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In der Ukraine tobt ein erbarmungsloser Krieg, der so ganz anders ist als die Auseinandersetzungen zwischen den großen Machtblöcken des Kalten Krieges und den Konflikten in der postsowjetischen Ära. Denn um das Land wird auch mit Panzern gekämpft – ein Waffensystem mit über hundertjähriger Geschichte, das Militärplanern der Nato noch bis vor Kurzem als wenig zukunftsfähig galt.
Das stählerne Grauen
Cambrai in Nordfrankreich am frühen Morgen des 20. November 1917: Ein Feuerüberfall aus Tausenden Geschützrohren fegt wie ein Orkan über die deutschen Stellungen. Kurze Pause, dann dröhnt ein bis dahin nie gehörtes Grollen über das Schlachtfeld. Auf breiter Front schieben sich behäbige, braungelbe Kolosse an die Linien der Deutschen heran. Diese haben der feuerspeienden Walze aus Stahl im Überraschungsmoment nichts entgegenzusetzen.
Die Stellungen gehen verloren, der britischen Armee gelingt ein spektakulärer Raumgewinn mit geringen eigenen Verlusten. Es war der erste große Panzerangriff der Geschichte – die Geburtsstunde einer taktischen Waffe, die dem Krieg ein neues, noch furchterregenderes Gesicht gegeben hat.
Die Erfindung des Tanks
Insgesamt 476 Panzer hatten die Briten bei Cambrai zum Einsatz gebracht. Aus Geheimhaltungsgründen waren sie unter der Bezeichnung „Tank“ produziert und auf den Kontinent transportiert worden. Tatsächlich ähnelte ihr Aussehen ein wenig dem von altmodischen Wassertanks. Der harmlose Name hat sich vor allem im englischen Sprachraum eingebürgert. Diese Kampfmaschine, die im Gemetzel des Ersten Weltkriegs ihre Premiere hatte, wurde seitdem sowohl technisch als auch nach den Einsatzrichtlinien der Militärs einem grundlegenden Wandel unterworfen.
Die Idee eines mobilen Geräts, in dem man sicher vor feindlichen Geschossen ist, hatte die Kriegführenden schon immer umgetrieben. Davon zeugen unter anderem die phantasievollen Entwürfe des Universalgenies Leonardo da Vinci. Doch bevor die ersten motorisierten Ungetüme aus Panzerstahl über die Schlachtfelder rollten, musste eine ganz besondere Situation entstehen. Mit dem Stellungskrieg war ab Herbst 1914 jede Bewegung zwischen den feindlichen Schützengräben eingefroren. Erst der Einsatz von Tanks löste diese taktische Pattsituation und entfachte drei Jahre später eine neue Dynamik des Tötens.
Nur eine Schockwaffe?
Allein die Fahrt in dem gepanzerten Vehikel mit der schlichten Typenbezeichnung Mark I war für die achtköpfige Besatzung eine Tortur. Um die erstarrte Front bei Cambrai aufzubrechen, agierten die Briten mehr oder weniger blind. Sie kämpften mit Motorenlärm, Ölgestank, großer Hitze und der ständigen Angst, liegenzubleiben und vom Gegner mit Flammenwerfern geröstet zu werden.
Bei der deutschen Gegenoffensive kurz darauf wurde dann auch der von den britischen Tanks gutgemachte Boden wieder zurückerobert. 250 dieser ersten Panzer blieben als Wrack oder Beutestück auf dem Schlachtfeld liegen.
Das Fazit: Die ersten Panzer waren für den Überraschungsmoment gut, aber noch nicht in der Lage, dem Geschehen eine bleibende Wendung zu geben. Auch die später von Renault gebauten französischen Panzer mit Turm und wenige deutsche Panzerfahrzeuge waren nicht eigentlich kriegsentscheidend. Die deutsche Heeresleitung stufte den Panzer deshalb als reine Schockwaffe ohne durchschlagende Wirkung ein. Das sollte sich bald ändern.
Das Rückgrat von Hitlers Blitzkrieg
Ab den 1920er Jahren machte die Entwicklung des Panzers rasch Fortschritte. Auch das Deutsche Reich, dem nach dem Versailler Vertrag Rüstungsprojekte verboten waren, richtete seine Aufmerksamkeit auf die lange Zeit unterschätze Waffe – ebenso das kommunistische Regime in der Sowjetunion, das sich in einem blutigen Bürgerkrieg behauptet hatte und nun nach Innovationen für den Machterhalt suchte.
Während alle Industriestaaten in der Konstruktion ähnliche Wege beschritten – Turm, Wanne, Ketten, Kanone und Maschinengewehr –, führte die Frage nach den Einsatzmöglichkeiten in verschiedene Lager. In Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion war man sich einig, dass Panzer als Unterstützungswaffe der Infanterie fungieren sollten, weshalb die noch immer behäbigen und nur leicht bewaffneten Fahrzeuge nach dem Gießkannenprinzip über die Armeen verteilt wurden.
Im aggressiven Hitlerdeutschland suchten die Militärs dagegen nach einer Lösung, die auch bei zahlenmäßiger Unterlegenheit und strategischen Nachteilen den Unterschied machen und in schnellen Schlägen den Sieg herbeiführen konnte. Erstmals wurden Panzer der inzwischen hochgerüsteten deutschen Wehrmacht zu eigenständigen Panzerdivisionen zusammengefasst und wie Kavallerieeinheiten in alten Zeiten geführt: schnell, selbstständig, ohne Rücksicht auf Fühlungnahme zu den eigenen Truppen. Damit wurde der Panzer zum Rückgrat von Hitlers Blitzkriegsführung.
Eine Revolution in der Kriegsführung
Beim Überfall auf Polen und auch in Frankreich erwiesen sich die deutschen Panzertruppen den Gegnern als überlegen. Zwar waren sie den Panzern der Franzosen und Briten zahlenmäßig unterlegen, leichter gebaut und damit verwundbarer, auch meist schwächer bewaffnet.
Mit Tempo, überraschender Massierung von Einheiten und umsichtiger Führung per Funk gelang es den Deutschen aber, im Rücken der eigentlichen Front Panik zu stiften, strategisch wichtige Punkte einzunehmen und große Umfassungsoperationen abzuschließen. Das Ergebnis ist bekannt.
Auch beim „Unternehmen Barbarossa“, dem Krieg gegen die Sowjetunion, verbuchten die deutschen Panzerdivisionen anfangs Sieg auf Sieg. Ungezählte ausgebrannte russische Panzer säumten die deutschen Vormarschstraßen. Die deutschen Panzerdivisionen nahmen in Windeseile riesige Räume in Besitz. Doch als der sowjetische Panzer T-34 in großen Stückzahlen auf dem Gefechtsfeld erschien, begannen die Probleme – der „T-34-Schock“.
Das mittelschwere Fahrzeug mit 75-cm-Kanone war wendig, flink und den deutschen Modellen in puncto Schussweite und Durchschlagskraft überlegen. Aber auch die Rote Armee musste erst lernen, ihren fortschrittlichen Kampfpanzer effektiv einzusetzen. Denn selbst die mit dem T-34 ausgestatteten Einheiten erlitten im Kampf gegen die meist schwächeren, aber besser geführten deutschen Verbände hohe Verluste.
Qualität verliert gegen Quantität
Die Panzerdivisionen ursprünglich deutscher Prägung revolutionierten den Landkrieg. Weiträumige Operationen, rasche Vorstöße, Frontdurchbrüche und gewaltige Kesselschlachten waren nur mit Panzern und Schützenpanzern zu führen – ein langwieriger Stellungskrieg war damit faktisch unmöglich geworden. Der Höhepunkt im Panzerkampf des Zweiten Weltkriegs war sicherlich die Schlacht am Kursker Bogen im Sommer 1943.
Hier prallten knapp 2400 deutsche Panzer und Sturmgeschütze auf etwa die doppelte Zahl an russischen Panzerfahrzeugen. Hitler ließ die Schlacht abbrechen, als sich seine Kriegsmaschinerie in der harten gegnerischen Abwehr festgefressen hatte.
Hier kam einmal mehr das Missverhältnis der eingesetzten Fahrzeuge zum Tragen: Für die Sowjetarmee wurden während des Krieges 77.000 Panzer produziert, für die US-Armee 86.000. Nazideutschland stellte hingegen nur rund 26.000 Kampfpanzer her. Dieses Übergewicht der damals wichtigsten schweren Waffe konnten auch deutsche Modelle wie der kampfstarke Panther und auch nicht der im direkten Duell dominierende Tiger aufheben. Letzterer brachte 57 Tonnen auf die Waage, verfügte über eine starke Frontpanzerung und war mit seiner 8,8-Zentimeter-Präzisionskanone allen alliierten Typen überlegen. Noch auf drei Kilometer Entfernung konnte diese Kanone gepanzerte Ziele wirksam bekämpfen.
Der Panzer verliert seine Bedeutung
Nach 1945 spielten Panzer eine führende Rolle in den Planungen der NATO und des Warschauer Paktes. Aus den Lehren des Krieges zog man im Westen den Schluss, dass es im Konfliktfall vor allem galt, die unerschöpfliche Panzerlawine des Ostblocks aufzuhalten. Es kam glücklicherweise ganz anders. Und mit den vom Guerillakampf geprägten Auseinandersetzungen in Vietnam oder Afghanistan – oder bei den über die Lufthoheit gewonnenen beiden Kriege gegen den Irak – geriet das furchterregende Kriegsgerät aus Panzerstahl aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Im Kalten Krieg war beispielsweise die Bundeswehr mit rund 3000 Kampfpanzern ausgerüstet. Im Februar 2023 – ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine – rechnete das ZDF „heute journal“ vor, dass Deutschland aktuell noch über 290 Leopard-2-Panzer verfüge, von denen aber nur 90 einsatzbereit seien. Davon wurden 18 an die Ukraine geliefert, acht befinden sich in Litauen.
Somit könnte die Bundesrepublik im NATO-Bündnisfall gerade einmal 64 Kampfpanzer aufbieten – ein strategischer wie operativer Tropfen auf dem heißen Stein. Zum Vergleich: Im Krieg um die Ukraine verfügt Russland über ein Gesamtpotenzial an 12.566 Panzern. Die ukrainische Armee kann dieser Masse weniger als 1900 der Stahlungetüme entgegensetzen.
Ein zweifelhafter Gamechanger
Welche Bedeutung hat ein hochmoderner Panzer der dritten Nachkriegsgeneration vom Typ Leopard 2, der mit seiner optimalen Kombination aus Feuerkraft, Beweglichkeit und Panzerung als das Nonplusultra dieses Waffensystem gilt? Nach den aus der preußischen Generalstabsschule hervorgegangenen Führungsgrundsätzen gilt das Prinzip „Nicht kleckern, sondern klotzen“.
Panzer müssen in strategisch günstig gewählten Massen eingesetzt werden, um Wirkung in der Tiefe zu erzielen. Im Zeitalter von Satellitenaufklärung, Marschflugkörpern und Drohen sind die aus der Luft anfälligen Kolosse jedoch besonders zu schützen. Sie sind Teil einer Taktik mit verbundenen Waffen, die erstmals bei Cambrai erprobt, von der deutschen Wehrmacht in Hitlers Angriffskriegen perfektioniert und von dem damaligen Kriegsgegner weiter ausgefeilt wurde.
Aus den derzeit im Netz kursierenden Videos von ohne Kraftstoff liegengebliebenen russischen Panzerkolonnen und auch vom fehlerhaften Einsatz moderner westlicher Geräte durch die Ukraine ist ersichtlich, dass beide Seite Defizite in der Panzerkriegsführung haben.
Nur dass Putins Truppen sich Fehler eher erlauben können, da ihnen auch nach den bisherigen Verlusten (Frühjahr 2023: geschätzte 1800 Panzer) noch genug Material zur Verfügung steht. Die Vergangenheit hat gelehrt, dass technologisch überlegene Panzermodelle allein nicht ausreichend sind. Sie müssen taktisch gut geführt sein und dürfen keine Luftüberlegenheit gegen sich haben.
Sonst gewinnt immer die Masse. Das flache, weitgehend offene Terrain der umkämpften Regionen im Osten der Ukraine bietet an sich hervorragende Chancen für einen Panzereinsatz – und macht ihn genau aus diesem Grund anfällig gegen Abwehrmaßnahmen aus der Luft. Insofern ist es fraglich, ob die wenigen Leopardpanzer für die Ukraine wirklich der von den Medien propagierte Gamechanger sind.