Was Deutschland nie erfahren sollte: Der Atlas der deutschen Geheimnisse
Interviews mit Zeitzeugen, geheime Akten, Hinweise von Insidern: Es gibt Informationen, die belegen, dass Regierungsbehörden bis heute brisante historische Fakten geheim halten. Welt der Wunder geht auf die Suche nach den verborgenen Fakten.
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Im Fliegerhorst Büchel sollen sich noch heute zehn bis 20 B61-Atombomben der US-Army befinden. Hier wurden deutsche Piloten für den Einsatz mit diesen Atombomben ausgebildet.
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Wie explosiv sind deutsche Wälder? Beispiel Nordrhein-Westfalen: Im Hürtgenwald fand 1944 eine der schwersten Schlachten des Zweiten Weltkriegs statt. Noch heute ist das Gelände voll von Glas- und Holzminen, die kaum aufgespürt werden können.
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Deutschlands größter Minenstreifen: An der ehemaligen innerdeutschen Grenze gibt es noch heute zahlreiche Sprengminen. Unter anderem in Thüringen warnen Hinweisschilder Wanderer vor der Gefahr. Insgesamt sollen in diesem Grenzverlauf von der Nordsee bis nach Hof in Bayern rund 33.000 Sprengminen liegen.
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Hitlers Schatzkammer: In den Salzminen von Merkers fanden US-Truppen 1945 Nazi-Gold im Wert von 500 Millionen Euro.
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RAF-Terroristen wurden von den DDR-Geheimdiensten – unter anderem bei Briesen – ausgebildet. Das belegen einige Unterlagen. Hatte der Verfassungsschutz V-Leute in der RAF? Am 7. April 1977 wird Generalbundesanwalt Buback in Karlsruhe von Mitgliedern der RAF ermordet. Bis heute ist nicht bekannt, wer die Mörder sind – einige Indizien deuten jedoch darauf hin, dass sie für den Verfassungsschutz gearbeitet haben.
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In Bad Nenndorf folterten britische Soldaten deutsche Wehrmachtsangehörige von 1945 bis 1947. Einer von ihnen ist Gerhard Menzel (Bild).
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Am 26. Oktober 1980 sterben 13 Menschen bei einer Explosion während des Oktoberfestes. Drahtzieher des Attentats: Mitglieder der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann. 1973 gründete sich die Wehrsportgruppe Hoffmann in Neunkirchen am Brand. Diese rechtsextreme Gruppierung soll Verbindungen zur Guerillatruppe Gladio gehabt und rechte Terroristen mit Waffen versorgt haben. In der Lüneburger Heide soll es geheime Waffendepots für paramilitärische Gruppen gegeben haben.
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Brennende Kreuze: In einem Waldstück bei Jena treffen sich 1996 deutsche Ku-Klux-Klan-Anhänger. Mit dabei: die Rechtsextremen Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt. Später gründen sie den NSU.
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Flüsse sind natürliche Barrieren: Um eine Invasionsarmee aufzuhalten, ist bei einem militärischen Konflikt die Kontrolle über die Brücken umso wertvoller. Damit diese nicht den Feinden in die Hände fallen, sind die meisten Brücken in Deutschland mit Sprengschächten ausgestattet. Die Depots mit dem Sprengstoff sind maximal 50 Kilometer von ihrem potenziellen Einsatzort entfernt angelegt.
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Ein grauer Betonklotz, sechs Etagen hoch, flankiert von zwei großen Straßen: Das Bundesarchiv in Koblenz wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Die Dokumente jedoch, die hier und in den Landesarchiven lagern, gehören zu den wichtigsten – und brisantesten – Puzzlestücken über die Geschichte der Bundesrepublik. So sind nach Expertenschätzungen in den Geheimarchiven mehr als 7,5 Millionen Akten unter Verschluss und dabei sind die Dokumente von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz nicht einmal mit eingerechnet.
Die geheimen Archive der Bundesrepublik
In den meisten Fällen soll die Geheimhaltung Beteiligte und Informanten schützen. Doch was ist mit den Dossiers, die eine Zusammenarbeit von Regierungen mit Terroristen bezeugen oder weitere kriminelle Machenschaften verraten? In der Regel liegt die Sperrfrist für diese Dokumente bei 30 Jahren – theoretisch. In der Praxis aber ist diese Frist jederzeit verlängerbar. So können Informationen, die nie an die Öffentlichkeit gelangen sollen, geschützt werden. Die Folge: Seit Jahren gibt es Verschwörungstheorien zu den wahren Hintermännern der RAF; noch immer kursieren Gerüchte darüber, dass Terrorzellen der NATO auch in Deutschland aktiv waren. Auch um die Annahme, dass in der Bundesrepublik wesentlich mehr giftige Altlasten liegen, als die Regierung offiziell bestätigt, ranken sich bis heute viele Legenden.
Gab es einen zweiten Geheimdienst?
Es ist ein Plan, von dem noch nicht einmal der deutsche Geheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst) erfahren darf. Nur ein paar Auserwählte sind eingeweiht: der abgewählte Kanzler Kurt Georg Kiesinger, der CSU-Abgeordnete Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (Großvater des ehemaligen Verteidigungsministers), sowie Ex-BND-Chef Reinhard Gehlen. Aber was genau beschließen diese Männer im Herbst 1969? Tatsächlich ist die Antwort auf diese Frage so brisant, dass die Akten dazu mehr als 40 Jahre unter Verschluss gehalten werden – und erst von der Journalistin Stefanie Waske enthüllt wurden …
Im Herbst 1969 wird der Sozialdemokrat Willy Brandt zum Kanzler gewählt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sitzt die CDU nicht an den Schaltstellen der Macht. Die Konservativen fürchten, dass die SPD ein kommunistisches Deutschland erschafft. Auch die Infokanäle zum Geheimdienst BND sind für die Opposition nun gekappt. Guttenberg und Co. treffen eine Entscheidung, die laut dem ehemaligen Bundesminister Egon Bahr der „größte Skandal in der Geschichte der Bundesrepublik“ sei und deren Ausführung gegen die Verfassung verstoße.
Sie gründen einen zweiten Geheimdienst, eine quasi parteieigene Spionageabteilung. Schon bald hat die Organisation Agenten in den BND geschleust, bespitzelt Brandt und knüpft ein Netzwerk von Spionen. Sogar mit Mitgliedern der US-Regierung treffen sich die Oppositionellen, um die Neuausrichtung der BRD nach dem Ende der SPD-Regierung einzuleiten. 1982 ist es so weit: Die CDU stellt wieder die Regierung der Bundesrepublik und übernimmt die Kontrolle über den BND. Bundeskanzler wird Helmut Kohl – ein Unterstützer des zweiten Geheimdienstes.
Betrieben die Alliierten ein Foltergefängnis in Deutschland?
Fast 60 Jahre sind sie unter Verschluss. Die Scotland-Yard-Akten zum Gefangenenlager in Bad Nenndorf bei Hannover gehören zu den bestgehüteten Staatsgeheimnissen des Britischen Königreichs. Erst bei der Freigabe der Dokumente durch den Scotland-Yard-Mitarbeiter Tom Hayward wird klar, warum: Es sind Dokumente des Schreckens, von denen Deutschland nie erfahren sollte. Zwei Jahre lang, von 1945 bis 1947, foltern britische Soldaten nach Ende des Zweiten Weltkriegs Hunderte Deutsche im niedersächsischen Gefangenenlager Bad Nenndorf. Ob es Rache ist für die Gräueltaten, die die Nazis Millionen Menschen in Europa angetan haben oder ob man die deutschen Soldaten verhören will, darüber wird noch immer spekuliert.
Fest steht jedoch, wie die Gefangenen misshandelt wurden. So heißt es in einem Bericht eines britischen Militärarztes, dass vielen Häftlingen die Nahrung verweigert worden sei. Andere seien geschlagen, ausgepeitscht und systematisch am Schlafen gehindert worden. Einige hätten Stunden in kaltem Wasser verbringen müssen oder seien mit Scheinexekutionen terrorisiert worden. Wieder anderen wurden Daumenschrauben angelegt. Die meisten Bilder aus dieser Zeit hält der britische Geheimdienst bis heute unter Verschluss. Die wenigen Aufnahmen jedoch, die die britischen Zeitung „The Guardian“ veröffentlichte, zeigen Menschen als wandelnde Gerippe, viele wiegen nicht mehr als 38 Kilo. Mindestens zwei Gefangene sind durch die Foltermethoden des britischen Außenpostens namens Combined Services Detailed Interrogation Centre (CSDIC) ums Leben gekommen. Beide Opfer seien keine Soldaten gewesen, heißt es in dem Bericht. Nach Akteneinsicht sind Historiker heute überzeugt: Das Foltergefängnis in Bad Nenndorf gehört zu den schwärzesten Punkten der britischen Geschichte, und eine kritische Aufarbeitung steht noch aus. Ein Bekanntwerden hätte die damals ohnehin angespannten Beziehungen zwischen England und Deutschland über Jahrzehnte vergiftet – und nationalsozialistischen Radikalen in Deutschland wieder Auftrieb gegeben.