Zeitreise ins Mittelalter
In Bayern sind Zeitreisen ins Mittelalter möglich: Das Kaltenberger Ritterturnier erlaubt seinen Besuchern alljährlich im Juli, die Ära der Ritter aus nächster Nähe zu erleben. Mehr als 1300 Darsteller sorgen in und außerhalb der Kampfarena dafür, dass Geschichte lebendig wird. In die Arena passen rund 10.000 Zuschauer. „Das Konzept ist zwar angelehnt an historische Turniere“, sagt Pressesprecher Markus Wiegand, „wichtiger als historische Faktentreue ist aber die professionell inszenierte Unterhaltungsshow.“ Mit einem hollywoodreifen Soundtrack, der von Hörbüchern bekannten Sprecherstimme von Schauspieler Johannes Steck und dem Fantasy-Schriftsteller Michael Peinkofer als Autor der Geschichte war der Event in diesem Jahr besonders imposant. Doch wie waren die Ritterturniere wirklich?
Die erste Panzerfaust
Ursprünglich war eine Rüstung ein Panzer gegen reale Feinde. Die Rüstung machte den Ritter zu einer uneinnehmbaren Festung auf Beinen. Unter Kriegsstrategen galt daher sogar die Faustregel: Ein Ritter zu Pferd ist so gut wie 50 Landsknechte zu Fuß. Die Ära der kämpfenden Ritter fand allerdings ein jähes Ende als sich die Langbögen durchsetzten. Diese konnten die Rüstungen durchbrechen und somit die Wehrhaftigkeit der Ritter zerstören.
Turnier statt Krieg?
Gab es eine WM unter den Rittern?
Ritter statt Fußballclubs
Das einfache Volk konnte zwar nicht am Wettstreit teilnehmen, durfte ihm aber als Zuschauer beiwohnen. „Auch für die niederen Stände waren die Turniere große Unterhaltung“, so Wiegand. „Wie im modernen Fußballstadion gab es damals auch schon verschiedene Platz-Kategorien.“ Während heutige Fußballfans ihrem Club oder der Nationalmannschaft die Daumen drücken, fieberten die einfachen Leute damals mit, ob es ihren Herren gelang, die Gegner in die Schranken zu weisen. „Die Stimmung kann man mit einem heutigen Fußball-Endspiel vergleichen“, berichtet Markus Wiegand.
Preisgeld für den Sieger
Fiel ein Ritter nach dem Zusammenprall vom Pferd, wurde der Kampf oft zu Fuß fortgesetzt. Der Verlierer musste dem Sieger Pferd und Rüstung überlassen oder ein Lösegeld bezahlen. Der Gewinner dagegen wurde nicht nur mit Ruhm und Ehre belohnt, sondern auch mit wertvollen Preisen. Ganz zu schweigen von der Gunst einer Edeldame ...
Die Fanmeilen des Mittelalters
So wie heute die Fans beim Public-Viewing von EM- und WM-Spielen auf den Straßen feiern, wurde auch im Mittelalter rund um das Turnier viel geboten: von Gauklern über Tierbändiger und Akrobaten bis hin zu Musikanten. Auch Tanz und Spiel sowie Speis und Trank gehörten zu den feierlichen Großereignissen, zu denen die Turniere im Lauf des 12. Jahrhunderts anwuchsen.
Hinter den Kulissen
Einen Korruptionsskandal anzuprangern, wie es dem Weltfußballverband FIFA und seinem Präsidenten Sepp Blatter passierte, hätte damals sicher niemand gewagt. Dennoch ging es schon damals nicht nur um den sportlichen Event an sich. Hinter den Kulissen wurden unter den Reichen und Mächtigen in und abseits der Arena auch Führungsansprüche ausgefochten. Selbst für Wohlhabende war die Ausrichtung eines Turniers eine kostspielige Angelegenheit. Aber die Investition lohnte sich, denn für den Veranstalter hatte ein Turnier durchaus auch eine herrschaftslegitimierende Funktion.
Spielerfrauen und Edeldamen
Turniere sollten neben dem Unterhaltungswert und der sportlichen Übung auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Adeligen stärken, herrschten sie doch auf der Landkarte über weit verstreute Gebiete. Auch als Heiratsmarkt boten sich Ritterturniere an, denn hier trafen edle Herren auf Edeldamen und mit einer Hochzeit konnten die eigenen Machtbestrebungen ausgebaut werden. So manch eine der heutigen Spielerfrauen wird diesen Gedanken sicher auch gehegt haben.
Wie viel kostet es, ein Ritter zu sein?
Der Triathlon der Ritter
Kaiser Maximilian der I. ging als „der letzte Ritter“ in die Geschichte ein. Zu seiner Zeit (1459-1519) bestand ein Turnier aus mehreren sportlichen Disziplinen. Diese verschiedenen Waffengänge waren: Stechen, Rennen und Fußkampf. Beim Stechen und beim Rennen traten die Ritter hoch zu Ross mit Lanzen gegeneinander an. Während das Stechen mit stumpfen Lanzen ausgetragen wurde, war das Rennen aufgrund der Verwendung von spitzen Lanzen deutlich riskanter. Die dritte Disziplin war der Fußkampf, der mit Schwert, Spieß, Streitaxt oder Dolch ausgetragen wurde. Wie die heutigen Boxkämpfe fand dieser Zweikampf in einem „Ring“ statt - einem abgegrenzten Feld.
Die Schienbeinschoner des Mittelalters
In den Turnieren bekamen die Rüstungen, die bisher in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt wurden, einen neuen Verwendungszweck. Als Schutz vor Verletzungen waren sie die Schienbeinschoner des Mittelalters – wenngleich sie natürlich viel mehr Körperfläche schützen mussten als nur das Schienbein. Zwar war ein Turnier harmloser als eine reale Schlacht, dennoch würde man sie aus heutiger Sicht als äußerst gefährliche Sportart einstufen. Unfälle konnten tödlich enden.
Wie wird man Ritter?
In welcher Mannschaft spielt dieser Ritter?
Auf der Hut sein
Der Schwertkampf galt im Mittelalter als eine Kunst, die man sich hart erarbeiten musste. Wer sich bei den Turnieren am Hofe weder blamieren noch verletzen wollte, musste ein versierter Recke sein. Virtuosen der scharfen Klinge verfassten daher Lehrbücher, die über hunderte Jahre hinweg als Grundlage für das Training in Fechtschulen dienten. Die Redewendung „auf der Hut sein“ stammt aus dieser Zeit, denn mit Huten sind die Grundstellungen beim Schwertkampf gemeint.
Anfängerfehler konnten tödlich enden
Zwei, drei gegnerische Schläge und jeder blutige Anfänger hätte sein Leben im Duell gegen einen Schwertkampf-Profi ausgehaucht. „Ein Laie hält nur das Schwert“, verrät Martin Stock, der seit 15 Jahren beim Kaltenberger Ritterturnier mit den großen Stichwaffen arbeitet. „Da dauert es nicht lange, bis er in eine so schlechte Position gedrängt ist, dass es ein Leichtes ist, ihn zu besiegen oder ihm seine Waffe abzunehmen.“ Wer dagegen über Jahre die Kunst des Schwertkampfs geübt hat, weiß, dass es auf viele Details ankommt – Körpersprache, Bewegung, den richtigen Stand, die Waffenführung, die optimale Distanz zum Gegner und die Umgebung.
Finale!
Der festliche Abschluss eines Ritterturniers war die sogenannte „Mummerey“ – ein prunkvoller höfischer Maskenball. Vor der Mummerey, zu der nur die gehobene Gesellschaft eingeladen war, gab es vielgängige Gastmähler. Ein strenges Protokoll bestimmte, welcher Gast wo an den üppig dekorierten Tischen Platz nehmen durfte – frei nach dem Motto „Politik geht durch den Magen“.
Liegt Hollywood in Bayern?
Das Kaltenberger Ritterturnier findet seit 1980 jährlich statt. Eine Ausnahme waren die Pandemiejahre. Einer der wichtigsten Menschen hinter den Kulissen ist Mario Luraschi. Der weltbekannte Stuntpferdetrainer sorgt dafür, dass die Turnier-Szenen lebensecht wirken, ohne Reiter und Ross zu gefährden. Fortsetzung folgt im nächsten Sommer.