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Volle Fahrt Richtung Katastrophe: Wilhelm II. – auf dem Weg zum Weltkrieg

Foto: Imago / Arkivi

Volle Fahrt Richtung Katastrophe: Wilhelm II. – auf dem Weg zum Weltkrieg

Größen- und Rüstungswahn von Wilhelm II. lenkten Deutschland in eine komplett andere Richtung als den versprochenen „herrlichen Tagen“ – stetig dem Ersten Weltkrieg entgegen.
„Zu Großem sind wir noch bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich Euch noch entgegen.“ Keins seiner Zitate eignet sich besser, um Kaiser Wilhelm II. in einem Satz zu charakterisieren. Unter seiner Herrschaft betrieb das Deutsche Reich ab 1890 eine imperialistische Kolonialpolitik, um zu anderen europäischen Großmächten aufzuschließen. Weitere Kennzeichen der „Wilheminismus“ genannten Ära: Die massive Aufrüstung der Kriegsmarine und eine auch sonst von wenig Augenmaß geprägte Außenpolitik. In der Konsequenz führte der letzte Hohenzoller auf dem Kaiserthron sein Volk nicht herrlichen Tagen entgegen, sondern in die größte denkbare Katastrophe: den Ersten Weltkrieg.

Ein „Platz an der Sonne“

Es gibt noch ein weitaus prominenteres Zitat, das bis heute als Sinnbild des Deutschen Reichs jener Zeit gilt: „Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“ Mit dieser Aussage unterstrich der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow 1897 in einer Reichstagsrede die kolonialen Ambitionen des Landes. Zwar wurden in der Herrschaftszeit Wilhelms II. nur wenige Kolonialgebiete neu erworben – aber die Bedeutung der überseeischen Ländereien unterschied sich deutlich von jener, die sie unter Bismarck hatten. Die meisten heute noch als ehemalige Kolonien bekannten Gebiete wurden bereits zu Zeiten des „Eisernen Kanzlers“ zu deutschen „Schutzgebieten“. So gerieten unter anderem Deutsch-Südwest-, West- und -Ostafrika sowie weite Teile von Deutsch-Neuguinea zwischen 1884 und 1885 unter Kontrolle des Reichs, 1888 kam noch die Pazifikinsel Nauru dazu. Danach endete die offensive Kolonialpolitik unter Bismarck; erst nach der Entlassung des Reichskanzlers durch Wilhelm II. gab es einige weitere „Neuerwerbungen“ und Erweiterungen bestehender Gebiete. So wenig sich die koloniale Landkarte in der Epoche des Wilhelminismus noch änderte, so deutlich verschob sich die Kolonialpolitik des Kaiserreichs: Bismarck nutzte die Schutzgebiete als Verhandlungsmasse einer auf Entspannung ausgerichteten Außenpolitik, um das Verhältnis zu Frankreich und England zu verbessern. Unter Wilhelm II. wurden sie dann zum Symbol nationaler Größe, das nicht verhandelbar war. Unter anderem führte so ein fast zehn Jahre dauernder Streit um den Einfluss in Marokko fast zu einem Krieg zwischen Deutschland auf der einen und England und Frankreich auf der anderen Seite. Erst der Marokko-Kongo-Vertrag von 1911 beendete die Krise, nachdem das Kaiserreich seine Ansprüche gegen einen Teil des französischen Kongo-Gebietes eintauschte.

Zwanghafte Flottenrüstung

Nicht nur mit seiner Kolonialpolitik stieß Wilhelm II. auf wenig Gegenliebe unter den anderen europäischen Großmächten. Auch der von ihm massiv vorangetriebene Aufbau einer deutschen Hochseeflotte besaß enormes Konfliktpotenzial, vor allem mit Großbritannien. „Britannia rules the waves“ war zu jeder Zeit keine hohle Phrase: Das „Empire“ galt seit der Schlacht von Trafalgar im Jahr 1805 als größte Seemacht der Erde und wollte sich diesen Status nicht von Wilhelms neuer Armada zunichtemachen lassen. Zwar gaben die Deutschen bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs niemals zu, dass ihre massive Flottenrüstung gegen die Briten gerichtet war – es war aber ein offenes Geheimnis, dass das Reich auf See mit dem britischen Empire gleichziehen wollte. Um seine Weltmachtphantasien zu verwirklichen, musste es Englands maritime Dominanz brechen. Die Folgen von Deutschlands Rüstungsprogramm zur See waren fatal für das Gleichgewicht der Mächte in Europa: England gab seine selbstgewählte Isolation auf und begann Bündnisse mit Frankreich und Russland zu suchen, um sich gegen das Kaiserreich abzusichern. Zeitgleich wuchsen auf beiden Seiten die Flottenkapazitäten massiv an – ein Rüstungswettlauf, der die Nationen fast unaufhaltsam in Richtung eines Konfliktes drängte. Zwar gab es 1912 einen Versuch der Briten, das Wettrüsten zu beenden. Doch für die deutschen Imperialisten war der Vorschlag von Neutralität im Tausch gegen ein Abbremsen des deutschen Flottenbaus nicht akzeptabel. Eine freiwillige Selbstbeschränkung gegenüber England kam nicht in Frage; die Gespräche scheiterten. Und der Erste Weltkrieg, die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, rückte ein großes Stück näher.

Wilhelm II. der „Anti-Bismarck“?

Kompromisslose Kolonialpolitik und massive Flottenrüstung machen deutlich, dass es dem Deutschen Reich unter Wilhelm II. vor allem an einem fehlte: dem nötigen außenpolitischen Augenmaß, das die fragile Situation zwischen den europäischen Großmächten um die Jahrhundertwende gebraucht hätte. War es Reichskanzler Bismarck noch gelungen, einen drohenden Krieg beim Berliner Kongress von 1878 abzuwenden, verkehrte sich die deutsche Außenpolitik nach seiner Entlassung fast in s direkte Gegenteil – zumindest gegenüber den anderen europäischen Großmächten. So wurde der 1890 ausgelaufene Rückversicherungsvertrag mit Russland, der einen gleichzeitigen Konflikt mit den Franzosen und dem Zarenreich verhindern sollte, unter Wilhelm II. nicht verlängert. Nahezu gleichzeitig begann das Kaiserreich einen Zollkrieg mit den Russen. Die Folge war eine militärische Allianz Russlands mit den Franzosen, die 1894 in Kraft trat und den in Deutschland gefürchteten Zweifrontenkrieg wieder möglich werden ließ. Gleichzeitig gelang es trotz zahlreicher Versuche nicht, eine Annäherung zwischen Großbritannien und Deutschland herbeizuführen. Zu unnachgiebig war das Kaiserreich, bei Fragen der Rüstungsbegrenzung zur See ebenso wie in seiner Kolonialpolitik. Deutschland sollte um jeden Preis Weltmacht werden. Die absehbare Konsequenz: Im Jahr 1904 schlossen Frankreich und England ein militärisches Bündnis, die „Entente cordial“. Drei Jahre später trat Russland bei, was zur „Triple Entente“ führte und Deutschland unter Europas Großmächten fast komplett isolierte. Nur 30 Jahre nach Bismarcks friedenssicherndem Berliner Kongress von 1878 war das Kaiserreich von Feinden umgeben. Einzig das Bündnis mit Österreich-Ungarn hatte noch Bestand. Und dieses führte nach dem Attentat auf den Thronfolger der Habsburger in Sarajewo 1914 direkt in den ersten Weltkrieg mit all seinen Folgen. Maßgeblich schuld an diesen Entwicklungen war ein deutscher Kaiser, der jener größenwahnsinnigen Idee vom „Platz an der Sonne“ alles andere unterordnete – und sich damit die zu Kriegsausbruch von ihm erkannte „Welt von Feinden“ selbst schuf.
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