Am 26. September 1969 erscheint „Abbey Road“, das elfte Album der Beatles – und keine drei Wochen später ist die Welt der Fans nicht mehr dieselbe. Es sind nicht die Songs, auch nicht die Gerüchte über eine bevorstehende Trennung, die ihre Anhänger so erschüttern. Es ist das Cover der Platte, das Fragen aufwirft.
Es begann mit einem Zebrastreifen …
Paul McCartney, so stellen aufmerksame Fans fest, tanzt auf dem Foto aus der Reihe. Als Einziger läuft er barfuß, als Einziger nicht im Schritt mit den anderen, als Einziger mit einer Zigarette, und die auch noch in der rechten Hand, obwohl er Linkshänder ist. Was war der Grund dafür? Warum wurde McCartney anders als die übrigen Bandmitglieder präsentiert?
Schon bald geht ein merkwürdiges Gerücht um, erst an den Universitäten, dann in einer amerikanischen Radioshow, auf der ganzen Welt: Paul McCartney sei längst verstorben; in der Band werde er durch einen Doppelgänger ersetzt, dessen Gesicht in vielen Operationen das das seines Vorgängers angeglichen wurde. Die Beatles seien von ihrem Management dazu gezwungen worden – um ihren Erfolg nicht zu gefährden. Seitdem würden John Lennon, George Harrison und Ringo Starr ihre Fans mit geheimen Botschaften darauf aufmerksam machen, dass etwas nicht stimme.
Ein Gerücht nimmt seinen Lauf
Was dann begann, lässt sich mit dem Wort Hysterie nicht einmal annähernd beschreiben. Anhänger der Theorie schlugen sich Nächte um die Ohren, um versteckte Botschaften zu suchen und mögliche Beweise zu katalogisieren. Für sie war das mysteriöse „Abbey Road“-Cover gerade erst der Anfang. So glaubten manche Fans, in den Songtexten der Band eine Rekonstruktion von Paul McCartneys Todesumständen zu erkennen.
In „She’s Leaving Home“ vom „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“-Album heißt es schließlich: „Wednesday morning at five o’clock as the day begins“ – also, folgerten sie, müsse Paul McCartney an besagtem Tag, einem Mittwoch, das Haus um fünf Uhr morgens verlassen haben. Dann, in „A Day In The Life“, sahen sie ihn der Zeile „He didn’t notice that the lights had changed“ einen Hinweis darauf, dass er anschließend eine rote Ampel übersehen habe. Und das später im Lied folgende Geräusch eines Autounfalls erkläre seine Todesursache.
Im Laufe der Zeit wurde diese Geschichte immer weiter ausgeschmückt. Man habe Paul McCartney nach dem Unfall nicht identifizieren können, weil er so verbrannt gewesen sei. Darüber hinaus habe er durch den Aufprall sämtliche Zähne verloren. Das Management habe die Tatsache von seinem Tod geheim halten wollen und deshalb in aller Stille einen Doppelgänger-Wettbewerb ausgerufen. Der Gewinner, ein gewisser William Campbell, habe dennoch zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen, um dem verstorbenen Paul so ähnlich wie möglich zu sehen.
Geheime Botschaften
Doch egal, was das Management sagt, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr bleiben ihren Fans treu! Da waren sich die Anhänger der kuriosen Geschichte sicher. Sie glaubten, die drei ließen ihnen versteckte Botschaften zukommen, die zeigten, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Hinweise in ihren Songtexten beispielsweise, und auf den Plattencovern – und die berühmten Rückwärtsbotschaften. In „Revolution Number Nine“ meinten Fans, „Turn me on, dead man“ herauszuhören, am Ende von „Strawberry Fields Forever“ wiederum sänge John Lennon „I buried Paul“. Und in „I Am The Walrus“ erkannten sie das legendäre „Paul is dead“.
Ob und wie das menschliche Gehör solche unterschwelligen Botschaften wahrnehmen kann, wurde damals gerade heiß diskutiert – hatte doch der US-Amerikaner James Vicary erst kurz zuvor behauptet, er habe versteckte Werbebotschaften in Kinofilme eingeblendet. Die Geschichte war zwar, gab James Vicary später zu, frei erfunden. Doch seitdem war in der Bevölkerung das Interesse an medial verbreiteten geheimen Botschaften gewachsen. Und da „wilde“ Rockmusiker generell im Verdacht standen, ihre Anhänger zu zügellosen Leben, Drogenkonsum oder gar zum Selbstmord aufzurufen, erschien ein solches Vorgehen bei den Beatles nicht abwegig.
… und er lebt doch!
Als schließlich die CD auf den Markt kam und Vinylplatten an Bedeutung verloren, ebbte das Interesse an Rückwärtsbotschaften ab – und auch die Verschwörungstheorie rund um Paul McCartneys Tod verschwand in der Versenkung. Im Internet kursieren die Gerüchte allerdings weiterhin: Zahlreiche Seiten sammeln nach wie vor Hinweise. Manche arbeiten mit Computersimulationen, die zeigen sollen, wie der „echte“ Paul heute aussähe.
Möglicherweise könnte die Erklärung für die kuriose Verschwörungstheorie auch an anderer Stelle zu suchen sein: Menschen, die unter dem so genannten Capgrass-Syndrom leiden, glauben, vertraute Menschen seien durch Doppelgänger und Betrüger ersetzt wurden. Grund dafür können beispielsweise Hirnschädigungen als Folge von einem Schädeltrauma sein.
McCartney selbst reagierte in Interviews lange Zeit gereizt auf das Thema. Erst 1993 konnte er es offenbar mit Humor nehmen: 27 Jahre nach seinem angeblichen Tod veröffentlichte er ein Album mit dem Namen „Paul Is Live“. Den Einnahmen der Beatles dürften die Gerüchte allerdings gut getan haben: Die Platten der Band fanden noch über Jahrzehnte hinweg reißenden Absatz.