- Welt der Wunder Redaktion
- Kristina Machalke
Das Spiel mit Liebe, Sex und Macht
Sage und schreibe 15,2 Millionen Menschen haben am Valentinstags-Wochenende 2016 die Kinosäle gestürmt, um sich die Sado-Maso-Romanze „Fifty Shades of Grey“ anzusehen. Schon die skandalöse Buchvorlage hat auf Paare wie Singles, Männer wie Frauen eine unglaubliche Faszination ausgeübt, die Neugierde auf Bondage-Praktiken und die geheimen Mechanismen von Macht und Unterwerfung beim Liebesspiel angeheizt. Aber woran liegt es eigentlich, dass Dominanz eine so große Rolle in Beziehungen und im Bett spielt? Wie lassen sich Machtmechanismen entlarven und für die eigenen Bedürfnisse nutzen? Im Interview mit Welt der Wunder klärt Psychotherapeut und Buchautor Dr. Wolfgang Krüger einige Geheimnisse über den Zusammenhang von Liebe, Macht und Sex.
Niemand ist auf Dauer das Opfer
„Grundsätzlich gilt: Es gibt klassische Machtehen. Sie sind problematisch, vor allem dann, wenn die Machtmuster einseitig sind“, sagt Dr. Wolfgang Krüger. Jeder sollte in einer Beziehung bestimmen dürfen. „Unterordnung funktioniert nur so lange, bis einer rebelliert. Und auch in der Unterordnung wird der Unterlegene immer bemüht sein, heimliche Machtmittel einzusetzen. Niemand ist auf Dauer immer nur Opfer“, erklärt der Psychotherapeut.
Wer weniger liebt, hat die Macht
In jeder Beziehung gibt es gelegentlich Machtprozesse, was wegen unterschiedlicher Interessen normal ist. Schwierig wird es dann, wenn es grundsätzlich Dominanz-Unterordnungs-Konflikte gibt. Diese seien häufig Kennzeichen einer gestörten Beziehung, so der Experte.
Und welcher Partner gewinnt dann die Oberhand in der Beziehung? „Es hat immer derjenige die Macht, der weniger liebt, sich notfalls trennt und in Streitigkeiten eher mit dem Gedanken an Trennung spielt“, erklärt Dr. Krüger.
Männer wollen schüchterne Frauen
Die meisten Männer suchen sich eher schüchterne Frauen aus, wie auch die 21-jährige Anastasia Steele aus „Fifty Shades of Grey“ es ist. Sehr selbstbewusste Frauen haben es hingegen schwer, einen Partner zu finden. Dabei dürfen sie aber nicht zu folgsam sein – denn Männer brauchen Sicherheit und Versorgung. Frauen hingegen wollen oft einen Kerl, den sie bewundern und dem sie sich hingeben können. „Die Fähigkeit zur Macht und zur Sicherung des eigenen Lebens ist in unserer Natur verankert. Aber der Umgang mit der Macht ist kulturell bedingt. Er hängt sehr stark von unserer Erziehung ab“, weiß der Experte.
Männer greifen an, Frauen ziehen sich zurück
Gibt es zwischen den Geschlechtern andere Faktoren für Macht? „Die Attraktion von Männern hängt oft mit Wissen, Erfolg und Geld zusammen, die der Frauen häufiger mit Charme und Schönheit.“ Ansonsten gilt die Erkenntnis des Psychotherapeuten Alfred Adler: Wer wenig Gemeinschaftsgefühl hat und viele Minderwertigkeitsgefühle, verfügt eher über neurotische Machttendenzen. Außerdem neigen Männer eher zum offenen Kampf oder sie blockieren. „Die Machtmittel von Frauen sind durch historische Entwicklungen oft subtiler. Sie geben wenig Anerkennung, ziehen sich so zurück, was als Macht oft kaum spürbar ist“, erläutert Buchautor Dr. Wolfgang Krüger.
Spielchen gehören dazu
Gerade die Kennenlernphase ist oft geprägt von Spielchen: Er oder sie meldet sich nicht, lässt den anderen zappeln und dergleichen. Muss das sein? „Teilweise. Wir verlieben uns nur, wenn wir in einem Ausnahmezustand sind und vor Sehnsucht vergehen. Ein Rückzug des anderen, die Ungewissheit der Liebe, gehört daher dazu“, stellt Psychotherapeut Wolfgang Krüger klar. Allerdings sind zu viele Spielchen Ausdruck für ein gestörtes Beziehungsverhalten.
Wir müssen unabhängig bleiben
Wer achtsam ist, Machtspielchen rechtzeitig erkennt und unabhängig vom Partner ist, kann sich aber davon frei machen. „Wir brauchen feste Freundschaften, ein stabiles Selbstbewusstsein und müssen innerlich immer eine gewisse Unabhängigkeit erreichen. Außerdem sollten wir machterfahren sein und uns durchsetzen können“, rät der Experte.
Welche Rolle spielt Macht im Schlafzimmer?
In dem Film und der Romanvorlage von „Fifty Shades of Grey“ geht es vor allem um die Dominanz und Unterwerfung beim Sex, um Fesselspiele und auch um Gewalt. Wie stark hängen körperliche Liebe und Macht zusammen? Dr. Wolfgang Krüger: „In der Sexualität sind immer zwei Elemente enthalten: Zärtlichkeit und Aggression. Sexualität ist immer auch ein wenig deftig.“ Sigmund Freud war sogar der Ansicht, dass man sich des anderen als Sexualobjekt bedient. Dieses Objektsein wird bei Fesselspielen bewusst gewählt. Das schafft beim aktiven Partner das Gefühl, den anderen in der Hand zu haben, beim Gefesselten kann es die Bereitschaft zur Hingabe erhöhen. „Bei der Gewalt wird das noch deutlicher: Ich erlebe Gefühle, die ich mir sonst nicht zugestehen würde, weil sie der andere fast aus mir heraus prügelt. Ich übernehme dafür quasi keine Verantwortung, sondern erlebe mich als Opfer. Die Grenze zur Perversion ist dabei schnell überschritten“, sagt Krüger.
Wann hört der Spaß auf?
„Menschen mit einem guten Bindungsverhalten, die in einer glücklichen Beziehung leben, werden eine Art Sex bevorzugen, die eher zärtlich, aber manchmal auch wild ist. Dabei wird jedoch keiner zum Objekt gemacht“, sagt Psychotherapeut Dr. Krüger. Wird der andere dagegen gefesselt oder wird Gewalt ausgeübt, ist immer von schwierigen Beziehungen auszugehen, falls diese Praktiken den Sex bestimmen. Der Spaß endet, wenn einer den anderen verletzt und derjenige sich nicht mehr wohlfühlt.
Manche Phantasien bleiben besser geheim
Ob manche Phantasien Wirklichkeit werden oder nicht, hängt laut Krüger stark vom Vertrauen in einer Partnerschaft ab. Wir teilen dem anderen meist nicht alle Phantasien mit, sie sind auch nur teilweise dazu bestimmt, ausgelebt zu werden. Eine Frau vertraute ihrem Tagebuch an, sie wolle im Sex einmal heftig auf den nackten Hintern gehauen werden. Als Ihr Mann das las und danach handelte, kommentierte sie das empört mit 'Spinnst Du?'.
Über den Experten
Dr. Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut in Berlin und Buchautor. Als Tiefenpsychologe liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit in der Überwindung von Ängsten und Depressionen sowie in der Aufarbeitung von Beziehungsschwierigkeiten. Er ist davon überzeugt, dass trotz aller Probleme 'die Liebe möglich ist'. In seinen Büchern wie „Liebe, Macht und Leidenschaft – Erfolgsregeln für einen fairen Konfliktausgleich“, „Freiraum für die Liebe“ oder „Liebe ist - den ersten Schritt zu tun: Der Weg zur glücklichen Partnerschaft“ setzt er sich unter anderem intensiv mit Machtrollen in Beziehungen auseinander.