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Sind Touchscreens und Sprachsteuerung wirklich der technologische Zenit?
Vor allem am Arbeitsplatz dominieren auch heute noch Computer mit Eingabetechnik, die bereits seit den 1970er Jahren existiert. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Touchscreens und Sprachsteuerung zwar einen großen Popularitätsschub erfahren. Andererseits sind die Präzision und Ergonomie von Computermaus und Tastatur bis heute ungeschlagen.
Ein Unternehmen, das beschließt, für jede Abteilung nur noch Touchscreens und Sprachsteuerung einzusetzen, dürfte schnell mit Produktivitätsproblemen zu kämpfen haben. Die Bedienung von Benutzeroberflächen per Gedankensteuerung scheint dagegen schier endloses Potenzial zu besitzen. User-Schnittstellen, die die Gedanken des Nutzers innerhalb von Sekunden in Texte, E-Mails oder Grafiken umwandeln, könnten unsere Arbeitswelt revolutionieren.
Dass sich Gehirnaktivitäten elektronisch auslesen lassen, weiß die Wissenschaft schon lange. Unser technischer Fortschritt müsste doch bald weit genug entwickelt sein, um unsere Gehirnströme zum Steuern von Computer, Smartphone und Co. einzusetzen?
Unser Gehirn steht permanent unter Strom
Gehirnzellen kommunizieren unter anderem mithilfe elektrischer Signale. Das menschliche Gehirn kann genügend Elektrizität erzeugen, um eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen. Bereits durch das Platzieren von Elektroden am Kopf können die im Gehirn entstandenen elektrischen Signale ausgelesen und zur Auswertung und Verarbeitung weitergeleitet werden.
Der Traum von Technologien mit Gedankensteuerung geht lange Jahre zurück
Forschungen über die Möglichkeit, das menschliche Gehirn mit Maschinen zu vernetzen, gibt es bereits seit über 50 Jahren. Bereits im Jahr 1969 gelang es Forschern, mithilfe einer an Gehirnelektroden angeschlossenen Ausschlagnadel die Gehirnsignale von Laboraffen messbar zu machen.
1973 veröffentlichte der US-amerikanische Wissenschaftler Jacques Vidal die erste wissenschaftliche Arbeit über die Möglichkeit einer direkten Kommunikation zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern. Bis die erste vollständige Definition der Anforderungen an eine Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer erschien, dauerte es jedoch bis zum Jahr 2000.
Auf dem Weg zum Cyborg? In der Medizin kommt Gedankensteuerung erfolgreich zum Einsatz
Im 21. Jahrhundert wurde das Auslesen von Gehirnströmen über Elektroden allmählich ausgereifter – und wurde hauptsächlich zum Ansteuern von Hightech-Prothesen verwendet.
2007 wurde die erste gedankengesteuerte Armprotese in Wien vorgestellt. Im Jahr 2017 entwickelten Forscher der Stanfort-Universität eine Lösung, die es gelähmten Menschen ermöglichte, per Gedankensteuerung ein Kommunikationssystem mit virtuellen Buchstabentasten zu bedienen. 2020 entwickelten Experten der University of Michigan eine ohne jede Verzögerung reagierende mechanische Handprothese.
Zur Vernetzung des Gehirns mit elektronischen Geräten kennt die Wissenschaft aktuell drei Verfahren:
Invasive Gehirn-Computer-Schnittstellen
Invasive BCIs (von engl. Brain-Computer-Interface) werden mittels eines neurochirurgischen Eingriffs in das Gehirn implantiert. Diese Methode ermöglicht die beste Signalqualität. Da der dafür notwendige Eingriff ein riskantes und teures Verfahren ist, sind die Zielgruppen der invasiven BCI hauptsächlich blinde und gelähmte Patienten.
Neben dem risikoreichen Eingriff in das Gehirn hat dieses Verfahren noch einen weiteren Nachteil: Der Körper reagiert auf die ins Gehirn eingepflanzten Fremdkörper und bildet Narben um die Elektroden, was zu einer Verschlechterung der Signalqualität führt.
Nicht-invasive Gehirn-Computer-Schnittstellen
Diese Technik kommt ohne Eingriffe in das Gehirn aus. Eine nicht-invasive Hirn-Computer-Schnittstelle arbeitet meist auf der Grundlage einer EEG (Elektroenzephalographie).
Diese misst die Spannungsschwankungen im Gehirn. Ein großer Teil des Stroms im Gehirn ist noch von der Kopfhaut aus messbar. Daher erfolgt die Messung über eine Kopfbedeckung mit eingenähten Elektroden. Der Nachteil ist, dass die auf diese Weise übertragenen Signale verlust- und störungsanfällig sind. Die präzise Gedankensteuerung angeschlossener Geräte wird dadurch erschwert
Semi-Invasive Gehirn-Computer-Schnittstellen
Hier kommt ein Elektrokortikographie (EKoG) genanntes Verfahren zum Einsatz. Dabei werden Elektroden an der Oberfläche des Gehirns angebracht, um die elektrische Aktivität der Großhirnrinde zu messen. Das Signal hat dabei eine deutlich höhere Qualität als bei nicht-invasiven BCIs, auch wenn es nicht das Niveau von invasiven BCIs erreicht. Allerdings muss auch hier der Schädel geöffnet werden, weshalb semi-invasive BCIs ebenso nur aus medizinischen Gründen eingesetzt werden.
Wo bleibt die Gedankensteuerung für PC und Smartphone?
Inzwischen sind etliche kommerzielle BCIs erhältich – dazu gehören die Gadgets von Nextmind, Neurable, Synchron und BrainNet. Allerdings ermöglichen diese bisher nur das Ansteuern bestimmter Funktionen wie die Ausführung bestimmter Bewegungen in Computerspielen oder das Auslesen der Gehirnaktivität im Alltag. Den Anspruch, universelle Eingabegeräte für den täglichen Gebrauch zu sein, erheben sie noch nicht.
BCIs zur Computersteuerung sind für den Alltagseinsatz noch nicht präzise genug
Laut Experten ist das größte Manko von BCIs aktuell die mangelnde Präzision. „BCIs funktionieren schon. Aber sie funktionieren nicht sehr gut“, wird Dr. Fabien Lotte, Forschungsleiter am Nationalen Forschungsinstitut für Informatik und Automatisierung in Bordeaux-Sud-Ouest zitiert.
Laut Lotte führt die aktuelle BCI-Technologie Gedankenbefehle in 60 bis 80 Prozent aller Fälle korrekt aus. Handelt es sich nur um sehr simple Befehle, wie etwa einen Cursor von links nach rechts zu bewegen, sind es immerhin 70 bis 80 Prozent.
Maus, Tastatur und Touchscreen bleiben – vorerst – verlässlicher
Solche Werte liegen noch weit hinter der Zuverlässigkeit traditioneller Eingabegeräte. Zwar könnte sich die Leistung der Systeme durch die Verwendung invasiver und semi-invasiver BCIs verbessern lassen. Allerdings sind diese weiterhin mit risikoreichen chirurgischen Eingriffen verbunden. Zudem sind sich Fachleute einig, dass Gehirn-Computer-Schnittstellen aktuell nur mit speziellem Nutzertraining brauchbare Ergebnisse liefern können.
Darüber hinaus sammeln BCIs zum jetzigen Zeitpunkt noch zu wenig Daten. Üblicherweise werden die Elektroden nämlich nur aktiv, wenn der Nutzer eine Handlung ausführen will. Allerdings könnten auch Daten aus der Ruhephase des Gehirns nützlich sein, um mögliche Aktionen des BCI-Nutzers besser vorauszusehen.
Große Pläne für die Zukunft gibt es dennoch
Bis wir unsere Tastaturen und Touchscreens durch eine Elektrodenhaube eintauschen, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Allerdings gibt es bereits große Pläne für den nächsten Schritt: Niemand anderes als Elon Musk plant, auf lange Sicht eine Schnittstelle zu entwickeln, die nicht nur Informationen auslesen, sondern auch neue Informationen im Gehirn speichern kann.
Auf diese Weise soll eine Symbiose zwischen Gehirn und Computer hergestellt werden. Wenn das keine Aussicht auf eine rosige Zukunft ist?