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Italien und Frankreich als Vorreiter
Seit dem 21. Juli 2022 fließt immerhin wieder Gas durch die Nord-Stream-1-Pipeline. Dennoch wird die Lage durch die Medien weiterhin als angespannt bewertet. Schließlich könnte es sich der unberechenbare Putin täglich wieder anders überlegen. Italien und Frankreich sind auf den ersten Blick der Beweis, dass Putin nicht nur blufft: Italien erhält nur noch die Hälfte der zugesicherten Gasmenge. An Frankreich liefert Russland aktuell (Stand: 27.07.2022) überhaupt kein Gas mehr.
Allerdings wussten sich beide Länder bereits zu helfen. Italien deckt nun 31 Prozent seines Bedarfs mit Gas aus Lybien. Frankreich dagegen baut jetzt zu einem großen Teil auf Flüssiggas als Energielieferant und besitzt dafür bereits vier entsprechende Flüssiggas-Terminals. Warum sollte nun Deutschland nicht auch zeitnah die Unabhängigkeit von russischem Gas gelingen?
So kann Deutschland ab jetzt sein Versorgungsleck stopfen
- Norwegen kann bereits jetzt mehr Gas nach Deutschland liefern als bisher. Auch die Niederlande können Deutschland weiterhin unterstützen.
- Deutschland könnte bis zu 15 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Eigenförderung decken.
- Flüssiggas kann auf lange Sicht die Abhängigkeit von Russland beenden.
- Amerika und Kanada haben ihre Unterstützung als Flüssiggaslieferanten zugesagt.
- Auch Biogas ist eine effektive Alternative zu Erdgas aus Russland.
Keine Panik: Auf dem internationalen Markt gibt es Gas in Überfluss
Auf dem weltweiten Gasmarkt wurden im Jahr 2021 4,04 Billionen Kubikmeter Gas gefördert. Im Jahr 2021 hatte Deutschland einen Verbrauch von 90,5 Millionen Kubikmeter. Es gibt weltweit also genug Gas, damit Deutschland auch ohne Lieferungen aus Russland seinen Bedarf decken könnte.
Zudem ist Russland zwar einer der größten Gaslieferanten – aber nicht der größte. Die Nummer eins sind und bleiben die Vereinigten Staaten. Diese förderten im Jahr 2021 über 33 Prozent mehr Gas als Russland.
Keine Panik: Norwegen könnte noch mehr Gas liefern als vergangenes Jahr
Bereits 2021 kamen 30 Prozent der Gaslieferungen in Deutschland aus Norwegen. Laut Berichten der WirtschaftsWoche hat Norwegen dieses Jahr bereits doppelt so viel Gas nach Deutschland exportiert als im gesamten Jahr 2021 – und sieht sich in der Lage, dieses Niveau durchzuhalten.
Dafür sorgen ganze drei Erdgas-Pipelines, über die Norwegen Deutschland beliefern kann. Die wichtigste ist die Norpipe, eine Unterwasser-Pipeline in der Nordsee. Diese liefert das Erdgas von der Erdgas-Fundstätte Ekofisk nach Emden in Ostfriesland.
Keine Panik: Auch die Niederlande wollen Deutschland weiterhin mit Gaslieferungen unterstützen
Das Gasfeld Groningen in den Niederlanden gilt als größtes Gasfeld Europas. Dementsprechend kamen im Jahr 2021 10 Prozent der Erdgasmenge in Deutschland aus den Niederlanden.
Die Schwachstelle der Gasförderung in Groningen ist die damit einhergehende Erdbebengefahr im Land. Aufgrund der Krisensituation wollen die Niederlande dennoch die Gasförderung in Groningen weiter hochfahren.
Keine Panik: Afrikanische Staaten als neue Hoffnungsträger
Den Anfang machte Italien mit einem Gas-Deal mit Algerien – und Deutschland könnte diesem Beispiel folgen. Der größte Staat des afrikanischen Kontinents ist mittlerweile Hauptlieferant von Gas nach Italien.
Algerien könnte 32 Milliarden Kubikmeter pro Jahr über die Transmed-Pipeline von Algerien über das Mittelmeer nach Europa transportieren. Auch Ägypten, Angola, die Republik Kongo und weitere Länder sind als Gaslieferanten auf dem afrikanischen Kontinent im Gespräch.
Keine Panik: die USA als Flüssiggas-Lieferant der Zukunft
Laut der internationalen Energieagentur (IEA) hat die EU im Juni erstmals mehr Gas aus den USA als aus Russland importiert. Seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine haben die USA ihre Gaslieferungen nach Europa mehr als verdreifacht. Da es keine Gas-Pipeline von den USA nach Europa gibt, wollen die USA daher auf dem Seeweg transportiertes Flüssiggas liefern.
Um das Flüssiggas in das Pipeline-Netz in Europa einzuspeisen, werden spezielle Terminals benötigt. Diese gibt es bislang nur in Italien, den Niederlanden, Spanien und Frankreich. Das erste Terminal in Deutschland wird momentan in Wilhelmshaven gebaut. Danach sollen neue Terminals in Stade bei Hamburg und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein folgen.
Keine Panik: Kanada will den USA bei der Flüssiggaslieferung unter die Arme greifen
Im Jahr 2001 produzierte Deutschland laut dem Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e. V. (BVEG) noch 21 Prozent seines Gasverbrauchs selbst. Momentan sind es nur rund 5 Prozent. Laut Experten und Expertinnen könnte sich der Selbstversorgungsanteil Deutschlands innerhalb nur weniger Wochen auf 10 bis 15 Prozent erhöhen.
Starke Eingriffe in die Infrastruktur seien dafür nicht nötig. Die wichtigsten Fördergebiete für Erdgas in Deutschland befinden sich momentan in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen und Bayern.
Keine Panik: Deutschland könnte sich zu einem großen Anteil selbst mit Gas versorgen
Im Jahr 2001 produzierte Deutschland laut dem Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e. V. (BVEG) 21 Prozent seines Gasverbrauchs selbst. Momentan sind es nur rund 5 Prozent. Laut Fachleuten könnte Deutschland den Selbstversorgungsanteil innerhalb nur weniger Wochen auf 10 bis 15 Prozent erhöhen.
Starke Eingriffe in die Infrastruktur seien dafür nicht nötig. Die wichtigsten Fördergebiete für Erdgas in Deutschland befinden sich momentan in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen und Bayern.
Keine Panik: Biogas als nachhaltige Alternative zu Erdgas
Laut einer Studie des Biomasseforschungszentrums ist es momentan möglich, in Deutschland doppelt so viel Biogas aus Energiepflanzen oder Gülle zu gewinnen wie bisher.
Im Jahr 2017 haben die in Deutschland betriebenen Biogasanlagen etwa 32 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugt und haben damit 5,4 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland gedeckt. Laut dem Fachverband Biogas soll der Biogas-Sektor im Jahr 2030 EU-weit 20 Prozent der Gasimporte aus Russland abdecken können.
Spekulierende auf dem Gasmarkt treiben die Preise zusätzlich in die Höhe – und schießen sich selbst ins Aus
Die Gaspreise werden nicht nur von Angebot und Nachfrage auf dem Markt beeinflusst. Ein großer Teil der Umsätze auf den Rohstoffbörsen lässt sich inzwischen auf Finanzinvestoren zurückverfolgen. Experten und Expertinnen sprechen inzwischen von 80 Prozent aller Geschäfte. Der einzige Absicht hinter diesen Transaktionen ist es, die gehandelten Rohstoffe für Gewinn weiterzuverkaufen.
Zum Beispiel haben Spekulierende die Möglichkeit, eine Lieferung von Erdgas zu einem bestimmten Preis und einem bestimmten Zeitpunkt zu kaufen. Ein solches Finanzprodukt nennt sich Future-Kontrakt. Tritt der vereinbarte Zeitpunkt ein und der Wert der gekauften Erdgasmenge hat sich erhöht, können die Spekulierenden den erworbenen Rohstoff für einen höheren Preis weiterverkaufen und damit einen Gewinn einfahren.
Zahlreiche Experten und Expertinnen sind inzwischen überzeugt, dass solche Spekulationen die Rohstoffpreise weltweit stark verzerren.
Spekulierende sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen
Auf lange Sicht beschleunigen solche künstlich aufgeblähten Preise jedoch nur die Motivation zum Ausstieg aus dem Gasmarkt. Und eins steht fest: Verbrauchende und Firmen, die Gas zur Energiegewinnung aufgrund von Wucherpreisen den Rücken kehren, werden nie wieder zurückkehren.
Wer die explodierenden Gaspreise auf dem Markt beobachtet, fühlt sich regelrecht an die Ölpreiskrise ab dem 4. April 2011 erinnert. Hier stieg der Preis für Brent-Öl auf über 120 US-Dollar. Ausschlaggebend dafür waren die Ereignisse des Arabischen Frühlings und der resultierende Bürgerkrieg in Libyen.
Spekulierende rechneten mit einem einen langfristigen Ausfall der Ölproduktion des Landes und einem Übergreifen der Unruhen auf den großen Erdölexporteur Saudi-Arabien. Das Resultat war, dass der Erdölpreis massiv in die Höhe stieg und alternative Energien weltweit an Attraktivität gewannen. Und auch Deutschland nahm sich vor, Nägel mit Köpfen zu machen und beschloss, die Energiewende in Angriff zu nehmen.
Keine Panik: Es wird zwar teurer werden, aber niemand wird im kommenden Winter frieren müssen
Der tägliche Füllstand der Gasspeicher in Deutschland lässt sich auf der Website der Bundesnetzagentur täglich aktuell einsehen.
Bei der Statistik-Plattform Statista lässt sich der Füllstand sogar bis Frühjahr 2021 zurückverfolgen. Nach einem Einbruch auf 24 Prozent Mitte Mai liegt der Füllstand der deutschen Gasspeicher aktuell (Stand: 24.07.2022) bei 65 Prozent – und liegt damit bereits über dem Vorjahresniveau. Gut gefüllte Gasspeicher in der kommenden Heizsaison erscheinen zum jetzigen Zeitpunkt somit immer realistischer.
Die Bundesnetzagentur bewertet die Lage als stabil
Dementsprechend liest sich der aktuelle Lagebericht der Bundesnetzagentur längst nicht so dramatisch, wie der Tenor in den Medien suggeriert. Die Lage gelte als „leicht angespannt“, heißt es. Dennoch sei die Versorgungssicherheit weiterhin gewährleistet und die Situation wird als stabil bewertet. Zudem könnten die fehlenden Mengen aktuell noch anderweitig am Markt beschafft werden, wenn auch zu steigenden Preisen.
Auf Twitter äußerte Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, inzwischen Zufriedenheit darüber, dass sich die deutschen Gasspeicher inzwischen „wieder mit einem annehmbaren Tempo füllen“. Und die Chance stehen gut, dass dies auch so bleiben wird.
Russisches Gas nach China oder Indien?
Übrigens: Auch das Horrorszenario, dass Russland das nicht nach Europa gelieferte Gas an China oder Indien weiterleiten, ist ein Ammenmärchen. Denn ein solches Vorhaben dürfte aus Infrastrukturgründen schwierig werden: Weder von Russland auf den chinesischen Kontinent noch von Russland nach Indien gibt es die dafür notwendigen Pipelines.