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Wie ehrlich sind Gamification-Apps?

Foto: Envato / Rawpixel

Wie ehrlich sind Gamification-Apps?

Gamification bedeutet, mithilfe von Spielmechaniken praktisch jeder Tätigkeit Spielspaß einzuhauchen – vom Fitness-Training bis zum Erlernen einer neuen Sprache. Apps mit Gamification-Elementen wie etwa Duolingo, MyMcDonald’s, Temu und Fitocracy liegen derzeit voll im Trend. Manche Experten kritisieren jedoch deren Tendenz, uns subtil zu manipulieren.

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Virtuelle Belohnungen können unser Verhalten unterschwellig beeinflussen

Einer der grundlegenden Aspekte von Gamification ist, bestimmte Aktionen mithilfe von Belohnungen attraktiver zu machen. Welche Handlungen am meisten belohnt werden, ist eine zentrale Entscheidung für App-Designer. Inzwischen wissen Forscher, dass Gamification-Techniken auch zu Aktivitäten motivieren können, die in erster Linie dem App-Entwickler Vorteile bringen.

Viele Gamification-Apps motivieren nur oberflächlich

Etliche beliebte Gamification-Apps sind darauf ausgelegt, mithilfe simpler Mechaniken für mehr Nutzerbindung und somit für mehr Umsatz zu sorgen. Gleichzeitig unternehmen deren Entwickler einiges, um diese Tatsache zu verschleiern. Zahlreiche Apps suggerieren üblicherweise durch geschicktes Design und Marketing, dass wir sie aus eigenem Interesse nutzen. In Wirklichkeit sorgen jedoch oft nur deren Gamification-Mechaniken für die Motivation, ein regelmäßiger Nutzer zu werden.

Intrinsische Motivation vs. extrinsische Motivation

Motivation aus Eigenantrieb wird in der Fachsprache als intrinsische Motivation bezeichnet, d. h. als individuelle Motivation von innen heraus. Allerdings setzen solche Blender-Apps in Wirklichkeit auf die extrinsische, also externe Motivation. Gängige Beispiele dafür sind Gamification-Techniken wie Erfahrungspunkte, Münzen und High-Score-Listen. Extrinsische Motivation kann somit bereits durch simple Spielmechaniken entstehen, die völlig losgelöst vom eigentlichen Zweck der App effektiv sind.

Ist Duolingo eine Blender-App?

Zu den meistkritisierten Beispielen für eine Diskrepanz zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation gehört die Sprachlern-App Duolingo. Diese verspricht schnelle Lernfortschritte, hält Nutzerinnen und Nutzer jedoch überwiegend durch das Sammeln von Punkten für richtig gelöste Aufgaben bei der Stange.

Wer sich in erster Linie auf seinen Punktestand konzentriert und täglich nur eine einzige Lektion abschließt, wird bereits von den Benachrichtigungen der App mit Lob überhäuft. Weiterhin werden die Übungen niemals komplexer als das Zusammenklicken von Sätzen oder Übersetzungen, gelegentlich dürfen diese auch eingetippt werden.

Zudem erlaubt die App es in fast allen Übungen, Übersetzungen für die in den Beispielsätzen enthaltenen Begriffe nachzuschlagen. Prüfungen, die den Lernfortschritt unter Zeitdruck und erschwerten Bedingungen auf die Probe stellen, fehlen ebenso. Auch wer beim Nutzen der App seine intrinsische Motivation verliert und sich nur noch extrinsisch motivieren lässt, kommt somit gut über die Runden.

Gamification-Apps können abhängig machen

Der Spieltrieb ist tief in der menschlichen Natur verankert. Dass Spielen süchtig machen kann, ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen. Zu den Gründen gehört die Funktionsweise unseres Belohnungssystems im Gehirn. Wer spielt und dabei Spaß hat, erlebt die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin im Mittelhirn. Dopamin versetzt uns in eine positive Stimmung. Gleichzeitig stärkt es unser Verlangen, das positive Erlebnis, das unser Gehirn zur Dopaminausschüttung bewegt hat, zu wiederholen.

Sobald unser Gehirn den Zusammenhang zwischen der Dopaminausschüttung und dem Spiel begreift, das wir gerade spielen, werden wir zum Weiterspielen motiviert. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, unserem Gehirn abzugewöhnen, immer wieder nach der neuen Dopaminquelle zu verlangen.

Viele Gamification-Apps sind daher so ausgelegt, dass sie uns ständig kleine Belohnungen verabreichen. Dies kann zu dem Verlangen führen, täglich Stunden mit ihnen zu verbringen.

Gamification-Apps als Datenkraken

Darüber hinaus sind moderne Gamification-Apps in der Lage, das Verhalten und die Vorlieben ihrer Nutzerinnen und Nutzer detailliert auszuwerten. Daraus lassen sich umfangreiche Nutzungsprofile erstellen, deren Tragweite uns oft nicht bewusst ist.

Nutzungsprofile dienen in erster Linie dazu, exakt auf uns zugeschnittene Werbung zu schalten. Aus ihnen lassen sich aber auch detaillierte Informationen über persönliche Gewohnheiten ableiten, die in den Händen von Cyberkriminellen großen Schaden anrichten können.

„Dark Patterns“ als dunkle Seite von Gamification

Manipulationstechniken für Nutzerinnen und Nutzer von Apps und Websites haben bereits einen Namen: „Dark Patterns“. Der Begriff selbst kommt ursprünglich aus dem Webdesign. Gängige Dark Patterns nutzen häufig menschliche psychologische Schwachstellen aus:

Zwangsschleifen

Zwangsschleifen setzen – oft simple – Belohnungssysteme ein, um uns dazu zu bringen, Gamification-Apps regelmäßig zu nutzen. Sobald eine Belohnung freigeschaltet ist, scheint gleich die nächste in greifbarer Nähe. Hierdurch verbringen wir oft weitaus viel mehr Zeit mit solchen Apps, als wir eigentlich wollen.

Ausnutzen von FOMO (Fear Of Missing Out)

Zu den gängigen Dark Patterns gehört die strategische Erzeugung des Eindrucks, dass nur eine regelmäßige Teilnahme zum Erfolg führt. Dieser psychologische Druck wird oft durch regelmäßige Events und Angebote sowie zeitlich begrenzte Belohnungen erzeugt.

Ausnutzen von Verlustängsten

Zu den bekanntesten Beispielen hierfür gehört das „Streak“-System von Duolingo. Der Begriff „Streak“ lässt sich etwa als Strähne im Sinne von Gewinnsträhne übersetzen. Die App motiviert Userinnen und User generell, sie täglich zu nutzen. Dies rechtfertigt sie durch den Hinweis, dass nur tägliche Übungen Lernfortschritte erlauben. Jeder Tag mit einer erfolgreich abgeschlossenen Lektion wird zum „Streak“ hinzugezählt.

Wer einen „Streak“ von 100 Tagen hat, beweist damit, dass er an 100 aufeinanderfolgenden Tagen mindestens eine Lektion pro Tag geschafft hat. Wer Duolingo einen Tag nicht nutzt, setzt seinen gesamten „Streak“ auf null zurück. Die einzige Abhilfe besteht darin, den „Streak“ für einen Tag „einzufrieren“. Dies ist nur durch das Einlösen einer app-internen virtuellen Währung möglich. Wer nicht genug davon hat, kann echtes Geld dagegen eintauschen. Wie ein Blick in die sozialen Netzwerke zeigt, ist die Höhe des „Streaks“ für etliche Duolingo-Fans offenbar wichtiger als der tatsächliche Lernerfolg.

Ausnutzen von sozialem Druck

Viele Gamification-Apps verfügen über komplexe Funktionen zur Vernetzung ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Was auf den ersten Blick den Austausch unter Gleichgesinnten ermöglicht, läuft häufig auf eine Instrumentalisierung der Community zur Nutzerbindung hinaus. Dazu führen vor allem Dark Patterns wie die prominente Darstellung der Erfolge anderer Nutzerinnen und Nutzer in Freundes- und Highscorelisten, VIP-Systeme sowie Hierarchien zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Community-Mitgliedern.

Nagging

Nagging, zu Deutsch etwa „nerven“, setzt auf regelmäßige Erinnerungen oder Aufforderungen zur regelmäßigen Nutzung von Gamification-Apps – von app-internen Hinweisen über Push-Nachrichten bis hin zu endlosen Benachrichtigungs-E-Mails. Häufig sind diese Aufforderungen auffällig emotional gefärbt und betonen den sozialen Aspekt der jeweiligen App. Gängige Beispiele sind Formulierungen wie „Lass deine Community nicht im Stich“ oder „Zeig allen, was du kannst“. Inzwischen bauen immer mehr Apps auf diese Weise psychologischen Druck auf.

Das sagt die Wissenschaft zu manipulativen Gamification-Apps

1. Sebastian Deterding

Sebastian Deterding lehrt am Imperial College London und ist ein führender Gamification-Forscher. Deterding argumentiert, dass viele Gamification-Ansätze zu stark auf extrinsische Motivation (z. B. Belohnungen, Erfahrungspunkte) setzen, was die Gefahr birgt, die intrinsische Motivation der Nutzerinnen und Nutzer zu untergraben.

Deterding betont, dass Gamification stattdessen so gestaltet werden sollte, dass das Wohlbefinden der Nutzer gefördert und ihre Entscheidungsfreiheit respektiert wird. Er sieht eine Gefahr darin, dass Gamification-Apps subtil und unbemerkt unser Verhalten manipulieren können.

Deterding weist darauf hin, dass solche Dark Patterns in Überwachungs- und Kontrollmechanismen ausarten können. Er plädiert stattdessen für transparent gestaltete Gamification-Systeme, die die Autonomie der Nutzerinnen und Nutzer wahren.

2. Ian Bogost

Der US-amerikanische Forscher und Videospieldesigner Ian Bogost ist ein vehementer Kritiker kommerzieller Gamification und hat für schlecht designte Gamification-Apps den Begriff „Exploitationware“ (auf Deutsch etwa Ausbeutungs-Software) geprägt.

Dies begründet Bogost dadurch, dass Unternehmen Gamification oft dazu missbrauchen, Nutzerinnen und Nutzer durch oberflächliche Belohnungen und Punktesysteme zu manipulieren. Bogost sieht in extrinsisch motivierenden Gamification-Systemen eine erhebliche Gefahr. Sie verleiten seiner Meinung nach dazu, dass wir Aufgaben erledigen, die wir ohne den Anreiz einer Belohnung ignorieren würden.

Bogost argumentiert, dass solche Systeme oft nur kurzfristige Verhaltensänderungen bewirken und dabei langfristige Werte wie Eigenverantwortung und intrinsische Motivation untergraben. Bogost fordert daher eine tiefere Auseinandersetzung damit, wie Gamification sinnvoll und fair eingesetzt werden kann, anstatt Nutzerinnen und Nutzer subtil zu beeinflussen.

3. Kevin Werbach und Dan Hunter

Die amerikanischen Juristen Kevin Werbach und Dan Hunter, Autoren des Buchs „For the Win“, plädieren für einen verantwortungsvollen Umgang mit Gamification. Sie betonen, dass Gamification so eingesetzt werden sollte, dass sie tatsächlichen Nutzen bringt und nicht nur kurzfristige Verhaltensänderungen erzwingt. Werbach und Hunter plädieren für Gamification-Systeme, die die Bedürfnisse und Interessen der Nutzerinnen und Nutzer respektieren.

Werbach und Hunter betonen zudem, dass Gamification nicht nur zur Steigerung von Konsum oder oberflächlicher Produktivität eingesetzt werden darf. Stattdessen sollten positive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft im Vordergrund stehen.

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