Alt müssen wir alle werden – daran führt (bislang) kein Weg vorbei. Doch Fakt ist auch: Wie schnell mein Körper altert, habe ich selbst in der Hand. Tatsächlich verbirgt sich tief in unserer DNA ein geheimer Jungbrunnen, der Alterungsprozesse nicht nur bremsen, sondern sogar umkehren kann. Zeit für eine Bestandsaufnahme.
„Zuerst erschien es mir ganz einfach“, erklärt die renommierte Altersforscherin und Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn. „Man altert, weil das Erbgut in unseren Zellen im Lauf der Zeit immer stärker geschädigt wird – mit der Folge, dass Zellen ihre Funktion nicht mehr richtig erfüllen können.“ Doch schon bald kamen Fragen auf: „Welche DNA genau wird geschädigt – und wodurch?“ Und so gestaltete sich die Suche nach einer Antwort auf die Frage, weshalb eine Zelle überhaupt altern muss und sich nicht einfach bis in alle Ewigkeit weiter teilt, am Anfang von Blackburns Forschungen kompliziert.
Das lag vor allem an den nackten Zahlen. Denn der menschliche Körper verfügt über rund 100 Billionen Zellen – und jede dieser Zellen trägt einen rund 180 Zentimeter langen DNA-Faden in sich, auf dem wiederum 6,54 Milliarden genetische Buchstaben sitzen. Zum Vergleich: Würde man die genetischen Informationen einer einzigen Zeile in Druckbuchstaben niederschreiben, könnte man mit dieser Buchstabenreihe spielend den Nordpol mit dem Äquator verbinden. Blackburns Problem war zunächst also sehr praktischer Natur: Wo fängt man an zu suchen? Dass man damals mit den begrenzten Rechenleistungen der 1980er-Jahre und in Anbetracht der schieren Menge an Informationen überhaupt etwas gefunden hat, lag vor allem an dem Tipp einer Doktorandin – und einer ordentlichen Portion Glück, wie Blackburn zugibt.
Tatsächlich stieß sie mit einem speziellen Röntgenverfahren in der DNA eines winzigen Wimpertierchens aus einem Tümpel in der Nähe ihres Labors zufällig auf ein seltsames Muster. Konkret handelte es sich dabei um eine „sich wiederholende, nicht codierte DNA-Sequenz.“ Und da war sie, die Entdeckung, auf die man gewartet hatte. Denn was für die Forscherin zunächst wie eine sinnlose Leerstelle der DNA wirkte, stellte sich schließlich als die vielleicht wichtigste Entdeckung der Medizingeschichte heraus: die Telomere – auch bekannt als das fleischgewordene Ablaufdatum einer Zelle.
Der menschliche Körper ist ein Verbund von bis zu 100 Billionen Einzelzellen aus rund 200 unterschiedlichen Zelltypen. Am Anfang seiner Entwicklung besteht der Mensch allerdings aus nur einer einzigen Zelle: der befruchteten Eizelle. Doch noch bevor die in die Gebärmutter wandern kann, teilt sie sich schon das erste Mal – und gibt so ihre DNA weiter. Wie lange eine Zelle braucht, bis sie sich das nächste Mal teilt, hängt von ihrer Art ab – und variiert zwischen Tagen und Jahren. Fest steht aber: Ohne den Schutzeffekt der Telomere am Ende des Chromosoms, würden Zellen bei jeder Teilung Erbinformationen verlieren.
iStock-man_at_mouse
Tatsächlich gibt es im Körper zwei Zelltypen, die im Gegensatz zu sogenannten Somazellen (Körperzellen) sich unendlich oft teilen können – und deshalb potenziell unsterblich sind. Dazu gehören die sogenannten Keimzellen (Eizelle, Spermien), aber auch die Tumorzellen. Tatsächlich verfügen Tumorzellen zwar über kurze Telomere, aber auch über eine große Menge an Telomerase. Das Enzym ist in der Lage, die DNA der Zelle vor einer Abnutzung durch die Zellteilung zu schützen, sodass sie sich unendlich oft teilen kann.
iStock-iLexx
Am Ende unserer Chromosomen befinden sich Schutzkappen aus DNA und Proteinen: die Telomere. Die fungieren im Grunde wie die Plastikkappen am Ende eines Schnürsenkels – und verhindern, dass bei der Teilung des Erbguts Informationen verloren gehen. Die Telomere nutzen sich mit jeder Zellteilung ab – und bestimmen so über die Länge ihrer verbliebenen Basenpaare das Alter einer Zelle.
iStock-Dr_Microbe
In Keimzellen, Tumorzellen sowie in unterschiedlicher Menge auch in allen anderen Körperzellen sorgt das Enzym Telomerase dafür, dass DNA nachproduziert wird. Wenn das aus Proteinen und RNA bestehende Enzym zu einem Chromosom eilt, um das – durch die Zellteilung – verkürzte Telomer, das Endstück der Zell-DNA, zu reparieren, nutzt es dafür als Vorbild eine Sequenz der eigenen RNA (Matrize). Telomerase kann also nicht
nur DNA produzieren, sondern trägt den Bauplan dafür auch in den eigenen Erbinformationen.
nur DNA produzieren, sondern trägt den Bauplan dafür auch in den eigenen Erbinformationen.
iStock-Rost-9D
Die Molekularbiologin (*26 November 1948 in Tasmanien) entdeckte zusammen mit Carol Greider und Jack Szostak 1984 die Telomerase in einzelligen Tieren und erhielt dafür 2009 den Nobelpreis für Medizin. Seitdem veröffentlichte sie zahlreiche weitere Arbeiten über Telomere.
iStock-shironosov
Thomas Hunt Morgan bekam für seine Forschungen zur genetischen Vererbung 1933 nicht nur einen Nobelpreis verliehen, sondern schuf auch die Grundlagen für die heutige Telomerforschung. „Morgans Forschungen haben die Biologie erst zu einer experimentellen Wissenschaft gemacht“, meint Nobelpreisträger Eric Kandel.
iStock-rrodrickbeiler
Der Schlüssel zu einem langen Leben
Heute – nachdem Blackburn für ihre Entdeckung den Nobelpreis der Medizin erhalten hat – weiß man: Telomere sind alles andere als eine Leerstelle: Sie begrenzen das Chromosom und beschützen so das Erbgut. Wie eine Schutzkappe des DNA-Strangs verhindern sie, dass bei der Zellteilung Erbinformationen verloren gehen.
Und das ist noch nicht alles: Denn Telomere sind die lange gesuchten Zeitmesser der Zellen – und bestimmen darüber, wie alt eine Zelle ist und wann sie stirbt. Das Prinzip dahinter ist denkbar einfach: Mit jeder Zellteilung nutzt sich die Schutzkappe der Chromosomen ein kleines Stückchen ab und wird kürzer. Und je kürzer ein Telomer ist, desto älter ist die dazugehörige Zelle. Konkret ist ein menschliches Telomer ungefähr 10.000 Basenpaare lang. Nach 50 bis 100 Zellteilungen (je nach Zelltyp) hat das Telomer eine kritische Länge von 4.000 Basenpaaren erreicht. Dann teilt sich die Zelle nicht weiter, sondern wird inaktiv geschaltet (Hayflick-Grenze). Und das hat geradezu grausige Folgen: „Hat eine Zelle ihr Ablaufdatum überschritten, stirbt sie nicht – sondern wird zu einer Art Zombie“, erklärt Professor Blackburn. „In diesem Zustand sind Zellen nicht mehr in der Lage, ihre Funktion zu erfüllen. Sie sind desorientiert und erschöpft, verstehen Signale von anderen Zellen falsch und senden ihrerseits falsche Botschaften nach außen.“
Je älter ein Mensch wird, desto mehr dieser Zombiezellen sammeln sich in seinem Körper – und lösen dort z.B. Fehlalarme aus, bei denen ohne Grund entzündungsfördernde Substanzen im Körper freigesetzt werden. Außerdem schwächen sie das Immunsystem, erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten oder fördern die Entstehung von neurologischen Krankheiten. Ganz allgemein kann man sagen: Diese Vermüllung des Organismus durch deaktivierte Zellen löst eine Körperreaktion aus, die wir als das sogenannte Altern kennen.
Und trotzdem: Blackburn sieht in der Entdeckung des Telomers von Anfang an eine Chance für die Wissenschaft: Denn wenn man einen Weg finden würde, die Abnutzung der Telomere zu verhindern, müssten unsere Körper nicht mehr krank und alt werden. Doch wie? Tatsächlich gilt es damals als ein Naturgesetz, dass DNA im Körper nicht reproduziert wird, auch nicht, wenn sie durch Zellteilung verloren geht.
Warum Tumorzellen unsterblich sind
Was Blackburn da noch nicht ahnen kann: Sie ist nicht die Erste, die nach einem Jungbrunnen für die Telomere sucht. Zellen – als die Hauptleidtragenden – tun dies schon seit vielen Millionen Jahren. Und sie haben eine Lösung gefunden. Tatsächlich produzieren bestimmte Zellarten (z.B. Knochenmarkszellen, Embryonalzellen, Stammzellen, Immunzellen) ein Enzym mit dem Namen Telomerase, das über die einzigartige Fähigkeit verfügt, die Abnutzung des Telomers zu reparieren und wiederherzustellen. „Dazu verwendet das Enzym seine eigene RNA wie eine Matrize – also als biochemische Anleitung, um eine richtige Sequenz brandneuer DNA herzustellen und damit die abgenutzten Stellen des Telomers zu ersetzen“, erklärt Blackburn.
Wie effektiv die Schutzleistung der Telomerase ist, lässt sich am besten am Beispiel eines Zelltyps erklären, der normalerweise nicht mit Langlebigkeit in Verbindung gebracht wird – der Tumorzelle. Doch Fakt ist: „Ihre Telomere sind zwar kurz, besitzen dafür aber eine große Menge an Telomerase“, erklärt Blackburn. „Tumorzellen sind dadurch im Grunde unsterblich, da sie sich theoretisch unendlich oft teilen können.“ Gleiches gilt für viele Einzeller, wie auch für das Wimpertierchen (Tetrahymena thermophila) – jenes Lebewesen, an dem Blackburn die Telomerase nachwies.
Doch so gravierend diese Entdeckung auch ist – ein echter Jungbrunnen kann die Telomerase nicht sein. Denn es gibt ein Problem: „Wir Menschen besitzen normalerweise nicht genug Telomerase, um unsere Zellen wirklich unsterblich zu machen“, erklärt Blackburn. „Unsere Zellen sind sehr knauserig mit Telomerase.“ Auch wenn das zunächst enttäuschend klingt – es gibt eine gute Nachricht: Selbst, wenn die Telomerase in unseren Zellen nicht reicht, um das Altern ganz auszuschalten, so kann man sie wenigsten dazu nutzen, Zeit seines Lebens gesund zu bleiben.
Blackburn konnte nachweisen, dass die Reparatur-Enzyme nicht nur das Alter eines Menschen bestimmen. Sie bestimmen auch, weshalb „Menschen unterschiedlich schnell altern“. Der Schlüssel ist die Lebensweise: „Man kann seine Telomere pflegen, indem man die Telomerase aktiv hält.“ Und dazu muss man nicht viel tun.
Lesen in dem Beitrag Wie kann ich mein Alter ausbremsen?, was jeder selbst tun kann, um seine Zellen fit zu halten. Denn Fakt ist: Unsere Zellen wollen, dass wir ihnen helfen, gesund zu bleiben – und deswegen machen sie es uns auch einfach.