Dekontaminations-Profis
Im nordrhein-westfälischen Forschungszentrum Jülich beschäftigt sich der Fachbereich Dekontamination mit der Entsorgung und Behandlung von radioaktiven Teilen und Abfällen. Dazu gehören die Stahlträger und Betonwände von stillgelegten Kraftwerken, aber auch radioaktive Stoffe aus wissenschaftlichen Einrichtungen und medizinischen Laboren.
Dekontaminiert wird nicht nur von radioaktiven Stoffen, sondern auch von chemischen und biologischen Verunreinigungen. Es ist aber die atomare Kontamination, die den Experten am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Denn während sie chemische und biologische Stoffe durch Verbrennung ganz beseitigen können, bleibt bei radioaktiven Verunreinigungen immer atomarer Abfall übrig, der in einem Endlager deponiert werden muss – für bis zu mehrere tausend Jahre.
Wasser ist das Lösungsmittel Nummer 1
Es klingt paradox: Obwohl der atomare Abfall nahezu unzerstörbar ist, reicht zur Dekontamination meist schon eine Dusche aus. Mit einem Hochdruckwasserstrahl werden die Verunreinigungen vom Objekt gewaschen. Der Grund: Wasser ist ein hervorragendes Lösungsmittel. Das liegt an seiner einfachen atomaren Struktur mit zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom. Die sogenannten Radionuklide, also die kleinsten radioaktiven Teilchen, die auf einer Oberfläche weiter Strahlung abgeben, werden so im Wasser gebunden.
Wie beim feuchten Staubwischen in der Wohnung wird der radioaktive Schmutz abgewaschen. Doch im Gegensatz zum Wischen zu Hause kann das Reinigungswasser nicht einfach in den Abfluss gekippt werden – das Wasser ist nun verstrahlt. Und da der Hochdruckwasserstrahl die Radionuklide aufwirbelt, muss diese Art der Dekontamination in isolierten Kammern durchgeführt werden. Die Arbeiter müssen Schutzanzüge mit fremdbelüfteten Sauerstoffmasken tragen.
Verstrahlte Arbeitskleidung und radioaktives Granulat
Noch etwas muss dekontaminiert werden: Arbeitskleidung und Wäsche. In speziellen Anlagen werden die Textilien so lange gereinigt, bis sie nicht mehr kontaminiert sind – immer wieder wird das mit Strahlungsdetektoren überprüft. Auch bei der Wäsche fallen verstrahlte Abwässer an. Alle kontaminierten Flüssigkeiten müssen in einem weiteren Schritt behandelt werden.
In riesigen Destillatoren werden die Flüssigkeiten verdampft – übrig bleibt das sogenannte Verdampfer-Konzentrat, ein radioaktiver Schlamm, dem in einem nächsten Schritt sämtliche Feuchtigkeit entzogen wird, bis ein festes Granulat entsteht. In versiegelten Fässern wird dieses Granulat zu einem Endlager transportiert. So lässt sich zwar fast alles dekontaminieren – doch die gefährlichen Radionuklide strahlen weiter.
Kann eine ganze Stadt dekontaminiert werden?
Als am 26. April 1986 Block 4 des ukrainischen Kernkraftwerks Tschernobyl explodiert, werden Billiarden Radionuklide bis zu 30 Kilometer weit vom Unglücksort geschleudert. Die radioaktive Staubwolke legt sich wie ein Schleier auch über die angrenzende Stadt Prypjat. Zu der Zeit sind sich Experten sicher: Die Stadt wird für Jahrhunderte verstrahlt sein.
Doch Wolfgang Raskob vom Karlsruher Institut für Technologie war im Jahr 2013 in der Todeszone – und er hält große Teile der Stadt heute für ausreichend dekontaminiert: „Durch die Behandlung von Gebäuden und Straßen mit Hochdruckstrahlern konnte die Radioaktivität deutlich reduziert werden.“
Tatsächlich ist ein Aufenthalt in der Stadt für Menschen heute ungefährlich. Ganz anders sieht es aber in den umliegenden Wäldern aus. Die Radionuklide sitzen im Erdreich fest. „Hier bleibt nur die Abtragung des Bodens bis zur Grasnarbe übrig, also ungefähr die obersten fünf Zentimeter Erdreich“, sagt Raskob. Da dabei Millionen Kubikmeter verstrahlte Erde zusammenkommen würden, ist diese Art der Dekontamination in der Größenordnung nahezu unmöglich. So bleibt Prypjat eine sichere Oase – inmitten einer Todeszone.
Das Verfahren ist je nach Situation und Objekt unterschiedlich
Dekontaminiert wird nicht nur von radioaktiven Stoffen, sondern auch von chemischen und biologischen Verunreinigungen. Die atomare Kontamination bereitet den Experten allerdings das größte Kopfzerbrechen: Bei atomaren Verunreinigungen bleibt immer radioaktiver Abfall übrig, der für bis zu mehrere tausend Jahre in Endlagern deponiert werden muss.
Die Anzüge schützen nicht vor der Strahlung selbst
Die papierdünnen Schutzanzüge sorgen nur dafür, dass die radioaktiven Partikel nicht auf oder in die Körper der Arbeiter gelangen können – gegen die gefährliche Gammastrahlung selbst sind sie machtlos. Daher ist jeder Einsatz bei der Dekontamination auf wenige Stunden begrenzt.
Gasmasken genügen oft nicht
Weil bei der Dekontamination radioaktive Partikel aufgewirbelt werden, verfügt der Schutzanzug über eine autonome Luftversorgung – damit die Arbeiter die Partikel nicht einatmen.
Was übrigbleibt, muss mit großer Vorsicht entsorgt werden
Fast alle Materialien lassen sich dekontaminieren. Doch es bleibt immer radioaktiver Abfall übrig, der endgelagert werden muss. Dieser Abfall besteht aus einem körnigen Granulat, das in speziellen Fässern versiegelt wird.
Schutzanzüge durchlaufen aufwendige Tests
Forscher untersuchen weiter, wie sehr die Anzüge ihre Träger in Extremsituationen behindern. Unter anderem werden Herzfrequenz, Atemgeschwindigkeit und Blutdruck der Testpersonen überprüft. Erst wenn die Anzüge alle nötigen Kriterien erfüllen, dürfen sie eingesetzt werden.
Spezielle Anzüge erlauben auch die Arbeit unter extremen Bedingungen
Mit dem Beginn der Heizperiode setzt ein Massensterben bei den Hausstaubmilben ein. Die trockene Heizungsluft macht einem Teil der Milbenpopulation den Garaus. Für Allergiker steigt dadurch die Belastung merklich an, der abgesetzte Milbenkot und die Kadaver werden staubtrocken und verteilen sich so vermehrt in der Atemluft.