diese machten die Taklamakan jahrhundertelang zu einer No-go-Area. „Nur die Gebeine der Toten weisen den Weg”, beklagte der Mönch Faxian Anfang des 5. Jahrhunderts. Die Geister der vielen Toten ziehen in der Wüste umher, so der Glaube. Tatsächlich bergen die Toten der Taklamakan einige Geheimnisse, die die Archäologen bis heute nicht lüften konnten: Mehr als 100 sehr gut erhaltene Mumien haben sie bereits in den Ruinen vergessener Städte gefunden, einige von ihnen mindestens 4.000 Jahre alt. Die Taklamakan und Lop Nor, der kleine Bruder im Osten, gelten als zwei der größten Schatzkammern der Erde – aber auch als zwei der unzugänglichsten.
Dandan Oilik, die legendäre Wüstenstadt war einst ein Zentrum des Buddhismus und wichtige Handelsstation. Bis 1998 galt sie als unauffindbar. Wie spitze Raubtierzähne ragen verdorrte Holzpfeiler aus den Dünen. 18 verschiedene Gebäudekomplexe sind erkennbar, darunter jahrtausendealte Tempel.
Aber wie kann es sein, dass ausgerechnet hier Städte blühten? Bis vor etwa 2.000 Jahren war das Klima in der Taklamakan längst nicht so lebensfeindlich wie heute. Damals gab es Wasser, die Grundlage für blühende Wüstenstädte. Diese Oasen galten als wichtige Stationen entlang der antiken Seidenstraße, des bedeutendsten Highways zwischen dem Fernen Osten und Europa. Die Handelsstädte waren damals Schmelztiegel der Zivilisationen. Das beweisen die hervorragend konservierten Fundstücke und Wandzeichnungen: Buddhisten, Inder, Türken gehören zu denen, die hier Spuren hinterlassen haben.
DNA-Analyse an den Mumien
Doch scheint die Taklamakan fest in europäischer Hand gewesen zu sein, das legen zumindest die mumifizierten Körper nahe. Die meisten der untersuchten Körper waren groß, blond, mit langen Nasen und tief liegenden Augen. DNA-Analysen bestätigten die enge Verwandtschaft. Was hat die Europäer dorthin getrieben? Warum verschwanden sie wieder aus dem lokalen Genpool? Und was hat die Bewohner veranlasst, ihre mächtigen Städte so plötzlich aufzugeben? Die Wissenschaft steht vor einem Rätsel. Die Forscher spekulieren, dass eines der Erdbeben, die die Wüste noch heute häufig erschüttern, den Wasserkreislauf unterbrochen und die Taklamakan trocken gelegt haben könnte.
Unter dem Sand lagern gewaltige Vorkommen an Gas und Erdöl. Um sie zu erschließen, baute China die längste Wüstenstraße der Welt. Auf über 500 Kilometern teilt der zweispurige Tarim-Highway die Taklamakan in eine Ost- und eine Westhälfte. Der Bau war extrem aufwendig und ein Meisterstück der Ingenieurskunst: Der instabile, sandige Untergrund wurde verschmolzen, um eine stabile Basis für den Asphalt zu schaffen. Millionen von Bäumen mussten gepflanz
t werden, um die Dünen aufzuhalten. Über 200 Arbeiter wohnen entlang der Straße, um diesen künstlichen Wald zu pflegen und Sand wegzufegen. Die Kosten für Bau und Instandhaltung machen diesen Asphaltstreifen zur teuersten Straße der Welt.