120 Millionen Schreiben müssten verschickt werden
Der auf den ersten Blick lachhaft wirkende Grund wurde durch den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen bekanntgegeben. Die zugehörige Stellungnahme hat ganze 25 Seiten. Und tatsächlich: „Es ist fraglich, ob allein genügend Papier bis zum 15. Mai 2022 beschafft werden könnte, um die rund 60 Millionen betroffenen Versicherten [zwei Mal] anzuschreiben“, ist dort zu lesen.
Auch der Krieg in der Ukraine wird als Grund angegeben
Etwas weiter oben im Dokument werden auch triftige Gründe angegeben, die mit der momentanen Weltlage zusammenhängen: „Des Weiteren herrscht durch (…) den Ukrainekonflikt bei den maßgeblichen Papierproduzenten in Europa eine Produktionseinschränkung bzw. -stopp“, gab der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen bekannt.
Laut dem Branchenverband der Papierhersteller gibt es genügend Papier
Allerdings klinkte sich der der Branchenverband der Papierhersteller schnell in die Diskussion ein und widersprach. Wie der Deutschlandfunk berichtet, sei genügend Papier vorhanden. Es sei dem Papierindustrieverband problemlos möglich, das benötigte Briefpapier mit einem Vorlauf von acht Wochen zu liefern.
Die deutschen Verlage sind anderer Meinung – und pflichten den Krankenkassen bei
Die Berichte aus der deutschen Verlagsbranche lesen sich jedoch wieder anders. Diese befindet sich laut Branchen-Insidern nämlich aufgrund von Papiermangel bereits seit Monaten in einer tiefen Krise. Die Hauptursache sei der Mangel an Zellstoff: Dieser werde nicht nur immer teurer, sondern sei zweitweise überhaupt nicht mehr lieferbar.
So kam es zu der momentanen Papierkrise
Der steigende Papierpreis hat mit den Auswirkungen der gestiegenen Nachfrage nach Zeitungen und Prospekten auf den Massenmarkt zu tun. Die meisten Zeitungen werden inzwischen komplett aus Altpapier hergestellt. Da Zeitungen und Prospekte in immer geringerer Auflage gedruckt werden, fehlt den Papierfabriken jetzt das Material. Zudem sind durch die Corona-Pandemie die Rohstoffe wie Zellstoff oder Altpapier knapp geworden. Im September 2021 haben sich Großhandelspreise für gemischtes Altpapier gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als verdreifacht.
Genügend oder nicht genügend Papier – wer hat jetzt recht?
Wie so oft, liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Wer sich die Stellungnahme des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen jedoch bis zum Ende durchliest, wird schnell schlussfolgern, dass – wie so oft – bürokratische Verwicklungen die wahre Ursache zu sein scheinen.
Die Krankenkassen haben mit einem Daten-Alptraum zu kämpfen
Zuerst fällt das Eingeständnis der Krankenkassen ins Auge, dass diese momentan nicht über die aktuellen Adressdaten aller Versicherten verfügen. Denn daher sei nicht sichergestellt, dass sie die Versicherten „sicher erreichen“.
Dieses Statement wirkt auf dem ersten Blick noch kurioser als der angebliche Papiermangel. Wer allerdings schon ein paar Mal umgezogen ist – und daraufhin vergessen hat, seiner Krankenkasse die aktuellen Adressdaten mitzuteilen –, wird dieses Problem nachvollziehen können.
Die Krankenkassen kennen nicht einmal den Impfstatus der Patienten
Als weiteres massives Problem offenbart sich die Tatsache, dass die Krankenkassen momentan nicht ausreichend über den Impfstatus der Versicherten informiert sind. Somit würden Millionen Geimpfte oder Immunisierte zur Impfung aufgefordert – oder im schlimmsten Fall zur Zahlung eines Bußgelds aufgefordert werden.
Und auch einen Seitenhieb auf den Staat können sich die Krankenkassen nicht verbeißen. Sie seien keine Gesundheits- oder Ordnungsbehörden. Die Überwachung der Impfpflicht sei eine staatliche Aufgabe, ist weiterhin in der Erklärung zu lesen.
Auch die elektronische Patientenakte ist noch nicht bereit
Und auch ein weiteres technisches Versäumnis wird angeprangert: Eigentlich müssten die Krankenkassen – spätestens bis zum November 2022 – in der Lage sein, Impf- und Genesenenzertifikate in die elektronische Patientenakte einzustellen. Und auch hierfür ist die Technik noch nicht weit genug.
Die Krankenkassen outen sich somit als wahre Digitalisierungsverlierer – wie es sie im Jahr 2022 eigentlich nicht mehr geben dürfte. Vorschläge, ob und ab wann sich eine Impfpflicht realistisch umsetzen ließe, liegen momentan noch nicht vor.