- Johanna Böhnke
In Deutschland fehlen zunehmend Arbeitskräfte. 2011 waren im Jahresdurchschnitt 466.288 offene Stellen ausgeschrieben, im Jahr 2022 sind es derzeit 841.008 (Stand: Juni). Entspannen wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht. Sobald die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, reißen sie nicht nur bestehende Lücken weiter auf, sondern schaffen gleichzeitig noch neue in anderen Branchen.
Der DIW-Vorsitzende Marcel Fratzscher schrieb kürzlich in seinem Blog, dass vier Millionen Beschäftigte mehr in den Ruhestand gehen als junge Menschen nachkommen. Der Arbeitskräftemangel sei die größte Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und den Wohlstand, den wir heute genießen, schreibt er weiter.
Schweißroboter und Computer-Diagnose sind nicht genug
Händeringend suchen Politik und Wirtschaft nach Lösungen für das komplexe Problem. Eine wäre Technik oder genauer: Robotik und Digitalisierung. Roboter und Künstliche Intelligenzen als menschgemachte Heilsbringer für die strauchelnde deutsche Wirtschaft. In der Autoindustrie werden häufig bereits Schweißroboter eingesetzt, in der Medizin computergestützte Diagnosen erprobt. Und das ist nur ein Bruchteil der Optionen, die den vielen Branchen Deutschlands zur Verfügung stehen.
Eigentlich ein Grund, optimistisch zu sein. Mehr Technik könnte klaffende Löcher auf dem Arbeitsmarkt stopfen und gleichzeitig die Produktivität steigern, wodurch Arbeitnehmer:innen entlastet werden – so weit, dass sie vielleicht die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn verkürzen können. Ganz so einfach ist es leider nicht.
Grundsätzlich sind viele Industriezweige für maschinelle Lösungen offen, Stichwort: Automatisierung. Dabei werden Arbeitsprozesse so optimiert, dass der Mensch für ihren Ablauf nicht mehr tätig zu werden braucht. In der Automobilproduktion werden dafür etwa Industrieroboter eingesetzt, die Autos Stück für Stück zusammensetzen. Deutschland ist in dem Punkt europäischer Vorreiter mit 371 Robotern pro 10.000 Arbeitnehmer:innen.
Da Roboter jedoch nicht jeden Job übernehmen können, ist das nicht zwangsläufig eine Lösung für den drohenden Wegfall vieler Arbeitskräfte. Außerdem entstehen mit dem Einsatz solcher Maschinen neue Jobs, zum Beispiel in der Wartung und Kontrolle. Logischerweise müssen diese besetzt werden.
Digitale Arbeit steht noch am Anfang
Selbst wenn bestimmte Maschinen bereits im Einsatz sind: Der Punkt, dass sie einen Großteil der Arbeiten übernehmen, ist noch längst nicht erreicht. Einerseits wären da die Anschaffungskosten, die sich viele kleine und mittelständische Betriebe nicht leisten können, andererseits setzen viele große Unternehmen trotz finanziellen Spielraums weiterhin auf menschliche Arbeitskräfte. „Man kann viel automatisieren. Dass viel möglich ist, heißt aber nicht, dass es auch umgesetzt wird. Letztlich wollen Unternehmen Gewinne erwirtschaften“, sagt Arbeits- und Industriesoziologe Simon Schaupp.
Möglich macht das der Niedriglohnsektor. Die Anschaffung von Maschinen und das Personal, um diese über Zeit funktionstüchtig zu halten, könnten auf lange Sicht mehr kosten als günstige Arbeitskräfte. Dass laut einem Report der Deutschen Industrie und Handelskammer mehr als 50 Prozent von 23.000 Industrieunternehmen im Jahr 2021 Stellen nicht besetzen konnten, zeigt, dass es ein Personalproblem gibt. Das Ergebnis könnte sich aber auch so interpretieren lassen, dass Arbeitnehmer:innen bestimmte Arbeitsbedingungen nicht mehr akzeptieren.
Der niedliche Roboter Pepper ist eine französisch-japanische Gemeinschaftsentwicklung. Er ist in der Lage, auf die Gestik und Mimik von Menschen zu reagieren.
Der Gesundheitssektor ist besonders betroffen
Wie abschreckend diese Arbeitsbedingungen sein können, zeigt der Gesundheitssektor. „Nehmen wir die Pflege: Dort fehlen Kräfte, weil die Arbeitsbedingungen dort sehr schlecht sind, wollen nur wenige dort arbeiten. Ebenso kündigen viele Menschen aufgrund dieser schlechten Bedingungen, das hat sich gerade in der Pandemie gezeigt“, sagt Schaupp. Bis 2030 werden laut ver.di rund 300.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt. Ausgleichen soll das mehr Digitalisierung, etwa durch elektronische Patientenakten, digitale Hilfs- und Monitoringsysteme und Transport- sowie Therapieroboter.
Ein Beispiel dafür wäre der an japanische Comicfiguren erinnernde, quirlige Roboter Pepper. Er liest Geschichten vor, erzählt Witze, führt aber keine körperlichen Behandlungen durch. Dasselbe gilt für die Roboter-Robbe PARO. Sie soll Demenzkranken eine emotionale Stütze sein. Gut klingt das alles zunächst, nur können diese Mittel lediglich auf psychischer Ebene unterstützen. Die Verpflegung und direkte Behandlung müssen Pflegende weiterhin übernehmen. Von Robotern, die Menschen in der Pflege, gar im gesamten Gesundheitswesen ersetzen, sind wir noch weit entfernt.
Die Roboter-Robbe PARO wird zur Therapiehilfe in Altersheimen eingesetzt. Sie wurde von dem japanischen Wissenschaftler Takanori Shibata entwickelt.
Arbeitskräfte aus dem Ausland sind eine weitere Option
Letztlich werden deshalb in vielen Branchen neben digitalen Lösungen auch Fachkräfte aus dem Ausland nötig sein, um den Mangel in Deutschland auszugleichen. Diese können allerdings durch Digitalisierung weiter unterstützt werden. „In Bezug auf Technik ist es so, dass es einen Trend gibt, der hin zur algorithmischen Arbeitssteuerung geht“, sagt Schaupp. „Da versucht man Jobs zu vereinfachen, indem man Arbeitnehmer:innen digitale Anweisungen gibt, zum Beispiel über Bilder. Das hilft den Leuten vor Ort, aber auch migrantischen Arbeitskräften.“ Lieferdienste und Versandhäuser setzen auf diese Technik.
Um ausländischen Fachkräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern, starteten Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil eine Initiative zur Reform des Einwanderungsgesetzes. Berufliche Qualifikationen sollen leichter anerkannt werden, demnach würden Berufserfahrung und ein Abschluss reichen.
Führen maschinelle Lösungen auf Dauer zum Abbau von Arbeitsplätzen?
Der Arbeitskräftemangel ist eines dieser Probleme, die nicht einer, sondern vieler Lösungsansätze bedürfen. Technische Lösungen allein werden nicht reichen. Doch selbst wenn maschinelle Lösungen die Tätigkeiten von Menschen übernehmen, wenn sie offene Stellen schließen, was bleibt dann übrig? Werden viele Menschen arbeitslos?
„Eher nicht“, sagt Simon Schaupp. „Unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen entstehen neue Jobs. Die Qualität dieser Jobs ist aber eine andere Sache. Das sind dann eher Knochenjobs wie die Lieferdienste und Online-Versandhandel.“ Digitalisierung kann helfen, jedoch auch die Arbeit erschweren. Wie es sich entwickeln wird, ob düster oder positiv, ist jedoch eine Frage der Zukunft.
1 thought on “Zu wenig Arbeitskräfte – wie kann die Digitalisierung helfen?”
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