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Mal angenommen, wir könnten unsere Gene manipulieren. Oder was wäre, wenn unsere Träume mehr über unsere Krankheiten verraten würden als jeder Arzt? Was lange als esoterischer Unfug galt, lässt sich jetzt wissenschaftlich belegen. Und so bahnt sich gerade einer der größten Paradigmenwechsel in der Geschichte der Medizin an …
Die Wucht des Aufpralls ist verheerend – so wie auch die Prognose der Ärzte: Nachdem Morris Goodman seine einmotorige Cessna 172 notlanden muss, überschlägt sich die Maschine mehrmals. Rettungskräfte bergen seinen Körper aus dem vollkommen zerstörten Flugzeugwrack. Zu diesem Zeitpunkt kann der 35-Jährige nur noch blinzeln. Zwei Halswirbel sind zerschmettert, Dutzende Knochen gebrochen, Organe zerfetzt. Goodman, so die Mediziner, werde nie wieder laufen können, geschweige denn reden, selbstständig essen oder trinken. Ein Pflegefall auf Lebenszeit – wenn er nicht schon in den nächsten Tagen seinen Verletzungen erliegt.
Was sie nicht wissen: Schon in dem Moment, als er ins Krankenhaus eingeliefert wird, arbeiten seine Gedanken auf Hochtouren. „Auch wenn ich keinen einzigen Muskel bewegen konnte, ich spürte in jeder Faser meines Körpers eine extreme Willenskraft. Ich war überzeugt davon, dass ich wieder gesund werde“, erinnert sich Goodman. Und tatsächlich: Nur fünf Monate nach dem Unfall verlässt der US-Amerikaner die Klinik. Kerngesund und auf seinen eigenen Beinen. Heute fliegt er um die Welt, hält Vorträge – und erklärt, wie man die unglaubliche Kraft der Gedanken für sich nutzen kann…
Ein Brückenschlag zwischen Mystik und Psychologie
Aber hat Morris Goodman vielleicht einfach nur unfassbares Glück gehabt? Oder sind Gedanken tatsächlich mächtiger, als wir bisher angenommen haben? Und wenn ja, wie können wir sie für unsere Gesundheit nutzen? Mit genau diesen Fragen hat sich Dr. Lissa Rankin, US-Ärztin und Bestseller-Autorin („Mind over Medicine“), beschäftigt. Sie hat Tausende Studien ausgewertet, Interviews mit Patienten geführt und deren Heilungsverläufe analysiert. Sie ist überzeugt: „Im Klinikalltag begegnen uns Ärzten immer wieder Dinge, die sich wissenschaftlich einfach nicht erklären lassen. Wir wissen, dass es gelegentlich zu unerklärlichen Spontanheilungen kommt. Und tief im Inneren sind die allermeisten Ärzte davon überzeugt, dass ein Brückenschlag zwischen dem Mystischen und dem Physiologischen eine Rolle im Genesungsprozess spielt. Doch laut spricht das keiner aus.“
Fakt ist jedoch: Obwohl kaum gezielt danach geforscht wurde, sind heute mehr als 1.000 Fälle wissenschaftlich erfasst, bei denen vermeintlich unheilbare Krankheiten spontan verschwanden. Und fast alle Fälle hatten eines gemeinsam: Die Betroffenen berichteten von einer extremen Willenskraft und positiven Gedanken, die sie als Waffe gegen die Krankheit einsetzten. Aber was genau passiert bei diesen mysteriösen Selbstheilungsprozessen im Körper? Tatsächlich sind für viele Ärzte Fälle wie der von Morris Goodman kein Wunder, sondern das Ergebnis eines komplexen Regenerationssystems durch die Kraft unserer Gedanken.
So erklärt Jerome Groopman, Mediziner der Harvard University: „Gedanken und Emotionen werden in der Medizin oft als nebensächlich angesehen. In Wahrheit sind sie jedoch nichts anderes als eine Mischung aus Chemikalien und elektrischen Schaltkreisen im Gehirn, die sich entwickeln und verändern.“ Soll heißen: Alles, was wir denken, ist kein metaphysischer Spuk, der irgendwie zwischen den Zellen umherweht.
Es ist ein fester Bestandteil unseres Körpers, mess- und belegbar. Werden beispielsweise wie im Fall des verunglückten Morris Goodman Muskeln länger nicht bewegt, bilden sie sich zurück. Um das zu verhindern, haben Forscher der Ohio University ein Verfahren entwickelt, bei dem Muskeln nur mit der Kraft von Gedanken regeneriert werden. Eine motorische Handlung ist nicht nötig. Wie das funktioniert? Imagination!
Können meine Gedanken Krebs heilen?
Stellt man sich über zwölf Wochen 15 Minuten täglich vor, den Muskel (sportlich) zu bewegen, werden die für Bewegung verantwortlichen Regionen im Gehirn stimuliert – und der Muskel wird wiederhergestellt. Ein weiteres Beispiel für die Kraft der Gedanken sind die Spontanheilungen bei Tumorpatienten. Krebsgeschwüre enthalten Nervenfasern und stehen damit in Verbindung mit dem Gehirn und dem zentralen Nervensystem.
Die Forscher gehen daher davon aus, dass die Psyche in die Entwicklung von Tumoren eingreifen kann. Und in das Immunsystem. Denn jede Empfindung setzt im Gehirn Botenstoffe frei – körpereigene Drogen, die zum Beispiel schmerzstillend wirken. Jeder Gedanke aktiviert Nervenimpulse, die bis in den Tumor vordringen.
Untersuchungen belegen, dass Patienten, die fest an ihre Genesung glauben, deutlich mehr Immunzellen bilden. Am besten beobachtet werden kann diese unheimliche Macht der Gedanken jedoch im Zusammenhang mit Placebo-Studien, also im Vergleich mit wirkstofffreien Therapien. So lässt sich beispielsweise bei annähernd der Hälfte der Asthmatiker mit einem wirkstofffreien Inhalator eine Verbesserung der Beschwerden erreichen, und etwa 40 Prozent der Kopfschmerzpatienten sprechen positiv auf ein Placebo an.
Und eine Knie-OP-Studie von Dr. Bruce Moseley zeigt, dass sogar chirurgische Scheineingriffe genauso effektiv sein können wie echte. Der Chirurg hatte eine spezielle Operationsmethode für Patienten mit Arthrose im Kniegelenk entwickelt. Die Patienten der einen Gruppe wurden nach Dr. Moseleys bekanntem Verfahren operiert. An den Probanden der anderen Gruppe wurde ein komplexer vorgetäuschter Eingriff vorgenommen. Bei einem Drittel der Probanden, die man tatsächlich operierte, wurden die Knieprobleme erwartungsgemäß behoben, doch das Ergebnis war bei den Patienten, die nur zum Schein operiert worden waren, genauso gut.
Wenn der Überlebensmechanismus anspringt
Aber wie lässt es sich erklären, dass sich Gedanken, Gefühle und Erwartungshaltungen in physiologischen Veränderungen niederschlagen können? Wie der Harvard-Professor Dr. Walter Cannon als Erster beschrieb, verfügt der Körper über etwas, was Cannon als Stressreaktion bezeichnet (oft auch Kampf-oder- Flucht-Reaktion genannt): ein Überlebensmechanismus, der anspringt, wenn unser Gehirn eine Bedrohung wahrnimmt.
Wird diese hormonelle Kaskade von einem Gedanken oder Gefühl wie etwa Angst ausgelöst, wird der Körper mit Cortisol und Adrenalin geflutet. Ist der Spiegel dieser Stresshormone längerfristig erhöht, kann sich dies in physischen Symptomen äußern und den Körper krankheitsanfällig machen.
Doch unser Körper verfügt auch über eine Entspannungsreaktion. Wird diese ausgelöst, sinkt der Anteil der Stresshormone im Blut, und gesundheitsförderliche Entspannungshormone werden freigesetzt. „Nur in diesem entspannten Zustand kann sich der Körper selbst reparieren. Alles, was Stress abbaut und eine Entspannungsreaktion auslöst, versetzt ihn also in die Lage, sich selbst zu heilen“, sagt Lissa Rankin.