„Es sind gerade die dunklen Träume, die geheime Botschaften über uns selbst enthalten“, sagt Traumforscher Ernest Hartmann. Sollten wir also auf unsere Träume hören, um mehr über den persönlichen Gesundheitszustand zu erfahren?
Lebensrettender Albtraum
Das Gefühl ist kaum auszuhalten. Glühende Kohlen unter seinem Kinn brennen wie Feuer. Sein Peiniger kennt keine Gnade. Erst als Brandon Tanner die Augen aufreißt und in seinem Bett wach wird, ist der Spuk zu Ende. Nacht für Nacht träumt er diese Szene. Die Schmerzen wirken real, sobald er aufwacht, sind sie weg. Der 36-Jährige verspürt nicht mal ein leichtes Ziehen.
Irgendwann berichtet Tanner seinem Arzt von den Träumen. Der US-Mediziner Bernhard Siegel veranlasst einen umfangreichen Gesundheitscheck. Das Ergebnis ist selbst für den erfahrenen Arzt eine Sensation: Tanner hat Schilddrüsenkrebs im Anfangsstadium. Durch die frühe Erkennung kann der Krebs erfolgreich therapiert werden. Tanners Träume retten ihm das Leben.
Frühwarnsystem des Körpers
Traumforschende können mittlerweile bestätigen: Träume können nicht nur etwas über unsere Ängste und Vorlieben verraten. Sie sagen auch aus, ob sich Krankheiten im Körper verbergen. „Träume können wie Röntgenstrahlen funktionieren“, sagt der US-Mediziner Robert L. Van de Castle.
Doch weiß unser Unterbewusstsein tatsächlich früher darüber Bescheid? Auch andere Berichte legen nahe, dass unser Körper Informationen über seinen Zustand durch Träume ausdrückt. So träumte etwa ein Offizier, er werde am rechten Unterbauch verwundet. Am nächsten Tag kam er mit akuter Blinddarmentzündung ins Krankenhaus. Der Offizier war nur einer von mehr als 3000 Krankheitsfällen, bei denen Psychiater und Traumforscher Vasily Kassatkin den Zusammenhang zwischen Traumgeschehen und Krankheitsausbruch untersuchte.
Das Unterbewusstsein sendet Signale
Das verblüffende Ergebnis: In 85 Prozent der Fälle kündigten sich Krankheiten im Schlaf an, indem der entsprechende Schmerz oder das Symptom geträumt wurden. Vasily Kasatkin ging sogar noch weiter und stellte auch einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Traumgeschehen und Krankheitsausbruch fest: Bei Beschwerden, die die Haut, den Hals oder die Zähne betreffen, vergehen nur wenige Stunden; bei Bluthochdruck zwei bis drei Monate; bei einem Hirntumor bis zu einem Jahr.
„Unser Unterbewusstes wird durch die ersten Krankheitssignale unseres Körpers alarmiert und sendet im Traum seine Warnungen“, erklärt Kassatkin. „Wer sie ernst nimmt und zum Arzt geht, kann sich viel Leid ersparen.“
Über den Grund sind sich Forschende uneinig. Doch ein sicheres Traumwarnzeichen soll kürzlich identifiziert worden sein: Wenn Träume plötzlich gewalttätigere Inhalte haben und diese Menschen immer wieder von einem Angriff träumen, den sie abwehren müssen, kann das auf eine neurodegenerative Krankheit wie Parkinson hinweisen, die aber unter Umständen erst in zwei oder drei Jahrzehnten diagnostiziert werden kann – ein verblüffendes Phänomen namens RBD (Rapid Eye Movement Sleep Behavior Disorder).
Ein weiterer Fall, der zeigt, dass die unheimliche Macht unserer Gedanken offensichtlich wesentlich größer ist, als bisher vermutet. Diese zu entschlüsseln, wird eine der größten Aufgaben der Medizin in den kommenden Jahrzehnten.