Eigentlich ist der Fall klar: Wer sich gesund ernähren will, muss nur auf die Inhaltsstoffe achten. Logisch: Wo viel Fett und Zucker draufsteht, erwartet niemand ein Superfood. Doch was ist mit den Stoffen, die nicht in der Packungsangabe stehen? Was ist mit den Zutaten, die sich durch Hitze oder in Kombination mit anderen Mitteln verändern? Die Wahrheit ist: Es gibt viele Inhaltsstoffe, die nicht deklariert werden müssen – obwohl einige davon pures Gift sind.
Chemie im Warenkorb
Hier eine Marmelade, dort eine Pizza: Wer Lebensmittel in einen Warenkorb packt, stellt genauso auch einen individuellen Chemiebaukasten zusammen – oft, ohne es zu wissen. So müssen viele der sogenannten Hilfsstoffe nicht deklariert werden. Dabei handelt es sich um Mittel, die bei der Produktion eingesetzt und dadurch verbraucht werden. Zum Beispiel sollen Enzyme den Teig von Brot und Brötchen verbessern.
Beim Backen wird das Enzym zwar unwirksam, verbleibt aber im Lebensmittel. Food-Experten von den Verbraucherzentralen kritisieren die mangelnde Deklaration: „Wenn Enzyme in der Lebensmittelherstellung eingesetzt wurden, sollten sie auch gekennzeichnet werden müssen.“ Enzyme gehören dabei aber noch zu den harmloseren unbekannten Mitteln. Beim Erhitzen von bestimmten Produkten entstehen weitaus gefährlichere Gifte wie Acrylamid.
Im Sommer 2016 ließ die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) dann aber eine richtig große Bombe platzen: Palmöl kann krebserregend sein, wenn es auf über 200 Grad Celsius erhitzt wird. Palmöl wird in unzähligen Lebensmitteln verwendet, weil es günstiger als Sonnenblumen- oder Rapsöl ist. Das Problem: Um dieses Öl überhaupt in Lebensmitteln verarbeiten zu können, muss es auf mehr als 200 Grad Celsius erhitzt werden – ist also potenziell immer gefährlich.
Schokolade, Margarine, Müslis, Backwaren und Fertiggerichte – erst im Januar 2017 verbannten italienische Supermarktketten mehr als 200 Produkte mit Palmöl. Und der italienische Konzern Ferrero musste mit einer Imagekampagne reagieren, weil auch in Nutella Palmöl statt hochwertigerem Fett verwendet wird. Der Konzern gibt an, Palmöl in einem schonenden Verfahren zu behandeln, das keine 200 Grad Celsius erreicht.
Bei einer Fertigpizza ist es hingegen egal, ob das Palmöl schonend aufbereitet wurde – die Pizza landet eh bei über 200 Grad im Backofen. Dabei entstehen nicht nur aus dem Palmöl giftige Glycidyl-Fettsäuren, der Pizzateig selbst gibt das krebserregende Acrylamid ab – und sollte es eine Salamipizza sein, steuert die Wurst noch Nitrosamine bei, die im Verdacht stehen, Tumore auszulösen. Auf der Packung sucht man vergeblich nach solchen Hinweisen, für „erst noch entstehende“ Gifte gibt es keine Deklarationspflicht. Wer jetzt glaubt, dass dies nur bei Fertigprodukten ein Problem ist, der irrt. Denn das erste Gift nehmen wir schon mit der Muttermilch auf …
Vergiftete Ernte
Sie sind aus der Lebensmittelindustrie kaum noch wegzudenken – und stehen doch auf keiner Liste der Zusatzstoffe: Pestizide werden eingesetzt, um Pflanzen vor Insekten und Unkraut zu schützen. Das wichtigste Pestizid weltweit ist Glyphosat, ein sogenanntes Totalherbizid, mit dem auch in Deutschland etwa 40 Prozent aller Äcker behandelt werden.
Seine Wirkung ist schlicht: Es tötet einfach alles, was grün ist. Heimische Landwirte versprühen Glyphosat, um den Acker nach jeder Ernte unkrautfrei zu machen – das ist billiger als etwa das Pflügen gegen Unkraut. In den USA wird Glyphosat noch sehr viel stärker eingesetzt: Dort kommen sogar gentechnisch veränderte Pflanzen auf die Felder, die dem Pestizid widerstehen können – das Gift wird dann ständig gespritzt. Eines der dabei auftretenden Probleme: Böden, die mehrere Jahre mit Glyphosat behandelt werden, verlieren ihre Nährstoffe.
Im Sommer 2016 wurde die Zulassung von Glyphosat in Europa trotz heftiger Kritik verlängert. Dabei hatte sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO davor gewarnt, weil Glyphosat in Lebensmitteln verbleibt und „wahrscheinlich krebserregend“ ist. Die Food-Konzerne halten mit eigenen Studien dagegen. Deren Inhalt: keine Gefahr für den Menschen.
Anfang 2024 sollte Glyphosat in Deutschland gemäß Koalitionsvertrag vom Markt genommen werden Mitte 2024 wurde das erwiese krebserregende Herbizid für weitere 10 Jahre weiter zugelassen. Ein mögliches Verbot rückt somit wieder in weite Ferne.
Seltsam nur, dass große Mengen Glyphosat in Futtermitteln bei Schweinen nachweislich zu missgebildeten Totgeburten und kranken Tieren führen. Kann der menschliche Organismus etwa Glyphosat besser abbauen? Nein, das Pestizid lässt sich bei mehr als 70 Prozent der Deutschen im Urin nachweisen – und eben auch in der Muttermilch. Mit anderen Worten: Jeder Mensch nimmt vom ersten Tag seines Lebens an Gift zu sich.
Mein tägliches Gift
Wie kann es also sein, dass Produkte, die offensichtlich gefährlich sind, zugelassen und verkauft werden? Die Antwort: In der Lebensmittelindustrie gilt das Prinzip „Die Dosis macht das Gift“. Es wird angenommen, dass jeder Stoff in geringen Mengen unschädlich ist und gleichzeitig, dass größere Mengen (zum Beispiel auch von Sauerstoff) toxisch wirken.
Dieser Grundsatz stammt jedoch aus dem 16. Jahrhundert, unabhängige Forscher halten ihn schlichtweg für falsch. „Die erlaubte Tagesdosis ist kein wissenschaftliches Konzept“, sagt Erik Millstone, Professor für Wissenschaftspolitik an der University of Sussex. „Denn dieser Wert beschreibt nicht die Höhe des Risikos, sondern lediglich seine Hinnehmbarkeit.“ Und: Mengen, die heute erlaubt sind, können morgen schon als hochgiftig deklariert werden.
Immer wieder werden Grenzwerte erhöht oder verringert. So wurde die erlaubte Höchstmenge für Radioaktivität in japanischen Produkten nach der Atomkatastrophe von Fukushima heraufgesetzt, damit sie überhaupt noch in Europa verkauft werden können. Im Jahr 2014 wurden aber auch zahlreiche Aluminiumsalze verboten, die vorher in Lebensmitteln waren – ihre Gefährlichkeit wurde erst jetzt öffentlich eingestanden. Und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnte schon Anfang 2015 vor dem krebserregenden Stoff Benzol, der entsteht, wenn das Konservierungsmittel Benzoesäure mit Vitamin C reagiert.
„Doch die Tatsache, dass es keine aussagekräftigen Studien gibt, verhindert strenge Grenzwerte, da eine Entscheidung nicht willkürlich festgelegt werden kann“, so das BfR. Das Problem ist hausgemacht, denn „nicht der Hersteller muss beweisen, dass die Zusatzstoffe unschädlich sind, sondern die Verbraucher müssen die Schädlichkeit beweisen“, sagt Foodwatch-Gründer Thilo Bode. Die Experten raten daher dazu, mehr zertifizierte Bio-Produkte zu kaufen, selbst wenn es auch hier keine hundertprozentige Garantie gibt, dass sie nicht kleine Mengen Pestizide oder ähnliche Giftstoffe enthalten.