Was ist eigentlich die tödlichste Katastrophe in der Geschichte der Menschheit? Der Dreißigjährige Krieg? Sechs Millionen Tote. Die Große Pest im Mittelalter? 25 Millionen. Die Kulturrevolution in China? 45 Millionen. Der Zweite Weltkrieg inklusive Holocaust? 66 Millionen. Doch ein Ereignis stellt all das in den Schatten – und kaum jemand kennt seine wahre Dramatik, bis heute …
Die Symptome der Seuche sind extrem ungewöhnlich, sie passen kaum zu einem bekannten Krankheitsbild: Zu anfänglichen Erkältungsübeln gesellen sich Atemprobleme. Auf den Wangen erscheinen dunkle Flecken, die sich manchmal binnen Stunden auf den gesamten Körper ausbreiten. Die Patienten sterben ein paar Tage später unter höllischen Schmerzen. Gerade scheinbar gesunde Jugendliche rafft die Epidemie dahin – der Anblick ihrer schnell verwesenden Leichen mit vollgelaufenen Lungen und aufgeblähten Brustkörben erschüttert die Völker von Alaska über Südafrika bis nach Ozeanien.
Niemand ahnt damals etwas vom Influenza-Virus, in dessen Schlepptau sich Lungenentzündungen und sogenannte Zytokinstürme entwickeln: Überreaktionen des Immunsystems gerade bei jungen Menschen, verantwortlich für die Verfärbung des Körpers und Abstoßung der Lungen. In den Jahren der Epidemie zwischen 1918 und 1920 können Mikroskope Viren noch nicht erkennen, diese sind im Schnitt 20 Mal kleiner als Bakterien. So erkrankt ein Drittel der knapp zwei Milliarden Bewohner der Erde auf allen Kontinenten an einem mysteriösen Übel, das vielerorts einfach „Neue Seuche“ getauft wird. Den Zeitzeugen verschleiert das den gemeinsamen Erreger einer Krankheit, die in drei Wellen zwischen 50 und 100 Millionen Todesopfer fordert.
Die „Spanische Grippe“ bringt Elend und Tod
Während die wohlhabenden USA oder Großbritannien nur 0,5 Prozent ihrer Bevölkerung verlieren, sind es in manchen Regionen Asiens Schätzungen zufolge über 20 Prozent – seriös lässt sich das nicht beurteilen: Allein die Riesenreiche Russland und China haben in ihren jeweiligen Bürgerkriegen anderes zu tun, als Tote zu zählen. Und in Europa wütet der Erste Weltkrieg, „wehrzersetzende“ Nachrichten fallen der Zensur zum Opfer. Eine Ausnahme bildet das neutrale Spanien, dessen liberale Presse im Mai 1918 von über acht Millionen „mit einer merkwürdigen Krankheit“ Infizierten im Land berichtet – und der Seuche zu ihrem falschen Namen „Spanische Grippe“ verhilft: Als Patient Null gilt heute ein US-Soldat aus Kansas, niemand weiß aber wirklich, wo das Virus den Sprung vom Tier zum Menschen geschafft hat.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs tragen vor allem demobilisierte Soldaten des British Empire das Virus in die letzten Winkel der Erde, wo aber häufig weder das Berichtswesen noch Gesundheitsbehörden funktionieren. Es wird zur ersten globalen Seuche – die dennoch nicht in die Geschichtsbücher eingeht. Später rekonstruieren Forscher anhand von exhumierten Toten die Influenza-Variante H1N1 als Erreger: hochansteckend, aber vergleichsweise selten tödlich. Beim als Vogelgrippe bekannten Stamm H5N1 ist das umgekehrt: 60 Prozent der Infizierten sterben. Heute überwachen Forscher daher alle kursierenden Grippestämme – um ein befürchtetes Supervirus frühzeitig zu erkennen: tödlich UND ansteckend …