Seit Jahrzehnten ist das kostbare Faserkleid der Vikunjas heiß begehrt – mit fatalen Folgen: Die Jagd auf die wilden Verwandten von Lamas und Alpakas führte zum rasanten Einbruch der Populationen. Heute haben sich die Bestände durch Schutzmaßnahmen wieder erholt, doch die regelmäßige Schur birgt weiterhin große Probleme…
Perfekt angepasst an das harsche Klima der Anden, zeichnen sich Vikunjas durch ihr äußerst dichtes Fell aus. Mit einem Faserdurchmesser von zum Teil unter zehn Mikrometer sind sie führend unter den Tierarten, deren Wolle zu Textilien verarbeitet wird. Und je dünner die Faser, desto höher ist der Tragekomfort. Vikunja-Kleidung ist daher begehrt und teuer: So liegt der Preis für einen Parka beispielsweise aktuell bei mehr als 20.000 Euro.
An der Quelle der Wollgewinnung – bei den Menschen in Peru und Bolivien, vor allem der indigenen Bevölkerung – kommt davon aber nur ein Bruchteil an. Für sie ist die Vikunjawolle dennoch eine lebenswichtige Einnahmequelle und zugleich eine alte Tradition. Bereits in den Zeiten der Inka wurde in der Anden-Region aus Vikunja-Fasern Kleidung hergestellt. Mit der spanischen Kolonisierung begann die unkontrollierte Bejagung der Tiere: Mehrfach im Jahr wurden massenhaft Tiere erschossen – mit dem traurigen Ergebnis, dass die Population sich erheblich verringerte. Von einst mehr als zwei Millionen Tieren in Südamerika waren 1967 nur noch 10.000 übrig.
Ein lebendes Vikunja ist wertvoller als ein totes
Erst ein zeitweiliges Jagd- und Handelsverbot ließ die Vikunjabestände wieder ansteigen. Seitdem die lokale Bevölkerung in diese Entscheidungen und vor allem – als der Handel streng reguliert wieder öffnete – in die Wertschöpfungskette einbezogen wird, hat sich die Einsicht entwickelt: Ein lebendes Vikunja, das vier bis fünf Mal in seinem Leben geschoren werden kann, ist deutlicher wertvoller als ein erschossenes Tier, das nur einmalig Wolle liefert. Vikunjas sind bei den Einheimischen heute nicht unbegründet auch als „die Bank der Armen“ bekannt. Die Tiere sind für sie Ausdruck von Heimat und Tradition geworden, sie werden geschützt und verehrt.
Doch was wie eine Idylle des Zusammenlebens von Mensch und Tier klingt, gestaltet sich oftmals alles andere als harmonisch. Die traditionelle Schur der Vikunjas („Chaccu“) bereitet Tierschützern Sorge. Bei diesen nur im Zeitraum von Mai bis November erlaubten Zeremonien pirschen die Menschen über Stunden über die Höhen der Anden, um die Tiere aufzuspüren. Machen sie Herden ausfindig, treiben sie die Vikunjas mit lauten Rufen in die Dörfer, wo sie – entkräftet von oft stundenlangen Fluchtversuchen – in kleinen Koppeln eingeschlossen werden.
Dort findet dann auch die Schur statt, bei der pro Tier etwa 200 Gramm Fell entnommen werden. Die Vinkujas versuchen sich während der Schur aus ihrer Fixierung zu lösen, was nicht selten zu Verletzungen führt. Zudem kommt kaum steriles Werkzeug zum Einsatz und es gelten keine Hygienevorschriften, so dass sich durch die Schur gefährliche Krankheiten wie die Infektionskrankheit Räude in den Herden verbreiten können. Wieder in Freiheit, sind die daran erkrankten Vikunjas von extremem Juckreiz getrieben. So kratzen sich die Tiere buchstäblich das Fell vom Körper, finden keine Ruhe mehr, sind geschwächt und appetitlos, viele sterben.
Schulungen für eine tierfreundliche Schur
Die Welttierschutzgesellschaft hat es sich gemeinsam mit der Wildlife Conservation Society (WCS) zum Ziel gesetzt, diese Tierschutzprobleme in zwei besonders relevanten Regionen zu beheben: im Nor Yauyos Cochas in Peru sowie im Sajama Nationalpark in Bolivien. Hier leben insgesamt 14.000 Vikunjas. Die Tierschützer unterstützen dabei die geltenden Bestimmungen, dass das Zusammentreiben und Scheren der Vikunjas die Lösung ist, um der Wilderei vorzubeugen. Ihr Ziel ist es aber vor allem, den Stress für die sensiblen Wildtiere so weit wie möglich zu reduzieren. Deshalb schulen sie die Menschen im tiergerechten Umgang mit Vikunjas und helfen dabei, die Hygiene bei der Schur zu verbessern.
Die lokale Bevölkerung soll in vorbereitenden Schulungen lernen, dass Praktiken wie das Zusammentreiben der Tiere mit Motorrädern und in Begleitung von Hunden aber auch große Menschenansammlungen bei der Schur mit lauter Musik und Tanzen eine zusätzliche Belastung für die Vikunjas darstellen und ihnen maßgeblich schaden. Darüber hinaus soll den Menschen geholfen werden, den Ablauf der Schur zu verkürzen. Mit Anpassung der Techniken sowie jeweils neuen Klingen und Sterilisationsmaterial wird der Vorgang außerdem sicherer und tiergerechter. Nicht zuletzt begleiten Tierärztinnen und Tierärzte die Chaccus und greifen ein, um verletzte oder kranke Tiere direkt zu behandeln.
Aus den Erfahrungen des Projekts sollen gemeinsam mit Scherer-Gruppen Tierschutz-Richtlinien für Fang und Schur der Vikunjas geschaffen werden. Ziel der Welttierschutzgesellschaft und ihrem Partner WCS ist es, dieses Wissen für mehr Tierschutz zugunsten der Vikunjas künftig in allen, immerhin 935 einzelnen Gruppen in Bolivien und Peru zu verankern.