Bewohner der Industrienationen haben heute durchschnittlich zwölf Löcher in den Zähnen. Doch warum faulen Zähne überhaupt? Welche Vorbeugemethoden helfen wirklich? Und warum haben manche Menschen seltener Probleme mit den Zähnen als andere?
98 Prozent der Europäer haben Karies. Doch die gefürchtete Zahnfäule ist kein Phänomen der Neuzeit. Schon unsere Vorfahren litten unter ihr, wenn auch nicht so häufig wie der moderne Mensch – denn mit der Entwicklung der Zivilisation nahm die Karies rapide zu. Der Grund: Die Nahrung wurde immer zuckerreicher. Doch die Bekämpfung der Krankheit war noch nie so fortschrittlich wie heute. Laserbohrer und Hightechfüllungen retten heute oft noch den faulsten Zahn.
Noch bis vor zweihundert Jahren dagegen waren die Methoden, Karies zu bekämpfen, äußerst brutal. Wer an Zahnschmerzen litt, ging zum Barbier, Hufschmied oder „Zahnbrecher“. Dieser riss die faulen Zähne seiner Patienten einfach mit einer Drahtzange heraus. Eine grausame Prozedur, die oft unter dem Beisein von Schaulustigen stattfand.
Die Entstehung der Zahnfäule
Kiefer- und Zahnreste aus den letzten Jahrtausenden zeigen, dass die Menschheit schon seit Langem mit der lästigen Zahnfäule kämpft. Bereits in der Altsteinzeit hatten unsere Vorfahren Löcher in den Zähnen, wie ein 350.000 Jahre alter Schädelfund beweist. Karies war in der Altsteinzeit aber lange nicht so verbreitet wie heute, denn die Menschen aßen zuckerarm. Ihre Nahrung bestand hauptsächlich aus Fleisch und faserreicher Rohkost. Zudem wurden die Zähne durch das intensive Kauen der harten Nahrung gereinigt.
Erst um 4500 vor Christus stieg die Karies sprunghaft an. Die Menschen wurden sesshaft und bauten Getreide an. Getreide enthält aber vor allem Stärke. Die Stärke wird von unserem Körper in Zucker umgewandelt – den Hauptverursacher von Karies. Ein weiterer Effekt der Nahrungsumstellung: Die Nahrung wurde weicher und die Selbstreinigung der Zähne versagte.
Zur Volkskrankheit wurde Karies ab dem 16. Jahrhundert. Die Zuckerrübe wurde in Europa entdeckt und mit ihr die Zuckergewinnung ein einfacher Herstellungsprozess. Der weiße Kristall wandelte sich vom Luxusgut der Könige zu einem Alltagsprodukt für den Großteil der Bevölkerung. Damit stieg auch die Zahl der Erkrankten rapide an.
Kampf mit dem „Zahnwurm“
Lange Zeit waren die Ursachen für Karies unbekannt. Die erste Theorie, wie Karies entstehen könnte, stammt aus der Zeit um 1800 vor Christus und hielt sich hartnäckig bis ins 19. Jahrhundert: Sie besagt, dass der „Zahnwurm“ der Übeltäter sei und sich in das Innere des Zahnes fräße, ihn aushöhlen und damit die schrecklichen Schmerzen hervorrufen würde.
Auf einer altbabylonischen Tontafel wird das Vorgehen des Wurmes folgendermaßen beschrieben: „… Aus dem Zahn will ich saugen sein Blut und vom Zahnfleisch aus das Mark saugen. So habe ich Zugang zum Zahn.“
Erst 1889 machte der amerikanische Zahnarzt Willoughby Dayton Miller eine bahnbrechende Entdeckung: Er fand heraus, dass Bakterien, die sich von Zucker ernähren, Karies verursachen. Miller war Begründer der „chemisch-parasitären Kariestheorie“.
Wie entsteht Karies?
Jeder Mensch hat mehrere Milliarden Kariesbakterien in seiner Mundhöhle. Nach dem Essen haften an den Zähnen Speisereste. Enthalten sie Zucker, entsteht eine klebrige Struktur. Darauf können sich Kariesbakterien besonders gut ansiedeln, die sich von dem Zucker ernähren. Dabei verwandeln sie ihn in Milchsäure.
Diese Säure greift den Zahnschmelz an – es entstehen Löcher. Die Karies frisst sich durch den Schmelz und breitet sich darunter aus. Die Anfälligkeit für die Zahnfäule ist genetisch bedingt. Nur ein verschwindend geringer Teil der Bevölkerung hat naturgesunde Zähne. Und Karies ist ansteckend: Der Mund eines Babys im Mutterleib ist noch keimfrei. Erst im Laufe des Lebens kommt der Mensch mit kariogenen Bakterien in Kontakt, zum Beispiel beim Küssen, die dann von Mund zu Mund übertragen werden.
Die Medizin hat die Zahnfäule zwar noch nicht besiegt, doch dank des medizinischen Fortschritts weitgehend unter Kontrolle. Wird Karies festgestellt, breitet sie sich aber langsamer aus als früher – und es dauert länger, bis aus einem Mini-Loch eine riesige Zahnruine wird. Nach Ansicht der Zahnärzte ist dies hauptsächlich auf die Benutzung fluoridhaltiger Zahnpasta zurückzuführen. Gegen Karies ist Vorbeugung noch immer alles: Dazu gehören regelmäßiges Zähneputzen, Zahnseide, halbjährliche Kontrollen und professionelle Reinigungen beim Zahnarzt – und vor allem eine zuckerarme Ernährung.