Das Medium hat in Deutschland seit Anbeginn einen schlechten Ruf
Frühe Computer- und Videospiele gaben dem Spieler überwiegend die Aufgabe, grobkörnige Aliens abzuschießen oder Punkte zu sammeln. Mehr Komplexität und beeindruckendere Optik waren in den späten 1970er und frühen 80er Jahren technisch nur mit großem Aufwand möglich.
Dem Spielspaß tat das jedoch keinen Abbruch. Klassische Actionspiele wie Space Invaders und Pac-Man waren bereits clever designt und fesselten Spieler und Spielerinnen an die Bildschirme. Aufgrund des hohen Spaßfaktors gelang es dem neuen Medium schnell, Fuß zu fassen. Zuerst auf öffentlichen Spielautomaten, anschließend im heimischen Wohnzimmer.
Es blieb nicht beim Abschießen von sich in Luft auflösenden Aliens
Als der technische Fortschritt allmählich detailliertere Grafiken möglich machte, wurde auch das Verschwinden der besiegten Gegner vom Bildschirm aufwendiger inszeniert. Feindliche Raumschiffe verglühten mit spektakulären Explosionen. Beim Abschießen von Spielfiguren erschien plötzlich Pixelblut auf dem Bildschirm.
Grafiker und Spieledesigner ließen sich von der Bildsprache in Actionfilmen inspirieren und nutzten die sich weiterentwickelnden technischen Möglichkeiten, um das Geschehen auf dem Bildschirm mitreißender zu gestalten.
Gewaltdarstellung in Spielen wurde schnell zum Zankapfel
Die Frage, ob Spieler und Spielerinnen beim Ausschalten virtueller Gegner Gewalthandlungen ausüben, kam auf. Sie wird noch heute kontrovers diskutiert und gehört zu den umstrittensten Themen des Mediums.
Da Deutschland den Jugendschutz sehr ernst nimmt, gibt es seit 1954 eine spezielle Behörde. Ursprünglich im Jahr 1954 als Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) gegründet, nennt diese sich heute Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ).
Seit 1994 gibt es eine spezielle Alterskennzeichnung für Computerspiele von 0 bis 18 Jahren, für die die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) zuständig ist. Nicht von der FSK gekennzeichnete Spiele dürfen nur an Erwachsene verkauft werden. Die beiden Behörden arbeiten bei der Einstufung von Computerspielen für den deutschen Markt Hand in Hand.
Es dauerte nicht lange, bis die BPjS für die ersten Computer- und Videospiele aufgrund von Gewaltdarstellungen ein Verkaufsverbot erteilte. Oder in der Fachsprache ausgedrückt: Auf den Index setzte.
Die deutsche Behörde für Jugendschutz ging von Anfang an hart mit Computer- und Videospielen ins Gericht
Das erste in Deutschland indizierte Spiel trägt den Namen Speed Racer. Der Spieler steuert einen kleinen Rennwagen aus der Vogelperspektive. Das Fahrzeug muss innerhalb eines Zeitlimits eine möglichst weite Strecke zurücklegen. Ein Zusammenhang mit der gleichnamigen japanischen Manga- und Anime-Serie besteht nicht.
Auf der Rennbahn befinden sich nicht nur Hindernisse, sondern unter anderem auch Hunde, Polizisten und alte Damen. Berührt der Spieler diese, hinterlassen sie eine rote Blutlache. Das war der Jugendschutzbehörde eine Indizierung wert.
Spiele begannen, sich mit erwachseneren Themen zu befassen
Auch das Beiwerk von Spielen wurde in den frühen Achzigerjahren allmählich aufwendiger. Um 1983 gehörte es allmählich zum guten Ton, den Spielablauf in eine Hintergrundgeschichte einzubetten, die den Handlungen des Spielers einen Kontext verlieh. Plötzlich gab es Spiele, in denen der Spieler an bewaffneten Konflikten teilnahm.
Die Jugendschutzbehörde hatte kein Verständnis für solche Kriegsspiele. Das Spiel Beach Head (1983), in dem der Spieler eine Insel von einem Diktator befreien muss, kam postwendend auf den Index. Dasselbe galt für das Spiel Blue Max (1983), das im 2. Weltkrieg spielt und in dem der Spieler aus der Vogelperspektive feindliche Flugzeuge abschießen muss.
Das Verhältnis zwischen den deutschen Jugendschützern und Gewaltdarstellungen in Spielen ist bis heute schwierig. Bisher sind unzählige weltweit erfolgreiche Spiele entweder gar nicht auf dem deutschen Markt erschienen oder in speziellen geschnittenen Fassungen veröffentlicht worden.
Hakenkreuze in Spielen als weiterer Stein des Anstoßes
Auch ein weiterer Aspekt der deutschen Vergangenheit erwies sich als problematisch. Nazis gehören seit Jahrzehnten zu den beliebtesten Filmbösewichten. Da sich Spieleentwickler von Filmen inspirieren ließen, erschienen schnell die ersten Spiele, in denen der Spieler den Kampf mit SS-Sturmtruppen aufnehmen durfte.
In Deutschland kamen Spiele mit Hakenkreuzen jahrzehntelang ausnahmslos auf den Index – auch, wenn der Spieler in ihnen den Nationalsozialismus bekämpfte.
Grobpixelige Nazi-Symbolik als Indizierungsgrund
Eines der frühsten Exemplare war Castle Wolfenstein von Muse Software aus den USA. Hier muss der Spieler als SS-Gefangener aus einem Nazi-Schloss fliehen und dabei überwiegend Köpfchen statt Waffengewalt einsetzen.
Castle Wolfenstein gilt als eines der ersten Schleich-Spiele – auf Englisch: stealth games – in denen der Spieler strategisch klug vorgehen und sich unbemerkt an Wachposten vorbeibewegen muss.
Das Spiel erschien ursprünglich 1981 für den Apple-II-Computer. Die deutschen Jugendschützer schoben die Indizierung im Jahr 1987 nach und waren der Meinung, dass das Spiel kriegsverherrlichend sei.
Auch nach Castle Wolfenstein hatten es die im zweiten Weltkrieg angesiedelten Spiele mit Hakenkreuzen schwer. Sie landeten üblicherweise auf dem Index oder erschienen mit speziell für den deutschen Markt geschnittenen Fassungen.
Als Ursache lässt sich leicht die spezielle Rechtslage in Deutschland bestimmen. Laut Strafgesetzbuch ist die Darstellung von Hakenkreuzen in Medien – mit einigen Ausnahmen wie etwa in historischen Filmen – verboten. Doch dazu später mehr.
Das offizielle Spiel zu „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ erschien in Deutschland mit übertünchten Hakenkreuzen
Zu den frühesten Beispielen eines speziell für den deutschen Markt zensierten Spiels gehörte 1989 das offizielle Computerspiel zu „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ von George Lucas’ Spielestudio Lucasfilm Games. Lucasfilm Games und dessen deutscher Vertrieb Softgold wollten keine Indizierung auf dem wichtigen deutschen Markt riskieren.
Das Spiel erschien in Deutschland somit in einer zensierten Version – mit grobschlächtig übermalten Hakenkreuzen in diversen Szenen.
In einem Interview mit dem Magazin Gamestar kommt Boris Schneider-Johne zu Wort, aus dessen Feder die deutsche Übersetzung des Spiels stammt. Der ehemalige Redakteur des populären, 2000 eingestellten Spielemagazins „Power Play“ erinnert sich besonders an ein kurioses Detail: Neben der Eindeutschung des Spiels war er auch dafür verantwortlich, die Hakenkreuze im Spiel mit großen schwarzen Quadraten zu übermalen.
Wolfenstein 3D: Revolutionär, aber in Deutschland verboten
Eines der richtungsweisendsten Spiele mit Zweiter-Weltkrieg-Setting blieb dem deutschen Markt komplett vorenthalten. 1992 veröffentlichte das talentierte Entwicklerstudio id Software einen Nachfolger zu „Castle Wolfenstein“, der vorerst nur für PCs erschien.
Wolfenstein 3D setzte auf für damalige Verhältnisse pfeilschnelle, detaillierte 3D-Grafik und auf kompromisslose Action. Das Resultat war im Vergleich zu der Konkurrenz am Markt dermaßen spektakulär, dass Wolfenstein 3D gleich zweifach richtungsweisend wurde:
- Das Spiel trug entscheidend dazu bei, dass sich der First-Person-Shooter oder Ego-Shooter zu einem der populärsten Spielegenres entwickelte.
- Das Spiel trug entscheidend dazu bei, dass sich PCs zur einer der wichtigsten Spieleplattformen entwickelten.
Auch dem zweiten Weltkrieg als Setting für Action-Spiele verhalf Wolfenstein 3D zu einem Popularitätsschub – nur in Deutschland nicht. Hierzulande wurde Wolfenstein 3D im Jahr 1994 durch die BPjS indiziert.
Die Meisterleistung der Programmierer und Designer von id Software wurde somit dazu degradiert, auf dem Pausenhof heimlich unter der Hand weitergereicht zu werden. Das Spiel galt fortan in der öffentlichen Diskussion als Paradebeispiel für den schlechten Einfluss von Computerspielen.
Wolfenstein 3D als Auslöser eines verspäteten Grundsatzurteils gegen Spiele mit Hakenkreuzen
Ganze sechs Jahre nach dem ersten Erscheinen von Wolfenstein 3D wurde das Spiel zum Thema eines einflussreichen Gerichtsurteils. 1998 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt ein Mitglied einer rechtsextremen Gruppierung wegen eines Verstoßes gegen § 86a Strafgesetzbuch (StGb). Er hatte „Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verwendet“.
Im Klartext: Der Verurteilte hatte „Wolfenstein 3D“ in einem rechtsradikalen Mailbox-Netzwerk – einem Vorläufer des Internets – zum Download angeboten. Gleichzeitig veranlasste der Inhalt von Wolfenstein 3D die Richter zu einer Beurteilung des Spiels selbst, die drakonisch ausfiel:
- Eine Darstellung von Hakenkreuzen in Computer- und Videospielen in Deutschland ist generell ein Verstoß gegen § 86a Strafgesetzbuch (StGB).
- Auch wenn die illegale Symbolik mit Feinden im Spiel in Verbindung gebracht wird, kann ein Gewöhnungseffekt bei Kindern und Jugendlichen entstehen. Dieser könnte sie empfänglicher für demokratiefeindliche Ideologien machen.
- Die § 86a StGB ergänzende Sozialadäquatsklausel in § 86 StGB, Absatz 4 ließen die Richter ganz außer Acht.
- Diese Klausel räumt ein, dass die Auseinandersetzung mit verbotener Symbolik in Kunstwerken – wie historischen Filmen – angemessen sein kann.
- Einige Juristen leiteten aus dem Urteil daher auch die folgende Wertung ab: Computer- und Videospiele sind keine Kunst, deswegen dürfen sie sich grundsätzlich nicht mit Nazi-Symbolik auseinandersetzen.
Das „Wolfenstein-Urteil“ sorgte 20 Jahre lang dafür, dass Spiele mit Hakenkreuzen auf dem deutschen Markt pauschal indiziert oder geschnitten wurden.
Auf eine Einzelfallprüfung von Spielen mit verbotenen Symbolen mussten Spieler bis 2018 warten
Erst 2018 änderte sich diese Vorgehensweise durch eine öffentliche Bekanntmachung der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Diese erachtete das „Wolfenstein-Urteil“ als überholt und kündigte an, in Zukunft bei Spielen die Sozialadäquatsklausel zu beachten.
Seitdem wird jeder Einzelfall von Nazi-Symbolik in Spielen einzeln geprüft. Spiele wie „Through the Darkest of Times“ von 2018, in denen der Spieler die Geschicke einer Widerstandsgruppe im Berlin der Nazi-Zeit lenkt, durften in Deutschland mit Hakenkreuzen erscheinen.
Dennoch besteht bei Spielen mit Zweiter-Weltkrieg-Thematik weiterhin das Risiko einer Indizierung, falls das Ergebnis der Einzelfallprüfung negativ ausfällt. Als Konsequenz erscheinen Spiele mit Nazi-Symbolik immer noch in Deutschland in geschnittenen Fassungen. Immerhin haben sie seit 2018 eine Chance, den Import nach Deutschland unbeschadet zu überstehen.
Wolfenstein: The Young Blood, der aktuelle Teil der Wolfenstein-Reihe aus dem Jahr 2019, erschien dementsprechend einer deutschen, hakenkreuzfreien Fassung und einer internationalen, ungeschnittenen Fassung. Letztere ist immerhin in Deutschland frei erhältlich.
Der deutsche Staat wünscht sich „kulturell wertvolle“ Spiele
Spiele, die harte Action und den zweiten Weltkrieg als Hintergrundgeschichte kombinieren, haben offenbar weiterhin einen schweren Stand. Das wird auch anhand der – auffallend wenigen – Angebote zur staatlichen Förderung von Computer- und Videospielen deutlich.
Der deutsche Computerspielpreis hat sich zum Ziel gesetzt, hauptsächlich „kulturell und pädagogisch wertvolle Spiele“ auszuzeichnen. Zwar gewann „Through the darkest of Times“ vor zwei Jahren in der Kategorie „Bestes Serious Game“. Allerdings setzt das preisgekrönte Spiel ganz klar auf Strategie anstelle von Action.
Deutsche Ämter ignorieren mit Vorliebe internationale Trends
Gleichermaßen dominierten unter den Preisträgern der letzten Jahre Spieletitel aus den Genres Strategie und Adventure. Auf dem internationalen Markt geben dagegen weiterhin Actiontitel wie Grand Theft Auto und Call of Duty den Ton an.
Auch wenn einem deutschen Entwicklerteam das beste Actionspiel mit Zweiter-Weltkrieg-Setting der Welt gelänge – es hätte wohl kaum Aussichten darauf, den deutschen Computer- und Videospielpreis zu gewinnen.
Wer sich in Deutschland für eine Förderung eines Computer- und Videospielprojekts bewerben möchte, muss übrigens dafür sorgen, dass sein Spieleprojekt einen „Kulturtest“ besteht. Dieser setzt unter anderem voraus, dass das betreffende Spiel „deutsche Spiele-Traditionen fortführt“. Zyniker könnten jetzt die Frage stellen, ob dazu auch übermalte Hakenkreuze gehören.