Daniel wendet an, was bisher nur von Tieren wie Fledermäusen bekannt war. Die Fledertiere sind selbst bei völliger Dunkelheit in der Lage, sich zu orientieren und ihre Beute aufzuspüren. Die Bezeichnung dieses Phänomens lautet: Echo-Ortung.
Doch wie funktioniert dieses akustische Orientierungssystem? Während ihrer nächtlichen Ausflüge stoßen Fledermäuse ständig kurze Schreie aus, bis zu hundertmal in der Sekunde. Wir Menschen können sie nicht hören, da ihre Tonfrequenz im Ultraschallbereich liegt.
Befindet sich ein Gegenstand in der Nähe, werden die Schallwellen reflektiert und von der Fledermaus registriert. Nicht einmal das kleinste Insekt entgeht so dem nächtlichen Jäger. Doch nicht nur an Land funktioniert die Echo-Ortung: Auch Delfine finden sich mit Hilfe von Klicklauten im Meer zurecht und können selbst in trüben Gewässern mühelos ihre Beute aufspüren.
Durch Geräusche sehen
Daniel Kish macht es ihnen gleich. Unaufhörlich schnalzt er mit der Zunge, wenn er unterwegs ist. Etwa viermal pro Sekunde. Durch das schwache Echo der Klicklaute kann er seine Umwelt mit erstaunlicher Präzision wahrzunehmen: In seinem Kopf entsteht ein dreidimensionales, akustisches Bild. Befindet sich Daniel in einem Raum, entwickelt der Blinde sofort eine Vorstellung von dessen Größe und Form.
Sogar die Einrichtungsgegenstände bleiben seinem Ortungssystem nicht verborgen. Zielsicher kann er sich in den nächsten Sessel fallen lassen. Doch das ist noch nicht alles. Sogar das Material und die Dichte von Objekten hört er. Das Echo eines Baums klingt für ihn anders als das eines Laternenpfahls.
Jeder kann es lernen
Echo-Ortung nur was für Blinde? Nein, jeder kann lernen, sich auf diese Weise zu orientieren. Das hat der spanische Kommunikationswissenschaftler Juan Antonio Martínez in einer Studie herausgefunden: Mit verbundenen Augen übten seine zehn Probanden zuerst, mit Klicklauten die Begrenzungen eines Gegenstands zu erkennen. Dann stieg der Schwierigkeitsgrad: Mithilfe des Klickens versuchten sie, die Abstände zwischen zwei Gegenständen wahrzunehmen.
Bereits nach wenigen Wochen Training waren die Teilnehmer in der Lage, Objekte anhand ihrer reflektierten Schallwellen zu orten. Von der Perfektion, mit der Daniel Kish Objekte und unbekannte Plätze beschreiben kann, waren sie jedoch noch weit entfernt. Seine Fähigkeiten der Echo-Ortung sind überragend.
Mit Echo-Ortung um die Welt
Sein Augenlicht hat Daniel bereits im Alter von einem Jahr durch ein Krebsleiden verloren. Wie es ist, zu sehen, weiß er nicht mehr. Doch dank der Echo-Ortung ist es ihm gelungen, seine Blindheit zu überwinden – allein mit Zungenschnalzen und seinem Gehör. Um anderen Blinden zu helfen, gründete Daniel im Jahr 2000 die World Access for the Blind (WAFTB) und lehrt blinden Kindern weltweit die Echo-Ortung. Er hilft damit tausenden Blinden, ein unabhängigeres Leben zu führen.