Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

Moorleichen: die geheimnisvollen Toten aus dem Sumpf

Foto: Pixabay / cocoparisienne

Moorleichen: die geheimnisvollen Toten aus dem Sumpf

In früheren Zeiten galten Moore als unheimliche, schaurige Orte, um die man besser einen weiten Bogen machte. Die Toten, die immer wieder im Moor gefunden werden, werfen zahlreiche Frage auf: Wie kamen die Moorleichen ums Leben? Wurden sie im Moor bestattet – oder waren sie lebendige Menschenopfer?

In früheren Zeiten schien die Gefahr, achtlos ins Moor zu geraten und von ihm verschlungen zu werden, allgegenwärtig. Die Faszination, die Moorlandschaften auf uns Menschen ausüben, hängt nicht zuletzt mit den dort gefundenen Moorleichen zusammen.

Der Fund einer Moorleiche gilt als Glücksfall für die Archäologie: Durch den Luftabschluss und die im Moor vorhandenen Huminsäuren werden die Körper der Toten teilweise so gut konserviert, dass selbst Kleidung, Frisuren und sogar Mageninhalt für die Nachwelt erhalten bleiben. Dadurch gewinnen Forscher direkte Einblicke in das Leben der vor Hunderten von Jahren Verstorbenen: Die Leichname besitzen häufig noch Haut, Haare und Fingernägel. Auch ihre Gesichtszüge sind manchmal noch klar zu erkennen.

Schauermärchen, Mythen und Legenden

Um Moore und Sümpfe ranken sich zahlreiche alte Mythen, Schauermärchen und Gruselgeschichten. Seit jeher waren die unheimlichen und geheimnisvollen Orte Kulisse für Bücher und Filme. Die Menschen früherer Jahrhunderte waren begeistert, wenn eine Moorleiche beim Torfabbau ans Licht kam und schrieben ihnen besondere Kräfte zu. Sie zerrieben die Leichname bis ins 19. Jahrhundert zu Mumia, einer Art Allheilmittel, oder behielten ein Stück Haut oder Haare als Souvenir.

Die Totenfunde aus dem Moor werfen viele Fragen auf: Wie gelangten die Menschen in das Moor? Kamen sie dort  ums Leben oder wurden sie erst nach ihrem Tod im Moor begraben? Waren sie Opfer eines Unfalls oder eines Verbrechens? Oder sind die Moorleichen stumme Zeugen eines Menschenopferkultes?

Menschenopfer, Straftäter oder Außenseiter?

Durch die optimalen Erhaltungsbedingungen im Morast können verschiedene Aussagen über die Lebensweise und auch über die Todesursache der Moorleichen getroffen werden. Doch eine bleibt meist unbeantwortet: Warum sind gerade diese Menschen nach ihrem Tod ins Moor gelangt? Handelt es sich bei den Menschen im Moor, wie häufig behauptet wird, um Opfergaben an alte Gottheiten?

Einige Indizien weisen zumindest darauf hin. So gibt der Name des in Dänemark gefundenen Tollund-Mannes Anlass zu Spekulationen: Das Wort Tollund stammt vermutlich von Torlund, dem Hain des nordischen Gottes Thor. Deshalb – und weil sich ein Strick um seinem Hals befand – gingen die Archäologen, die ihn entdeckten, davon aus, dass sie hier eine Opfergabe an den nordischen Gott Thor vor sich hätten.

Die Menschenopfer der Germanen

Eine weitere wichtige Quelle stellt der römische Historiker Tacitus dar: In seinem Werk „Germania“ schilderte er, dass die Germanen Feiglinge und Unkeusche im Moor versenkten. Weiterhin beschreibt Tacitus auch Menschenopfer, die der germanischen Göttin Nerthus dargebracht wurden.

Diese Schilderungen verleiteten die Forscher dazu, die Moorleichen im Zusammenhang mit Opferungen im Zuge von Fruchtbarkeitsriten zu sehen. Einige Archäologen widersprechen jedoch der Opferthese und führen an, die Moorleichen könnten auch lediglich im Moor bestattet worden sein.

Dagegen spricht jedoch die Abweichung von der sonst in dieser Zeit üblichen Bestattungsart – der Brandbestattung. Auch die Tatsache, dass Grabbeigaben fehlen, spricht gegen eine Bestattung im Moor. Aber nicht nur Menschen wurden ins Moor gebracht – man fand dort auch andere Schätze. So wurden häufig auch Waffenopfer in den Mooren deponiert. Dies zeigt einmal mehr die Bedeutung des Moores als Ort für rituelle Opferungen.

„Overkill“: Mehrfachtötungen als Indiz für Opferungen

Letztlich lässt sich die Frage, ob es sich bei den Menschen im Moor tatsächlich um Opfer handelte, aus archäologischer Sicht nicht eindeutig beantworten. Dennoch vertritt die Mehrzahl der Forscher die Opferthese.

Grund dafür sind sicherlich die zahlreichen Verletzungen, die einige Moorleichen aufweisen. Die meisten Moorleichen sind keines natürlichen Todes gestorben. Unter Experten wird dabei häufig der sogenannte „Overkill“ als Indiz für ein Menschenopfer herangezogen: Um einen Overkill handelt es sich, wenn der Leichnam mehrere tödliche Verletzungen aufweist. Diese Mehrfachtötungen geben Hinweise auf rituelle Handlungen.

Hängen diese Mehrfachtötungen also mit der Opferung bzw. der Bestrafung der Getöteten zusammen? Oder wurden die Menschen nach ihrem Tod verstümmelt, um sie so an der Wiederkehr zu hindern?

Der Mann von Dätgen: Enthauptet, entmannt, erstochen

Ein bekannter Moorleichenfund in Deutschland ist der „Mann von Dätgen“: Körper und Rumpf dieser Moorleiche wurden in den Jahren 1959 und 1960 voneinander getrennt im Großen Moor bei Dätgen in Schleswig-Holstein entdeckt. Auch bei dem Mann von Dätgen sind Hinweise auf einen gewaltsamen Tod nachweisbar.

Vor etwa 1800 Jahren wurde der damals etwa dreißigjährige Mann Opfer einer Mehrfachtötung. Seine Wunden sind so zahlreich, dass nicht genau bestimmt werden kann, in welcher Reihenfolge ihm diese Verletzungen zugefügt wurden – und an welcher er schließlich starb.

Der „Rote Franz“: Reiterkrieger oder Opfer?

Auch im Fall der Moorleiche von Neu Versen, die wegen ihrer durch das Moor gefärbten Haare „Roter Franz“ genannt wird, sind mehrere Spuren von Gewalt nachweisbar. Die Leiche wurde am 8. Juni 1900 im Bourtanger Moor im Emsland beim Torfstechen gefunden. Mit dem Gesicht nach oben, in etwa 50 Zentimetern Tiefe, lag er im Moor. Heute gilt der „Rote Franz“ als bekannteste der etwa 60 in Niedersachsen gefundenen Moorleichen.

Der Zeitpunkt seines Todes lässt sich durch verschiedene moderne Untersuchungsmöglichkeiten, wie eine Pollen- und eine Haaranalyse datieren: etwa in den Zeitraum zwischen 135 bis 385 n. Chr. Die Verwundung, die wahrscheinlich zum Tod des „Roten Franz“ führte, war eine Schnittwunde am Hals. Weiterhin hat er eine Verletzung am linken Schlüsselbein, die wahrscheinlich auch auf den Kehlschnitt zurückzuführen ist.

Ob Opfer an die Götter, Bestrafung Unzüchtiger oder Kriegsscheuer: Die meisten Moorleichen fanden einen gewaltsamen Tod. Die Tatsache, dass sie im Moor niedergelegt wurden, diesem Niemandsland zwischen Erde und Wasser, unterscheidet sie von normal bestatteten Menschen. Aus welchem Grund auch immer: Durch die Moorbestattung wurde ihnen eine besondere Ehre oder eine besondere Strafe zuteil. Über die Jahrhunderte blieben sie bestens erhalten – und liefern bis heute Stoff für Spekulationen.

Welt der Wunder - Die App

Kostenfrei
Ansehen