Das macht die Reichsbürger-Bewegung aus
- Reichsbürger lehnen den deutschen Staat und seine Einrichtungen ab – auch die Polizei.
- Sie erkennen Gerichtsurteile und Beschlüsse von Ämtern in Deutschland nicht an.
- Reichsbürger gehören selbsternannten Reichsregierungen an, die eigene Pässe und Führerscheine ausstellen und eigene Gerichtsurteile fällen.
- Die Reichsbürger-Bewegung ist sehr heterogen und besteht aus zahlreichen Splittergruppen.
- Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt die deutschlandweite Anzahl von Reichsbürgern auf 21.000 Personen.
- Fünf Prozent der Mitglieder sollen zur rechtsextremen Szene gehören.
- Reichsbürger sind größtenteils zwischen 40 und 60 Jahre alt, 75 Prozent von ihnen sind männlich.
- Die Reichsbürger-Bewegung ist auf Wachstumskurs: Sie soll inzwischen viel Zulauf von Corona-Verdrossenen und Corona-Leugnern verzeichnen.
Diese Theorien sind in der Reichsbürger-Bewegung verbreitet
Die Reichsbürger-Bewegung kennt etliche Rechtfertigungen für ihre Ablehnung des deutschen Staats. Diese fußen oft auf falschen oder verzerrten Auslegungen geschichtlicher, politischer oder juristischer Begebenheiten. Das sind die gängigsten:
„Deutschland ist kein Staat, sondern eine GmbH“
Hier kursieren in der Reichsbürger-Szene vor allem zwei angebliche Indizien. Zuerst wird auf den deutschen Personalausweis verwiesen. Bereits der Name soll bedeuten, dass jeder Bürger in Wirklichkeit Personal sei. Etymologisch gesehen ist diese Deutung jedoch völlig falsch: In „Personalausweis“ leitet sich „Personal“ von dem lateinischen Wort „Personalia“ ab. Dieses bedeutet „persönliche Dinge“.
Das zweite vermeintliche Indiz ist eine Firma namens „Deutschland GmbH“ in Frankfurt am Main. Diese existiert tatsächlich, doch der vollständige Firmenname im Handelsregister verrät ihre Aufgabe. Die „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“ ist ein für das Bundesfinanzministerium tätiger Dienstleister, der für das Verwalten von Krediten für die Regierung zuständig ist.
„Deutschland ist immer noch von den Alliierten besetzt“
Eine der am weitesten verbreiteten Reichsbürger-Theorien ist, dass Deutschland weiterhin von den USA, Großbritannien und Frankreich beherrscht wird. Das soll in einem sogenannten „Besatzerstatut“ geregelt sein. Ein solches „Besatzerstatut“ hat es allerdings nie gegeben.
Was es allerdings gab, war ein 1949 verabschiedetes Besatzungsstatut. Dieses regelte die Beziehungen, Befugnisse und Verantwortlichkeiten von Deutschland und den Alliierten. Das Besatzungsstatut war allerdings von vornherein als befristetes Abkommen konzipiert. Mit der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages am 26. Mai 1952 und dem Inkrafttreten der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 wurde es komplett aufgehoben.
„Das Deutsche Reich existiert immer noch“
Eine der Grundlagen für diese Theorie ist eine Auslegung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973. Dieser „Grundlagenvertrag“ bereitete die spätere Wiedervereinigung vor.
Hier ist zu lesen, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und nach wie vor Rechtsfähigkeit besitzt. Allerding sei es in seiner aktuellen Form „nicht handlungsfähig“. Aus dem Juristendeutsch übersetzt bedeutet „nicht handlungsfähig“ hier, dass die Bundesrepublik Deutschland damals im Alleingang keine Regelungen entscheiden durfte und dass dies nur für ein wiedervereinigtes Deutschland möglich war.
Die Interpretation in der Reichsbürger-Szene sah jedoch anders aus: Wenn das Deutsche Reich noch fortbestehe, könnte man Reichsbürger statt Bundesbürger werden. Und da das Reich „nicht mehr handlungsfähig“ sei, könne es seinen Bürgern nichts mehr vorschreiben und auch keine Steuern verlangen.
„Das deutsche Grundgesetz ist keine Verfassung“
Hier beziehen sich Reichsbürger oft auf Artikel 146 des Grundgesetzes. Dieser schreibt vor, dass das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tag verliert, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, „die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“
Dies lässt sich mit etwas gutem Willen so deuten, dass das Grundgesetz in seiner aktuellen Form noch keine Verfassung ist, aber eines Tages durch eine „freie Entscheidung des deutschen Volkes“ zu einer Verfassung werden könnte. Die beabsichtigte Bedeutung ist allerdings, dass es möglich sein soll, das Grundgesetz bei Bedarf durch eine neue Verfassung abzulösen.
Tatsächlich war das Grundgesetz ursprünglich als Übergangslösung zu einer gesamtdeutschen Verfassung geplant. Am 3. Oktober 1990 wurde es dennoch in einer geringfügig angepassten Fassung in den Rang einer Verfassung erhoben – und hat sich trotz allem bisher bewährt. Kurz gesagt: Das Grundgesetz heißt zwar nicht „Verfassung“, aber es hat dennoch eine solche Funktion.
So entstand die Reichsbürger-Bewegung
Die erste bekannte feste Gruppierung der Reichsbürger-Bewegung war die „Kommissarische Reichsregierung“. Diese wurde in den 1980er-Jahren durch den Eisenbahner Wolfgang G. G. Ebel aus Berlin gegründet. Ebel war Mitarbeiter der Reichsbahn, der staatlichen Bahngesellschaft der DDR. Diese war aus der Deutschen Reichsbahn – dem staatlichen deutschen Eisenbahnunternehmen der Jahre 1920 bis 1945 – hervorgegangen. Den bisherigen Namen „Reichsbahn“ hatte sie schlicht beibehalten.
Der erste selbsternannte Reichskanzler
Ebel nannte sich von nun an „Reichskanzler des Staates Deutsches Reich“ und beantragte die Souveränität des Deutschen Reiches per Einschreiben mit Rückschein an den US-amerikanischen Stadtkommandanten in Berlin. Diesem Antrag sollten noch viele weitere folgen – wie etwa die Ernennung von Ministern und weiteren Amtsträgern der „Kommissarischen Reichsregierung“. Nachdem die Besatzungstruppen Berlin verlassen hatten, sendete Ebel seine Anträge an die US-Botschaft.
Kam innerhalb von 21 Tagen kein Widerspruch auf seine Anträge, betrachtete Ebel diese als genehmigt. Diese Taktik ist heute noch in der Reichsbürger-Szene gang und gäbe. Das gilt auch für den Verkauf von Personalausweisen, Reisepässen und Führerscheinen. Allerdings kam es zu internen Querelen innerhalb der „Kommissarischen Reichtsregierung“. Unter anderem entstanden die Splittergruppen „Exilregierung Deutsches Reich“ (2004 in Hannover gegründet) und „Rebublik Freies Deutschland“ (2012 in Brandenburg gegründet).
Auch rechtsextremes Gedankengut prägt die Reichsbürger-Bewegung
Als weitere zentrale Figur der Reichsbürger-Bewegung gilt Jurist Horst Mahler, ein ehemaliges RAF- und NPD-Mitglied. Mahler ist bekennender Rechtsextremist. Er prägte unter anderem die Reichsbürger-Theorie der „Deutschland GmbH“ und des angeblich ungültigen Grundgesetzes.
2016 wurde die Reichsbürger-Bewegung deutschlandweit bekannt
Juristen und Beamten ist die Reichsbürger-Bewegung durch ihre absurden Forderungen an Gerichte und Ämter seit Jahrzehnten ein Begriff.
2016 sorgte die Reichsbürger-Bewegung erstmals für ein landesweites Medienecho: Im Oktober 2016 wurde in Bayern bei einem Polizeieinsatz ein Beamter von einem bekennenden Reichsbürger erschossen. Der Reichsbürger, der den Schuss abgegeben hatte, war Jäger und besaß legal 30 Waffen. Seitdem steht die Reichsbürger-Bewegung unter Aufsicht des Verfassungsschutzes.
Davon ließ sich die Bewegung jedoch bis jetzt nicht abschrecken: Am 29. August 2020 unternahm eine Gruppe Reichsbürger gemeinsam mit Corona-Skeptikern und Rechtsextremen den Versuch, den Reichstag zu stürmen. Sie gelangte bis auf die Treppen vor dem Gebäude.
Der geplante Umsturz der Regierung im Dezember 2022
Am 07.12.2022 fand einer der größten Anti-Terror-Einsätze der Geschichte Deutschlands statt. Eine Gruppe von Reichsbürgern um den Immobilienunternehmer Heinrich Reuß alias Heinrich XIII.
Prinz Reuß wollte die Regierung stürzen und eine Übergangsregierung gründen. Später sollte diese durch eine neue Staatsform ersetzt werden. Infolgedessen wurden 23 Mitglieder der Reichsbürger-Szene festgenommen und über 160 Häuser durchsucht.