Erfolgsmodell der Evolution
Meeresschildkröten gelten als die ältesten noch lebenden Reptilien. Ihre Vorfahren lebten an Land, erst später wurde das Meer ihr bevorzugter Lebensraum. Schon vor rund 220 Millionen Jahren lebten sie auf der Erde, gemeinsam mit den Dinosauriern. Sie überlebten nicht nur die Giganten der Urzeit, sondern auch Kontinentalverschiebungen, die Entstehung und den Untergang von Inseln, dramatische Naturkatastrophen und viele weitere einschneidende Veränderungen.
Fast ohne Ausnahme leben die Meeresschildkröten als Allesfresser. Ob Quallen oder Seegras: Diese Ernährungsweise sowie ihre Ausdauer, Anpassungsfähigkeit und Langlebigkeit machten sie zu einem Erfolgsmodell der Evolution. Die sanften Ozeanbewohner können über achtzig Jahre alt werden. Ihr Körperbau ist seit vielen Jahrmillionen quasi unverändert, die Beine wurden zu Flossen, der Panzer ist stromlinienförmig und flacher als bei ihren an Land lebenden Verwandten.
Meeresschildkröten leben rund um den Globus, vor allem in tropischen und subtropischen Gewässern. Über achtzig Jahre alt können die urtümlichen Reptilien werden. Sowohl auf hoher See als auch in Küstennähe sind sie anzutreffen. Nur zur Eiablage kommen sie an Land, ansonsten verbringen sie ihr gesamtes Leben im Wasser.
Ihre Lebensweise birgt noch zahlreiche Rätsel: Denn auf ihren ausgedehnten Wasser-Wanderungen durch die Ozeane und zwischen den Erdteilen legen die Meeresschildkröten riesige Entfernungen zurück. Wie orientieren sie sich unterwegs? Verfügen sie über einen inneren Kompass? Von welchen Einflüssen sie genau geleitet werden, ist bislang nicht geklärt.
Sieben Arten von Meeresschildkröten werden unterschieden. Sie alle stammen von den Land- oder Süßwasserschildkröten ab. Sie gehören zu den ältesten Lebewesen, die heute noch unseren Planeten bevölkern. Vor rund 225 Millionen Jahren wanderten sie vom Land ab ins Wasser und passten sie sich dem Lebensraum Meer an. Der Körperbau der urzeitlichen Reptilien ist bis heute nahezu unverändert.
Die Lederschildkröte (Bild) ist der Gigant unter den Meeresschildkröten: Sie wird bis zu einer halben Tonne schwer, ihr Panzer kann ganze zwei Meter lang werden. Wie alle anderen heute noch lebenden Meeresschildkröten ist auch sie vom Aussterben bedroht und steht unter strengem Artenschutz. Die kleinste der sieben Meeresschildkrötenarten ist die Bastardschildkröte, mit einer Panzerlänge von etwa siebzig Zentimetern.
Die Fortpflanzung der Meeresschildkröten findet unter Wasser statt: In einer geradezu akrobatisch anmutenden Darbietung schiebt sich das Männchen auf den glitschigen Panzer des Weibchens. Um nicht abzurutschen, hakt es sich mit den daumenartigen Klauen seiner Vorderflossen am Hals seiner Partnerin fest. Hin- und hergeworfen von den Wellen, kommt es letztendlich doch zur Paarung.
Um ihre Eier abzulegen, begeben sich die weiblichen Meeresschildkröten zurück an genau jenen Strand, an dem sie selber einst geschlüpft sind. Um zu ihrem „Geburtsstrand“ zurückzukehren, legen sie häufig weite Strecken zurück.
In der Nacht graben die Schildkrötenweibchen eine dreißig bis fünfzig Zentimeter tiefe Mulde im Sand, in die sie ihre Eier legen.
Ein Gelege umfasst rund 100 Eier. Jedes einzelne ist etwa so groß wie ein Tischtennisball. Nur alle zwei bis drei Jahre nistet ein Schildkrötenweibchen. Im Verlauf eines Sommers legt es dann insgesamt bis zu 1.000 Eier. Doch rein statistisch wird nur ein einziges ihrer Jungen überleben.
Die Schildkrötenmutter verschließt ihre Nistmulde mit Sand – und macht sich dann auf den Weg zurück ins Meer. Die wärmende Sonne brütet die Eier aus. In sieben bis zehn Wochen schlüpfen die Schildkrötenbabys.
Nach ungefähr zwei Monaten schlüpfen die Schildkrötenbabys. Frisch auf der Welt, wiegen sie nur ganze zwanzig Gramm. Ihr Panzer ist dann noch ganz weich und härtet erst mit der Zeit aus. Für ihre Feinde – an Land besonders Raubvögel und im Wasser vor allem räuberisch lebende Fische – sind sie ein gefundenes Fressen. Deshalb rotten sie sich in großen Gruppen zusammen und machen sich so schnell wie möglich auf den Weg ins Meer.
So schnell wie möglich kriechen die Schildkrötenbabys über den Strand in Richtung Wasser. Wenn sie es schaffen, bis zum Meer zu gelangen ohne gefressen zu werden, eröffnet sich ihnen die Chance auf ein langes Leben. Doch nach Expertenschätzungen erreichen nur ein bis zwei von 1.000 Schildkrötenjungen tatsächlich auch das Erwachsenenalter.
20 bis 30 Jahre dauert es, bis die jungen Schildkröten das fortpflanzungsfähige Alter erreichen. Diese Jugendzeit nennt man auch die „verlorenen Jahre“. Denn niemand weiß genau, wo und auf welchen Reiserouten sich die Schildkröten in den Weiten der Ozeane herumtreiben, bis sie geschlechtsreif und erwachsen sind.
Auch die Echten Karettschildkröten gehören zu den besonders stark bedrohten Meeresbewohnern. Ihre schlimmsten Feinde: die Menschen. Nach wie vor gilt ihr Fleisch besonders in China als Delikatesse. Vor allem ihre Panzer sind sehr begehrt: Die hornartigen Platten auf dem Rücken bestehen aus echtem Schildpatt, woraus auch heute noch wertvoller Schmuck hergestellt wird.
Alle Meeresschildkröten stehen offiziell unter Artenschutz durch das Washingtoner Artenschutzabkommen: Seit 1979 ist der Handel mit Schildkrötenprodukten verboten und sie dürfen weder gefangen noch getötet werden. Doch der Schwarzmarkt blüht, genau wie beim Elfenbein der Elefanten oder Nashörner. Produkte aus Meeresschildkröten – etwa Panzer, Schmuck oder Brillenfassungen aus Schildpatt – dürfen nicht nach Deutschland eingeführt werden. Zuwiderhandlungen sind strafbar.
Auch die Überfischung ihrer Heimatgewässer hat Folgen für die Meeresschildkröten. Der Beifang in den Netzen der Fischer wird zu einer beständig größeren Bedrohung: Experten schätzen, dass jährlich mehr als 250.000 Tiere ungewollt in den Netzen der Fangflotten und an den Leinen der kommerziellen Langleinen-Fischerei landen. Dort verenden sie jämmerlich. Auch die Meeresverschmutzung gefährdet ihr Überleben.
Wie viele Meeresschildkröten genau in den Weiten der Ozeane leben, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Auf ihren ausgedehnten Wanderungen durch die Weltmeere folgen die Schildkröten mutmaßlich den Strömungen der Ozeane. Auch eine Orientierung anhand des Magnetfeldes der Erde oder des Lichtwinkels wird diskutiert. Noch ist das Geheimnis nicht gelüftet. Und auch die weiten Strecken ihrer rätselhaften Reisen kennen nur sie selbst.