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Der Aufenthaltsort von Verbrechern könnte sich im Metaverse leicht ermitteln lassen
Zuerst würde ein grundlegender Unterschied zwischen der Funktionsweise des Internets und des Metaverse stark ins Gewicht fallen. Um eine Verbindung zum Internet herzustellen, muss das Netzwerk jedem Nutzer eine einzigartige IP-Adresse zuordnen. Anhand dieser lässt sich zwar der geographische Aufenthaltsort jedes Internetnutzers eingrenzen. Allerdings gibt es einige Methoden, um diesen zu verschleiern. Im Metaverse könnten solche Hintertüren der Vergangenheit angehören.
Jeder Avatar müsste von der 3D-Engine eine individuelle Kennung erhalten – und wäre damit jederzeit auffindbar
Avatare sind in erster Linie individuelle bewegliche 3D-Objekte. Damit die 3D-Engine diese verwalten kann, muss sie jedem von ihnen eine individuelle Kennung zuordnen. Wer also die individuelle Kennung eines Avatars kennt, könnte mit speziellen Tools dessen Aufenthaltsort jederzeit bestimmen.
Auch im Metaverse könnte es Polizisten auf Streife geben – und möglicherweise spannende Verfolgungsjagden
Um aber an die individuelle Kennung eines Avatars zu kommen, müsste ein Krimineller erst einmal auf frischer Tat ertappt werden – denn seine individuelle Kennung ließe sich höchstwahrscheinlich nur bei Sichtkontakt auslesen. Auch im Metaverse könnte es also Polizisten auf Streife geben.
Gelänge es der Polizei jedoch, den Avatar eines Kriminellen zu identifizieren, könnte sein Aufenthaltsort im Metaverse jederzeit ermittelt werden. Mithilfe der Blockchain-Technologie könnten auch sämtliche Aktionen des Kriminellen im Metaverse zurückverfolgt werden.
Könnten sich Metaverse-Nutzer eine neue individuelle Kennung verschaffen?
Online-Spiele gehen auf simple Art und Weise mit Unruhestiftern um: Wer gegen die Spielregeln verstößt, muss damit rechnen, aus dem Spiel verbannt zu werden. Dazu ermitteln die Administratoren des Games den Account, mit dem sich der auffällig gewordene Nutzer einloggt. Wird dieser gesperrt, muss der betreffende Nutzer künftig draußen bleiben.
Die beliebte Hintertür: Wer einen neuen Account registriert, kann in den meisten Fällen mit einem neu erstellen Avatar wieder ins Spiel einsteigen. Dass er den verbannten Avatar verliert, muss er in Kauf nehmen. Ob und in welcher Form diese bei Online-Troublemakern beliebte Strategie auch im Metaverse funktionieren könnte, kann nur spekuliert werden.
Wäre eine dynamische Avatar-Kennung möglich?
Wer die individuelle Kennung eines Avatars ermittelt hat, hätte somit einige Macht über ihn. Auch die komplette Überwachung jedes Metaverse-Teilnehmers wäre damit denkbar.
Dieses Big-Brother-Szenario ließe sich durch die Implementierung einer dynamischen Avatar-Kennung verhindern. Diese könnte ähnlich funktionieren wie eine IP-Adresse, die bei jedem Login eines Nutzers neu vergeben wird. Wer einen Avatar zurückverfolgen will, müsste dann wissen, wer zu welchem Zeitpunkt welche Kennung besessen hat. Auch private Bereiche im Metaverse wären denkbar – ob Ermittler in Sonderfällen hierauf Zugriff haben könnten, wird sich zeigen.
Was gilt im Metaverse als Verbrechen?
Noch mehr Neuland müssten wir bei der wichtigsten Grundlage der Polizeiarbeit betreten: der Rechtslage. Schließlich sind die meisten unserer Gesetze noch nicht auf die digitale Welt ausgelegt. Selbst die Frage, ob der Diebstahl virtueller Güter auch juristisch gesehen ein Diebstahl ist, wird noch diskutiert. Immerhin ist inzwischen ein vielbeachtetes Urteil zum Thema bekannt.
Virtuelle Gegenstände existieren zwar nicht, haben aber dennoch einen Wert
Im Jahr 2009 entschied ein niederländisches Gericht, dass der Diebstahl virtueller Gegenstände den Tatbestand des Raubs erfüllen kann. Im vorliegenden Fall hatten zwei Jugendliche einen Mitschüler mit einem Messer bedroht und geschlagen, um an ein Amulett und eine Maske aus dem Online-Spiel „Runescape“ zu gelangen.
Da die Gegenstände für den Besitzer wertvoll waren und auch in der realen Welt verkauft werden konnten, wertete das Gericht die Tat als Diebstahl. Die Richter verurteilten die beiden Jugendlichen zu 144 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
Könnten virtuelle Übergriffe bestraft werden wie Übergriffe im wirklichen Leben?
Auf der Plattform „Horizon Worlds“ von Meta ereignete sich letztes Jahr ein vielbeachteter Fall von virtueller Vergewaltigung. Hier wurde die 43-jährige Psychologin Nina Jane Patel von einigen Nutzern von „Horizon Worlds“ bedrängt und von weiteren Nutzern dabei beobachtet. Ob Patel rechtliche Schritte gegen Meta eingeleitet hat, ist derzeit nicht bekannt.
Experten wie die australische Philosophin Jessica Wolfendale argumentieren inzwischen, dass Vergehen gegen unsere virtuellen Körper ebenso schwerwiegend werden könnten wie Vergehen gegen unsere physischen Körper – je nachdem, wie stark wir uns mit unseren virtuellen Existenzen identifizieren.
Der erste bekannte Online-Übergriff fand in reiner Textform statt
Einer der ersten bekannten Fälle von Online-Übergriffen spricht definitiv für Wolfendales Theorie. Dieser ereignete sich 1993 in einem Multi User Dungeon (MUD). MUDs gehören zu den ersten Online-Spielen und kommen komplett ohne Grafik aus. In MUDs können Nutzer nicht nur chatten, sondern auch ihre eigenen Rollenspiele inszenieren.
Dazu gehört das Ausführen von Aktionen, die anderen Nutzern als hervorgehobene Meldungen angezeigt werden. Denkbare Beispiele sind „User XY findet einen Schlüssel“ oder „User YZ öffnet die Schatzkiste und findet 1000 Goldmünzen darin“. Das Prinzip ist, dass ein User seinen Mitspielern mitteilt, welche Aktion er gerade ausführt.
Ein User namens „Mr Bungle“ schleuste jedoch ein Programm in das Multi User Dungeon ein, mit dem sich derartige Aktionen fremden Usern zuschreiben ließen – ohne deren Einverständnis.
- Die Aktionen, die „Mr. Bungle“ in den Chatroom schleuste, beinhalteten gewalttätige und sexuelle Handlungen.
- Diese Aktionen konnten auch mehrere fremde User miteinbeziehen.
- Die manipulierten Nachrichten von „Mr. Bungle“ gaben schließlich bekannt, dass ein Nutzer des Multi User Dungeons einen anderen mit einem Messer vergewaltigte.
Einige der Opfer fühlten sich laut Medienberichten noch Monate später traumatisiert. Noch heute ist umstritten, wie Online-Übergriffe angemessen geahndet werden sollten.
Drei Fragen an Albert Quehenberger, Blockchain-Forensiker und Experte für Cyberbedrohungen
Was wird im Metaverse die größte Herausforderung für die Forensik sein?
Albert Quehenberger: „Ich denke, das Metaverse wird generell eine große Herausforderung für staatliche Akteure werden. Hier muss gemeinsam mit den Betreibern solcher Plattformen ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden und es wird dann natürlich auch virtueller Anlaufstellen bedürfen, bei denen Avatare dann auch Straftaten melden können.
Die spezielle Herausforderung für die Forensik sehe ich eher darin, dass man unglaublich viele Daten haben wird, die hier gesammelt werden, und die im Anlassfall auch ausgewertet werden müssen.
Es wird also einen hohen Bedarf an Transparenz geben. Damit allein ist es aber nicht getan. Es ist jetzt schon sehr wichtig, sich mit den Entwicklungen im Krypto-, aber auch im Cyberspace zu befassen. Lebenslanges Lernen wird also wichtiger denn je, wenn man mit den Entwicklungen Schritt halten und Straftaten aufklären möchte.
Die Polizeiorganisation Interpol hat kürzlich das erste Metaverse vorgestellt, das speziell für Strafverfolgungsbehörden weltweit entwickelt wurde und möchte mit Firmen wie Microsoft und Meta einheitliche Regeln für das Metaverse finden“.
Könnte jedes Verbrechen im Metaverse zurückverfolgt werden? Oder gibt es mögliche Schlupflöcher?
Albert Quehenberger: „Die Grenzen zwischen der physischen und virtuellen Welt werden verschwimmen. Das ist die große Herausforderung, vor der Sicherheitsforscher warnen. Passieren Verbrechen im Metaverse, dann muss es Daten dazu geben, aber die grundsätzliche Frage ist, wenn man im Metaversum beispielsweise einen Ladendiebstahl begeht, ob das, was man gerade stiehlt, einen Wert hat. Ist es vielleicht etwas Einzigartiges, mit einem digitalen Zertifikat, wie ein NFT oder etwas wertvolles wie Bitcoin?
Wenn man also im Metaverse einen Diebstahl begeht, dann könnte das natürlich strafrechtlich verfolgt werden, weil man den Besitz von anderen Leuten stiehlt.
Hier müsste man dann über die Daten des Avatars, der ein digitales Asset gestohlen hat, ausforschen wer hinter der Straftat steckt und diesen Diebstahl mithilfe der Blockchain-Forensik beweisen. Diese Daten muss man dann nur noch miteinander verknüpfen, um jemanden einer Straftat zu überführen“.
Welches wäre die gefährlichste kriminelle Handlung im Metaverse?
Albert Quehenberger: „Wenn sich Kriminelle beispielsweise Baupläne von Gebäuden beschaffen und diese dann virtuell nachbauen, um den nächsten Raub zu planen und im virtuellen Raum dafür zu trainieren. Kriminelle könnten sich in privaten Räumen verabreden und unbehelligt über die nächste Straftat austauschen.
Die Strafverfolgungsbehörden würden dann einfach ausgesperrt werden. Das wäre die dunkle Seite des Metaverse und so wie es das Darknet ein Teil des Internets ist, wird es dann vermutlich auch das Darkverse geben. Hier ist die Frage, wie man sich von behördlicher Seite auf die neuen Herausforderungen vorbereitet“.
Unser Experte: Albert Quehenberger
Albert Quehenberger hat eine breite und umfassende Karriere im Bereich militärische Aufklärung, Abwehr von Spionagemaßnahmen, Cyberbedrohungen und Blockchain-Analytik aufgebaut. Während seiner aktiven Laufbahn beim österreichischen Militär konnte er ein Projekt zum Thema Blockchain und Kryptowährungen aus einer sicherheitspolitischen Perspektive durchführen. 2021 hat er sich in den USA zum ersten zertifizierten Blockchain-Forensiker Österreichs ausbilden lassen und seither an über 400 Fällen gearbeitet. Der größte Erfolg auf diesem Gebiet war die Rückführung von knapp EUR 800.000 in Form von Kryptowährungen, die einer Kundin gestohlen wurden. 2023 macht er sich mit einem neuen Projekt selbstständig und will damit seinen Beitrag leisten, um das Web3 sicherer zu machen.