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Suchtberater über Pro und Contra von legalem Cannabis

Foto: Envato / insidecreativehouse

Suchtberater über Pro und Contra von legalem Cannabis

Im Interview erklärt Suchtberater Josef Strohbach, was er von der geplanten Legalisierung von Cannabis hält.

Die Legalisierung von Cannabis ist beschlossene Sache. Die zusätzlichen Gelder sollen der Behandlung von Suchtkranken zu Gute kommen. Welt der Wunder hat einen Experten gefragt, ob dieser Plan aufgehen kann. 

Die deutsche Bundesregierung möchte Cannabis legalisieren. Das Steuergeld aus dem Verkauf plant die Ampelkoalition in Einrichtungen für Suchtprävention und Suchttherapie zu investieren. Im Interview mit Welt der Wunder erklärt Psychotherapeut und Suchtberater bei Condrobs, Josef Strohbach, was er von der Legalisierung hält, was hinter Süchten steckt und warum diese schon in der Kindheit erlernt werden.

Was denken Sie von der Maßnahme, Mittel aus Steuereinnahmen durch den Cannabishandel in die Suchttherapie und Prävention zu stecken?​

Wenn solche Substanzen legal angeboten werden, werden sie besteuert. Und wenn da Einnahmen generiert werden, ist es nur gut, das damit einhergehende Risiko durch Präventions-, Beratungs- und Therapieangebote aufzufangen. Ein gutes Beispiel für so eine Kombination ist das Glücksspiel.

Alle Glücksspielanbieter mussten Präventionskonzepte vorhalten. Es wurden auch Fachstellen für Glücksspielsucht geschaffen. Da gibt es meistens Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, die in diesen Stellen für eine bestimmte Region zuständig sind. Diese Stellen werden zusätzlich zum bestehenden Hilfesystem geschaffen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass staatlicherseits ein Verhalten legalisiert wird. Gleichzeitig wird mit dieser Freigabe auch die besondere Verantwortung der Gesellschaft, des Staates und unserer Kultur verbunden. Man muss sich auch um die kümmern, die mit dieser Freigabe nicht klarkommen.

Wie groß schätzen Sie ist das Risiko, dass nun mehr Menschen von Cannabis abhängig werden?

Die wichtigste Frage ist: Ist mehr Konsum zu erwarten? Und da sind sich die Fachleute uneinig. Das Risiko lässt sich schwer einschätzen. Man kann oft Vergleiche anstellen mit anderen Ländern. Aber kulturelle Effekte, die anderswo stattgefunden haben, lassen sich nicht unbedingt auf Deutschland übertragen.

Wie hoch ist der Anteil der Cannabis-Abhängigen unter den Suchtkranken, die Sie beraten?

Der Anteil schwankt. Das hängt auch sehr von der Ausrichtung des Beratungsangebots ab. Aber es dürften schon 30 Prozent der Menschen sein, die wir bei Condrobs beraten.

Das ist ein hoher Anteil. Wie sehen Sie dann die Einstufung von Cannabis als sogenannte weiche Droge?

Diese Unterscheidung von weich und hart gibt es bei Substanzen nicht. Wie man konsumiert, kann weich oder hart sein. Die Konsumform ist entscheidend. Die Substanz an sich ist einfach vorhanden. Man kann Drogen auch nach dem Suchtpotential unterscheiden. Aber wenn man vom Suchtpotenzial ausgeht, dürfte man Tabak auch nicht mehr frei verkaufen. Es ist eine kulturelle, gesellschaftliche, medizinische Bewertung nach Gefährlichkeit, aber die eigentliche Gefahr fängt erst mit dem Konsum an. Solange diese Substanz vor sich hin existiert, ist sie für uns harmlos.

Viele Menschen können sehr lange normal konsumieren und jederzeit wieder aufhören. Und für manche wird Sucht nie ein Thema sein. Aber man kann seinen Körper durch intensiveren, regelmäßigen Konsum schädigen. So gelangt man in den Bereich des Missbrauches, wenn man diese Substanz, die eigentlich ein Genussmittel wäre, gar nicht mehr als solches konsumiert. Die letzte Stufe ist dann eine Abhängigkeit, und da ist es auch egal, ob es eine körperliche oder geistige Abhängigkeit ist. Meistens ist es sowieso ein Zusammenspiel. Die Gefährlichkeit richtet sich nach dem gesamten Phänomen, körperlich und geistig abhängig zu werden.

Was halten Sie von der im Koalitionsvertrag vereinbarten Legalisierung?

Wichtig ist zu verstehen, dass in diesem Koalitionspapier Cannabis nur ein kleiner Teil der gesamten Drogenpolitik ist. Das steht ganz oben und liegt natürlich bei den Medien stärker im Fokus. Aber weiter unten steht auch, dass es um ein genaues Betrachten der Werbeverbote und des Marketings oder um den Jugendschutz geht. Also das ist eingebettet in ein paar andere Themen. Blödsinn ist im Koalitionspapier die Sorge der Verunreinigung von Cannabis. Das ist bei Cannabis kein Problem. Da gibt es andere Substanzen, bei denen das eher ein Thema ist.

Wenn ich Cannabis legal kaufen kann, dann in einer Apotheke in einer Qualität als würde ich Medikamente kaufen. Da steht auf der Packung, was drin ist. Das ist dann der Vorteil eines Verbraucherschutzes. Aber das ganze Thema Drogenpolitik ist wesentlich umfassender als nur zu sagen, dass Cannabis jetzt freigegeben wird.

Wie sollte durch eine neue Drogenpolitik das derzeitige Angebot für Suchtberatung und Prävention verbessert werden?

Was etwas stiefmütterlich behandelt wird, ist die Prävention. Für die Suchtprävention sind Kommunen und Landkreise in Deutschland zuständig. Und das hängt natürlich auch immer davon ab, wie die Landkreise, Gremien oder die Stadträte diese Gefahr einschätzen. Es gibt dazu schon Fördergelder, aber die reichen bei weitem nicht aus. Also wenn Geld aus den zu erwartenden Steuereinnahmen investiert werden sollte, dann in Cannabissucht- und Fachstellen oder Beratungsstellen, sowie in die Prävention.

Wie kann man sich die Arbeit in der Suchtprävention vorstellen?

Condrobs bietet Suchtberatung und Präventionsprojekte an. Wir erreichen über die Präventionsarbeit auch sehr viele Menschen. Das fängt schon im Kindergarten an. Jugendliche erreicht man über die Schule, wenn noch Schulpflicht besteht, aber auch im Freizeitbereich, über Jugendzentren zum Beispiel.

Diese Prävention hat pädagogisch nur dann Sinn, wenn sie konstruktive Entwicklungsmöglichkeiten fördert. Es geht nicht darum, abzuschrecken und zu sagen: „Du darfst nicht“. Damit macht man die Substanzen teilweise noch interessanter. Vielmehr geht es geht darum, frühzeitig Alternativen zu finden. Das heißt: Muss jede Party mit Alkohol stattfinden? Kann ich auch Spaß am Kontakt zu anderen haben. Muss da immer eine Substanz im Spiel sein, die diesen Zugang erleichtert? Wenn ich einen Rausch erleben will, brauche ich dafür eine Substanz oder könnte ich das auch durch andere Wege erreichen? Wenn ich mich entspannen möchte, brauche ich da unbedingt Cannabis? Das sind die präventiven Fragen, um einen verantwortungsvollen, bewussten Umgang mit Drogen, die es nun mal gibt, zu erlernen.

Welche Inhalte vermitteln Sie an Schulen und Kindergärten?

Wir haben ein Projekt, das Inside@School heißt. Dabei gehen Sozialarbeitende in die Schulen. Es geht in präsentativen Projekten gar nicht um Suchtmittel, sondern um menschliche Grundbedürfnisse. Kinder und Jugendliche lernen diese Grundbedürfnisse mit anderen Methoden zu befriedigen. Da geht es konkret um Dinge, wie Mobbing in der Schule, um Ausgrenzung oder Gruppenzugehörigkeit. Es geht um Kontakt mit dem anderen Geschlecht oder mit dem gleichen Geschlecht, um Freundschaften und soziale Beziehungen. Wie kann ich diese Beziehungen so organisieren, dass ich keine Drogen benutzen muss?

Es gibt auch kindergerechte Projekte, zum Beispiel beim Umgang mit Zucker. In einem Kasperltheater spielen wir nach, dass ein Kind Angst vor dem ersten Kindergartentag hat. Das wird dann mit Puppen nachgespielt. Die Eltern geben dem Kind zum Trost einen Lolli. Und hier müssen wir sensibilisieren. Die Kinder kapieren sehr schnell, um was es da eigentlich geht, aber auch das Verständnis der Eltern ist wichtig. Was tun sie denn selbst? Welche Substanzen setzen sie ein, um ein Verhalten zu belohnen? Könnte man sich hier auch eine andere Belohnung überlegen, wie zum Beispiel ein tolles Event mit dem Kind? Denn dieser Lolli ist ein Symbol für ein Glas Schnaps oder für einen Joint.

Wenn die Gefahr nur vom Konsum und nicht von der Substanz ausgeht, könnte man ja sagen, dass alle Drogen legalisiert werden sollten. Denken Sie, dass auch härtere Drogen legal erhältlich sein sollten?

Also, der Umgang mit Drogen ist immer ein kulturelles Thema. Jede Kultur hat eine eigene Geschichte, was an Drogen zugelassen wird und was verboten ist. Es gibt viele Substanzen und man kann nie alle freigeben. Es gibt immer Menschen, die gerne experimentieren und auch neue Substanzen entwickeln und verkaufen. Aber ich denke, die Gewinnspannen im illegalen Bereich sind immens. Zum Beispiel existieren für den Handel und die Produktion von Kokain ganze Kartelle. Wenn etwas staatlich nicht bespielt wird, gibt es einen illegalen Bereich. Und zwar nur, weil die Nachfrage so groß ist. Die Nachfrage ist deswegen so groß, weil Menschen ihre psychischen Befindlichkeiten über diese Substanzen regulieren wollen. Also man muss dann wieder bei der Prävention sehr früh ansetzen. Was brauche ich wirklich?

Wenn ich denke, dass ich etwas brauche, ist die Frage: Wo kaufe ich es dann? Kaufe ich es im illegalen Markt mit allen Risiken ohne Qualitätsüberblick oder reguliert in einem Shop oder in der Apotheke? Das heißt nicht, dass ich davon nicht abhängig werden könnte, aber die Qualität und der Verbraucherschutz sind zumindest gegeben und ich habe keine strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten.

Sie schließen also nicht aus, dass in Zukunft auch härtere Drogen legalisiert werden könnten?

Letztlich ist eine Legalisierung immer ein gesellschaftlicher Diskussionsprozess, auf den man sich einlässt. Welche Substanzen lässt man unter bestimmten Regeln zu und welche nicht? Zum Thema Cannabis steht im Koalitionspapier auch, dass es erstmal vier Jahre so laufen und dann ausgewertet werden soll. Das heißt, dass die neue Regulierung nicht unbefristet lange gilt. Was für Phänomene sind dann nach vier Jahren zu beobachten? Haben wir mehr Konsumierende? Haben wir dann plötzlich viel mehr Abhängige? Laufen die Beratungsstellen alle voll, weil alle wegen Cannabis-Problemen kommen? Wenn man was ändern will, muss man es schon vorsichtig tun. Die Tatsache ist, dass es in der menschlichen Natur immer ein Grundbedürfnis gibt, seine Befindlichkeit mit solchen Substanzen zu regulieren. Die Kultur lässt manches zu und manches ist verboten. Doch gäbe es die keine Nachfrage, wäre das heute auch kein Thema.

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