Eine Liste, die Hoffnung gibt
0,0005 Prozent aller Firmen des Planeten sind für mehr als 70 Prozent sämtlicher CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist das Ergebnis einer großangelegten Studie, des Carbon Majors Reports. Die Verfasser dieser Liste legen den Finger genau auf die Wunde: Wir können die Erde nicht retten, wenn sich diese Unternehmen nicht ändern. Gleichzeitig ist die Liste unsere größte Hoffnung. Denn jetzt wissen wir genau, wo wir ansetzen müssen.
Wer verursacht das ganze CO2?
Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst verstehen, dass der Großteil des gesamten CO2 schon vor der Menschheit existierte. Konkret sind rund 97 Prozent der CO2-Emissionen natürlichen Ursprungs und werden unter anderem durch Vulkanismus, Waldbrände oder die Zellatmung freigesetzt. Dieses CO2 ist allerdings Teil eines geschlossenen Kohlenstoffkreislaufs – und wird wieder z.B. in den Meeren gebunden, von Pflanzen zu Sauerstoff umgewandelt und so in kohlenstoffbasierten Lebensformen in Form von Kohlenstoff gespeichert.
Mehr CO2, als die Erde binden kann
„Insofern war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre Jahrtausende lang praktisch konstant und steigt erst an, seit wir dem System riesige Mengen an zusätzlichem Kohlenstoff aus fossilen Lagerstätten zuführen“, benennt Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung das eigentliche Problem. Denn durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen (z.B. Öl) oder durch das Brandroden und Abholzen von Bäumen wird heute weit mehr CO2 freigesetzt, als die Erde kurzfristig wieder binden kann.
Hohe CO2-Konzentration durch den Menschen
Die Folge: Das Treibhausgas sammelt sich in der Atmosphäre. Die Dimension dieser CO2-Zusatzbelastung für die Erde ist enorm. So hat der Mensch in seiner Geschichte beinahe die Hälfte des weltweiten Waldbestandes (etwa 40 Millionen Quadratkilometer oder viermal die Fläche Europas) vernichtet. Zudem verbrennt er immer noch große Mengen Kohle (jährliche Fördermenge: 9 Milliarden Tonnen) und Öl (täglicher Verbrauch: ca. 15 Milliarden Liter). Konkret erhöht der Mensch auf diese Weise die CO2-Konzentration jährlich um 37,1 Milliarden Tonnen.
Welche Konzerne sind für 70 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich?
Stromerzeugende und Erdöl fördernde Konzerne sind hauptverantwortlich für den Klimawandel. Das ist das Ergebnis des sogenannten Carbon Majors Reports der Non-Profit-Organisation Carbon Disclosure Project (CDP). Dabei handelt es sich nicht nur um die umfassendste Datenbank zur Erfassung von Treibhausgasen – sondern auch um eine noch nie da gewesene Aufschlüsselung der konkreten CO2-Sünder. Denn obwohl Regierungen politisch die Verantwortung tragen für die in ihrem Staatsgebiet freigesetzten CO2-Emissionen, sind in der Regel riesige Konzerne die eigentlichen Produzenten. Will man also die globalen CO2-Emissionen wirklich senken, muss man an dieser Liste ansetzen.
Menschgemachter Klimawandel
Seit im Jahr 1988 der „menschengemachte Klimawandel“ durch das „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) anerkannt wurde, haben nur 100 Konzerne rund 71 Prozent der globalen, industriellen Treibhausgase zu verantworten. 59 Prozent dieser überwiegend dem Energiesegment angehörenden Firmen sind staatlich, 32 Prozent börsennotiert und neun Prozent in privater Hand.
Top 10 der Klimasünder
Engt man das Feld der im Carbon Majors Report aufgelisteten Konzerne auf die Top 10 zusammen, sind diese immer noch für mehr als 36 Prozent der seit 1988 verursachten CO2-Emissionen verantwortlich. In absteigender Reihenfolge: China Coal Energy, Saudi Arabian Oil Company (Aramco), Gazprom OAO, National Iranian Oil Co, ExxonMobil Corp, Coal India, Petroleos Mexicanos (Pemex), Russian Coal, Royal Dutch Shell PLC und China National Petroleum Corp.
Welcher Stoff ist klimaschädlicher als alle Flugzeuge?
Keine andere Branche profitiert so, wie die Zementindustrie vom globalen Bauboom. Mit HeidelbergCement zählt auch eine deutsche Firma zu den weltweit größten Playern. Doch das Bindemittel aus Kalkstein hat eine dunkle Seite: „Durch die Zementproduktion entstehen heute 6,5 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes. Das ist dreimal so viel wie der CO2-Ausstoß der gesamten Luftfahrtindustrie“, erklärt Manfred Curbach vom Institut für Massivbau an der TU Dresden. Dennoch wird die Branche von der EU mit kostenlosen Emissionszertifikaten unterstützt, weil Zement als Baumaterial noch immer als alternativlos gilt – ein Irrtum. So lässt sich beispielsweise durch die Verwendung des nicht rostenden Werkstoffs Carbonbeton schon jetzt deutlich leichter bauen, lassen sich Ressourcen sparen – und auch der CO2-Ausstoß lässt sich drastisch reduzieren.
Wie schmutzig ist die Kreuzfahrtindustrie?
Aktuell schippern mehr als 300 Ozeanriesen über die Weltmeere, die meisten von ihnen in Diensten von Carnival Cruise, dem größten Kreuzfahrtanbieter weltweit. Das Problem: Jedes einzelne dieser Schiffe „stößt pro Tag so viele Schadstoffe aus wie fünf Millionen Autos“, sagt Dietmar Oeliger vom Naturschutzbund Deutschland. Die Menge variiert zwar je nach Schadstoff, doch egal, welchen Stoff man sich vornimmt – die Ökobilanz der schwimmenden Kleinstädte bleibt miserabel. Neben CO2, von dem ein Schiff täglich so viel produziert wie 84.000 Autos, ist speziell der Schwefeloxid-Ausstoß verheerend: Der Grund: Die meisten Kreuzfahrtschiffe fahren mit Schweröl, dem schmutzigsten Treibstoff überhaupt. Es hat einen Schwefelanteil von bis zu 3,5 Prozent – das ist 3.500-mal mehr, als im Straßendiesel erlaubt ist. Vor diesem Hintergrund überrascht es fast nicht, dass laut der EU-Kommission jährlich 60.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Schiffsemissionen sterben.
Wie lange kennen die Konzerne bereits die Wahrheit über die CO2-Krise?
Der US-Energiekonzern ExxonMobil ist mit einem Jahresumsatz von umgerechnet 180 Milliarden Euro auf Platz zehn der weltgrößten Unternehmen. Zugleich belegt Exxon Platz fünf der Unternehmen mit dem höchsten CO2-Ausstoß weltweit! Seit Jahrzehnten hat der Konzern die Öffentlichkeit in die Irre geführt, indem er gezielt Zweifel am Klimawandel und am Einfluss von CO2 auf die globale Temperatur schürt – das ist keine Behauptung, sondern das Ergebnis einer Studie führender Forscher der Harvard University.
Der Konzern warnte selbst vor der Erderwärmung
Exxon bestreitet die Vorwürfe zwar, die Fakten sprechen jedoch eine eindeutige Sprache: Schon 1982 ergeben interne Untersuchungen des Öl-Giganten, dass bei dem derzeitigen Kurs ein Klimawandel und die globale Erwärmung unausweichlich seien. Nachdem Anfang Mai 2019 in der Atmosphäre erstmals kritische CO2-Wert überschritten werden, werten Klimaforscher die mittlerweile veröffentlichten Exxon-Prognosen aus. Das erschreckende Ergebnis: Sowohl für den Temperaturanstieg als auch für den CO2-Anstieg liegen die Prognosen von damals richtig. In der 37 Jahre alten Studie warnen die Exxon-Experten deutlich davor, dass ein zusätzlicher CO2-Ausstoß den Treibhauseffekt verstärken und die Erdoberfläche erwärmen würde. Auch die Information, dass sich dadurch die Niederschlagsmenge verändern und die Polkappen über die Jahrhunderte abschmelzen könnten, ist ihnen bereits bekannt. Das Unternehmen jedoch schweigt und setzt seinen Kurs ungeachtet der Fakten fort.
Sind deutsche Unternehmen hauptverantwortlich für den Klimawandel?
Zwar wird im Carbon Majors Report auch ein deutscher Konzern erwähnt – der steht allerdings weit hinter den großen globalen CO2-Produzenten. Die RWE AG ist mit Platz 41 der erste und einzige deutsche Vertreter in der Liste der Top 100. Begrenzt man diese Auflistung allerdings auf den europäischen Wirtschaftsraum, befinden sich sieben der zehn größten CO2-Produzenten in Deutschland (drei Kohlekraftwerke von der RWE AG und vier Kohlekraftwerke der LEAG). Rechnet man den CO2-Ausstoß aller deutschen Konzerne zusammen, ist Deutschland mit einem Anteil von 2,15 Prozent der Gesamt-CO2-Freisetzung (ca. 900 Millionen Tonnen) weltweit auf Platz sechs – und damit innerhalb Europas der mit Abstand größte CO2-Sünder.
Wieso müssen wir die Top 100 jetzt stoppen?
Die Ansage der Klimaforscher ist unmissverständlich: Keinesfalls darf die Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 den vorindustriellen Wert um zwei Grad Celsius überschreiten. Sonst tauen die sibirischen Permafrostböden auf und setzen Milliarden Tonnen von CO2 frei – ein fataler Kipppunkt im globalen Klimasystem, der nicht mehr umzukehren wäre. Das Problem: Außer Brasilien, China und Japan sind die G20-Länder momentan weit davon entfernt, die national festgelegten Ziele für 2030 zu erreichen. Wenn man das Worst-Case-Szenario noch abwenden will, müssten die bisherigen Bemühungen ab sofort verdreifacht werden.
Das Ziel ist immer noch möglich
„Jetzt ist die Zeit zu handeln“, sagt daher auch Klimaforscher Johan Rockström, denn theoretisch ist es laut der UN immer noch möglich das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten – und mit dem Carbon Majors Report gibt es jetzt eine Liste, bei der man ansetzen kann, um die größten Klimakiller zu stoppen. Anders ausgedrückt: „Wir wissen jetzt, dass eine relativ kleine Gruppe von Produzenten fossiler Brennstoffe den Schlüssel zur systemischen Veränderung der CO2-Emissionen in den Händen hält“, sagt Pedro Faria von der NonProfit-Organisation CDP. Da ein Fünftel der industriellen Treibhausgasemissionen durch öffentliche Investitionen finanziert werden, sei es an uns und der Politik, diesen Konzernen „ihre Verantwortung klarzumachen, damit sie selbst Teil des Wandels werden“.